Martin Winterle

Brief an Marianne


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als Ersatz für Herrn Tanzer, wirklich auf Dauer, auf andere Gedanken bringen? Ihr gingen gerade diese Gedanken durch den Kopf, immer wechselnd, sich ablösend, durchaus positive Impulse, dennoch blieb ein unbestimmtes Ziehen in ihrer Brust. Sich zur Ordnung rufend, fragte sie, mit freundlich, fröhlichem Tonfall:

      >Du trinkst schon noch ein Bier, gell Ernst? Oder magst lieber einen Kaffee? Ich hätte auch Kuchen dazu, allerdings keinen selber gebackenen, nur die Supermarktversion. <

      Ernst hatte sein Werkzeug in den Koffer verpackt, stand begutachtend, vor seinem gelungenen Werk.

      >Eine Schale Kaffee wäre mir recht, vor allem, wenn du einen mittrinkst! <

      >Ja, das würde ich jetzt auch brauchen können. Dann sagst du mir bitte, was ich dir schuldig bin. Ich bin total begeistert, über alle deine Arbeiten, hab eine Riesengaudi damit. Mit dem Boden, dem neuen Licht und jetzt mit meinem Blumenfenster, erst recht. <

      Sie verbrachten noch mehr als eine gute Stunde mit angenehmer Plauderei. Er hatte sehr bodenständige Ansichten, ein freundliches, innere Ruhe ausstrahlendes Gesicht, einen offen Blick. Einfach ein sympathisches Gegenüber. Finanziell hatte sie mit mehr gerechnet, als Ernst für seine Arbeit verlangte. Sie rundete die geforderte Summe auf, was er dankbar annahm. Hatte sie doch durch ihn, alleine beim Bodenkauf, einen schönen Nachlass bekommen…

      Ernst war gegangen, sie saß auf die Bettkante. In Gedanken versunken, die stetig wanderten, nie ruhig wurden. Nie bei einem Thema bleiben konnten, immerzu zurückkamen.

      Zurück zu ihrem dritten Mittwochnachmittag mit Horst…

      Italienisch ist mehr als si und no!

      Si parla Italiano?

      Na ja, kam ganz drauf an, was Marianne, der Kursleiterin als Antwort auf eine, ihr soeben gestellte Frage gab. Überwiegend durfte sie aus Überzeugung „si“ sagen, manchmal „no“ als ehrlichere Antwort. Zehn Wochen pilgerte sie bereits, zwei Abende pro Woche ins WIFI. Stuckte echt, war im Vergleich mit ihren Leidensgenossen, wenn sie ehrlich war, wirklich nicht schlecht, gehörte zum besten Drittel. Ihr war das allerdings erheblich zu wenig. Ehrgeizig, wie sie immer schon war, wollte sie mehr, schneller verstehen, exakter umsetzen können.

      Währen ihre Gedanken frei von diesen drückenden Zweifeln gewesen, italienisch zu lernen, hätte ihr nicht nur deutlich mehr Freude bereitet, wäre eine echt sinnvolle Abendbeschäftigung, für ihre Montag- und Donnerstagabende gewesen. In ihrem, innerlich zerrissenen Zustand, schweiften ihre Gedanken nur allzu gerne, in eine nicht wirklich gewünschte, sie nicht aufbauende Richtung ab. Oft nahm sie in der Mittagspause Kataloge, Prospekte ihrer italienischen Lieferanten zur Hand, verglich beide Sprachen miteinander. Lernte dabei an praktischen Beispielen. Gelegentlich hörte sie sich abends, entspannt auf ihrem neuen, französischen Bett, die mitgelieferten CDs an. In erster Linie, war es ja ihr Beruf, für den sie sich ein gutes Verständnis dieser Sprache, aneignen sollte, wollte, musste…

      Ganz sicher nicht wegen Adamo, Adriano Celentano und anderen Schnulzenbrüdern, die sie zwar im Radio gerne singen hörte, ihr die Textinhalte aber, sowas von wurscht waren. Um was es bei Amore mio, einzig und allein ging, konnte sie, wie jeder andere Nichtitaliener auch, sich ganz leicht vorstellen, hätte dafür garantiert nie einen Sprachkurs belegt. Da sie meist unmittelbar knapp vor Schulungsbeginn in die Klasse kam, nach Kursende lieber alleine bei der Bushaltestelle, Kopf ausrauchend auf den Bus wartete, hatten sich bisher nur ein paar zwanglose Pausenunterhaltungen ergeben. Fast das einzige Thema – Italienisch. Ihr war es recht, hatte kein großes Kennenlernbedürfnis.

      Seit der Herr Tanzer im Krankenstand war, hatte sie im Büro viel zu telefonieren, zudem Besprechungen mit den Kollegen vom Außendienst. Wollte sie sich wirklich austauschen, dann nur mit Eva. Da fühlte sie sich angenommen, verstanden und wieder aufgebaut, sollte es einmal notwendig sein. Auch waren die restlichen Kursteilnehmer, mit Ausnahme der etwas älteren Dame, deutlich jünger als sie. Gab nicht viel Gemeinsamkeit, kaum Ansätze um eine sinnvolle Diskussion zu beginnen. Bis zu den Sommerferien hatte sie noch ein paar Wochen, regelmäßig Kursabende vor sich. Dann sollte mit einer Zwischenprüfung der erste Teil des Seminars zu Ende gehen. Im Herbst war dann noch einmal, für vier Monate echt strebern angesagt. Dafür sollte es, als außerordentliches Weihnachtsgeschenk ein Diplom geben. Dieses Lernziel zu erreichen, keine echte Herausforderung für sie…

      Vor zwei Wochen waren sie, das erste Mal in dieser Saison, als Cheerleader beim Heimspiel der Handballer aufgetreten, die drei Superbienen, Eva, Ines und Marianne. So sehr sie für Mariannes Großen und sein Team auch geschrien, gepfiffen und mit ihren, Turnschuh bewährten Füssen, gestampft hatten, es hatte nicht gereicht. Ihre Favoriten hatten knapp verloren.

      Knapp daneben ist halt auch vorbei, wie Ines lakonisch, leicht resigniert, nach dem Schlusspfiff, von sich gegeben hatte. Eva schwor lautstark, beim nächsten Heimspiel Rache zu üben, noch lauter zu brüllen, obwohl sie ihren heutigen, furiosen Einsatz schon mit einer etwas angerauten Stimme, zu bezahlen hatte. Eva´s Racheschwüre gingen auf, der nächste Gegner war aber das Schlusslicht in der Tabelle. Aber was soll´s, gewonnen ist gewonnen, egal gegen wem!

      >Mutsch, was steht denn rot geschrieben, zweimal dick unterstrichen, für kommenden Freitag 14 Uhr in deiner Büroagenda, auf dem Küchenkalender, hast´ hoffentlich als Memo im Handy verewigt? <

      Diese, locker hingeworfene Frage, ihres grinsenden Großen, hatte sie, für einen kurzen Moment lang irritiert. Aber wirklich nur eine verlängerte Sekunde.

      >Natürlich komme ich pünktlich, werde mir deine Präsentation und die Zeugnisverteilung doch nicht entgehen lassen. Das ist dir wohl klar, hoffe ich. Bin voll gespannt auf dein Modell und auch auf die Arbeiten deiner Freunde. Du musst es mir dann alles genau erklären, damit ich nicht so daneben stehe, ok! <

      Im letzten Moment war ihr noch eingefallen, das der wichtigste Termin in der kommenden Woche, für sie beide, der Freitag sein wird.

      >Ach ja, nur damit du mir nicht aus den Latschen kippst, letzte Woche war ich mit der Omi beim Hoffherr. Einen Anzug habe ich ausgefasst, schlimmer als zur Firmung, ehrlich. Dann noch passende Treter dazu, halb glänzend, halb matt, letzter Schrei, absolut der Hammer. Die kann ich dann anziehen, wenn ich einmal einen Tanzkurs besuchen sollte. <

      Kam als Info an seine Mutter herüber. Früher hatten sie nicht selten von diesem, für ihren Sohn so entscheidenden Tag, gesprochen, jetzt war es soweit. Sie fragte ihn nach seinem aktuellen Bauchgefühl. Ein ganz gutes, ja eigentlich sehe er diese Abschlussprüfung, wirklich vollkommen locker. Das mündliche und schriftliche, endgültige Ergebnis von fünf Jahren pauken, strebern, ärgern, aber dadurch auch älter, reifer(gescheiter?) werden…

      Maturanten Mutter, was ziehst du an?

      Was war den passend, für diesen feierlichen Nachmittag?

      Ihr Sohn sollte wenigstens eine hübsche Mama präsentieren können, wenn er schon keinen Vater vorzuweisen hatte, ihr plötzlicher Gedanke.

      Ein nagelneuer Kleiderschrank präsentiert halt auch nur das, was man ihm zum Aufbewahren anvertraut hat. Zaubert nichts dazu, ich bin ja nicht Aschenbrödel, leider.

      Sogar ganz bestimmt nicht, hatte kürzlich ihren Traumprinzen mit Hausverbot für ihre Seele belegt.

      Erstmals schmunzelte sie, als sie an ihren Ex dachte.

      Da fiel ihr auf, dass er seit längerem nicht mehr versucht hatte, sie anzurufen, ihr eine Nachricht auf Band zu sprechen. Auch Mail hatte sie keines mehr erhalten. Nur SMS schickte er ihr sporadisch, immer wieder eines…

      Wie wäre es mit der fast neuen, schwarzen Samtjeans, dazu weiße Bluse mit angedeutetem Stehkragen, darüber ein grauer Pullunder, kombiniert mit schwarzen, halbhohen, nicht zu eleganten Stöckelschuhen, fertig. Sie stand vor dem Schmuckstück ihrer neuen Einrichtung, besah sich von halblinks bis halbrechts. Sah schick aus, gefiel sich sogar ausnahmsweise einmal selber.

      Ihrem Spiegelbild schenkte sie ein charmantes Lächeln, mit einem Anflug von Selbstsicherheit, seit längerem wieder einmal, da