Martin Winterle

Brief an Marianne


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bezirzte sie gerade ein, voll öliger Muskelprotz (möglicherweise auch umgekehrt…), oder Mehmet, ihr Bodybetreuer, musste heute wieder einmal dran glauben.

      >Wenn du noch nicht zu müde bist und noch Lust hast, wäre echt nett, wenn du vorbei schauen würdest. Bin gerade mit der ungewohnten Leere überfordert. Kommst du? <

      Eva merkte, dass ihre Anwesenheit sehr erwünscht war, sagte auch sofort zu…

      Marianne hatte Früchtetee gekocht, zwei bauchige Schalen mit aromatischen Inhalt angefüllt.

      Eine mit Marienkäfern (für sich…), eine mit Schmetterlingen, Eva´s Stammtasse. Briefchen mit braunem Zucker, eine Packung runde Schokokekse, auf die Küchendurchreiche gelegt.

      Irgendwie unwirklich hohl, hörten sich ihre Stimmen in dem leeren Raum an. Eva fühlte deutlich, wie deprimiert, sichtlich hergenommen, Marianne war. Das ausgeräumte Zimmer bedeutete für sie, in diesem Moment nur Abschied von ihrem Sohn. Seiner Kinderzeit und Jugend, seinen ersten, fast neunzehn Jahre.

      Ihren neuen, ungestörten, deutlich größeren Lebensraum, realisierte sie noch gar nicht.

      >Die Wand würde ich komplett verbauen, bis oben hin, aber sehr hell, eventuell sogar weis oder alabasterfarbig, damit es dich nicht erdrückt. <

      Eva zeigte auf die gegenüberliegende Seite des Raumes.

      >Was ich unbedingt will, ist einen Vorbau vor dem Fenster, über der Heizung, montieren lassen, dann kann ich endlich mehr, auch größere Pflanzen, direkt beim Tageslicht haben. Das wünsche ich mir schon lange. <

      Sie stand am Fenster, zirkelte mit ihren Armen, das angedachte Maß in die Luft.

      >Ja, und ein französisches Bett, so eines wie deines Eva, möchte ich mir anschaffen. Das langt zum Schlafen für zwei. Alleine fühlst du dich darin nicht so verloren. Dazu zwei passende Ablagen oder Nachtkästchen, ein Highboard rechts, neben der Zimmertüre, fertig. <

      Marianne hatte in groben Zügen eingerichtet.

      >Die antikvierte Deckenleuchte kannst du zum Sperrmüll geben Mädel. Da passt sie besser hin, als hierher zu dir. <

      Setzte Eva, mit Blick nach oben, hinzu.

      Natürlich, das Licht wollte sie ganz anders gestalten. Sich einen dimmbaren Schalter spendieren…

      Eva sah auf ihre Uhr, morgen hatte sie langen Samstag. Spät geworden, Zeit nach Hause zu fahren. Benjamin wird schon ganz ungeduldig auf sein Fressen aus der goldfarbigen Blechbüchse warten, die längst überfälligen Kuscheleinheiten einfordern. Marianne hatte es sichtbar gut getan, ihre Freundin bei sich gehabt zu haben. Begleitete Eva bis zur Lift Türe, knuddelte sie zum Abschied. Morgen würde sie die Mittagspause zusammen verbringen, vielleicht hatte sie schon passendes Mobiliar gefunden, das sie Eva zeigen könnte. Heute war es auch für sie an der Zeit, sich ihr Couchbett auszuziehen.

      Theoretisch konnte sie nicht mehr tun als – echt nur staubsaugen…

      Ein eigenes Reich!

      Aufwachen, kein Sohn der gähnend aus seinem Zimmer schleicht, ewig im Bad nicht fertig wird, den WC Spray prinzipiell nicht findet, oder wenn doch, wenigstens nicht verwendet. Niemand mehr da der mosert wenn es einmal, ausnahmsweise keinen Fruchtmilchdrink mit Mango im Kühlschrank gibt. Gibt es einen, ihm bis zum Ablaufdatum und darüber hinaus, keine Beachtung schenkt. Ihn letztlich sie trinken muss, obwohl sie Mango nicht ausstehen kann. Keiner mehr da, der zum Abendessen kommt, oder auch nicht, natürlich ohne sich irgendwie abzumelden. Keiner der morgens schon meckert, wenn Marianne Regionalsender hören will, statt HipHop und ähnliche, in ihren Ohren quälende Töne, die sie aus seinen Ohrstöpseln zwangsbeglückt mitbekommt. Weniger Wäsche wird sie künftig auch zu waschen haben, dafür mehr Taschengeld. Wie wohl ihre Mutter zurechtkommen wird, mit den verschwitzten Handballdressen von ihrem Enkel?

      Aufwachen, keine Anrufe, keine SMS von Horst mehr, wenigstens keines mehr, das sie lesen würde, auf das sie wartet, sehnsüchtig hin zitternd. Nein, vergessen hatte sie ihn nicht, wie auch, zu tief waren ihre Gefühle für ihn gewesen. Viel zu oft hatten ihre Träume, ihr das Trugbild, einer glücklichen, gemeinsamen Zukunft vorgegaukelt. Ihr in den schillerndsten Farben, Traumbilder ausgemalt, vorbei…

      Wirklich lange hatten sie sich gehalten, seine Rosen. Den Strauß, den er ihr, direkt an ihrem Geburtstag, überfallsartig ins Büro gebracht hatte. Fast zwei ganze Wochen lang, waren sie eine Zierde in ihrer Vase gewesen. Links von ihr, am Fenstersims gestanden. Bei ihrer Pflege eigentlich kein Wunder, sie liebte Blumen. Nur eine, die kleinste Knospe, war nie wirklich aufgeblüht, sofort vertrocknet. Sie hatte sie nicht mit dem restlichen Gebinde entsorgt. Sie lag jetzt vor ihr, zwischen ihrem Bildschirm und der Tastatur. Lag neben dem Bild von ihrem Sohn, das ihn im Handballdress, mit einem Pokal in der Hand zeigt. Wie hatte er da gestrahlt, wie glücklich war er gewesen, zum ersten Mal Sieger! Das war vor fast zehn Jahren gewesen.

      Eva war gestern bald heimgefahren, würde heute ein langer, stressiger Arbeitstag für sie werden. Monatserster gerade gewesen, die Leute hatten Geld. Zudem ein mieses Wetter. Nieselte lustlos aus grauen, tiefliegenden Wolkengebilden, zugleich blies ein unangenehmer Wind, von der wolkenverhangenen Nordkette herunter. Für viele shoppen der angesagteste Samstag Zeitvertreib. Marianne begann knapp nach acht Uhr mit ihrer Möbelsuche. Nicht im Internet, wollte selber angreifen können, was künftig ihr kleines Reich mit ihr teilen, es erst so richtig in ein kleines Paradies verwandeln sollte. Bis zu Eva´s Mittagspause, hatte sie bereits einen Packen Prospekte von Wandverbauten zusammengesammelt.

      Der unangenehm hohe Geräuschpegel im SB Lokal, in dem Eva, dank Mitarbeiterbonus günstig speisen konnte, für Mariannes Erklärungen, der denkbar ungeeignetste Ort. Morgennachmittag, nach dem Monatsbrunch mit ihrer Mutter, wird sie zu Eva fahren, hatten dann Muse, in aller Ruhe die Einzelheiten zu studieren. Die Angebote gleich preislich abzugleichen. Einschließlich der Kosten für Lieferung und Montage. Wenn sie geschickt verhandelte, konnte sie gutes Geld sparen. Clever verhandeln, als Einkäuferin ihr tägliches Brot.

      Eva wollte heute noch, sollte er dienstfrei haben, dann spätestens am Montag, den Ernst, einer der Haustechniker interviewen, ob er bei Marianne den neuen Boden legen, die Beleuchtungselektrik überarbeite würde. Eva kannte Ernst seit Jahren, hatte ihm öfter schon Jobs in der elterlichen Villa und bei guten Bekannten vermittelt. Er arbeitete sehr sauber, kannte sich in vielen Gewerken aus, verlangte echt nicht viel, gemessen an seiner Leistung. Zufällig kam er ihnen entgegengegangen, als sie auf den Weg zu Eva´s Modemarkt waren. Eva machte die beiden kurz miteinander bekannt, erläuterte Ernst, ihr Anliegen. Kein Problem, am Montag würde er gleich nach Dienst in Mariannes Wohnung kommen, sich einen Überblick verschaffen. Montag ging nicht, da hatte Marianne Italienischkurs. So hatten die beiden ein Rendezvous am kommenden Mittwoch, um 17 Uhr.

      Das sonntägliche Brunch Thema für Mariannes Mutter, ausnahmsweise nicht Todesanzeigen in der lokalen Presse, auch die neue Ordinationszeit ihres, selbst schon pensionsverdächtig alten Hausarztes, kam nicht zur Sprache, die Preiserhöhung der Rezeptgebühr, unterschlug sie ihrer Tochter ebenso, wie die Tatsache, dass ab sofort, eine neue Putzfirma, in ihrem Haus die Stiegen reinigen würde.

      Heute gab es für sie als alleiniges Thema, nur ihren neuen Untermieter. Die alte Dame war total aufgedreht, hatte sie ja plötzlich eine ganze Menge neuer, bisher völlig unbekannter Aktionen zu starten. Ja, und welch nette Freunde ihr Enkerl doch hatte, so gut erzogen, richtig solide Burschen. Sieht man heute nicht mehr alle Tage. Nein, da musst du lange suchen, so höflich und ruhig und hilfsbereit. Da sagen die Leute, die heutige Jugend ist nichts wert, so ein Schmarrn. Oma hatte sich warm geredet, war ganz in ihrem Element. Von ihren Einrichtungsplänen zu erzählen, soweit war Marianne in den gut zwei Stunden nicht ansatzweise gekommen. In die passive Rolle der Zuhörerin, zur bestenfalls fallweisen Jasagerin mutiert. Die Unterhaltungen der beiden, verliefen eigentlich selten anders. Da war der anschließende Nachmittag mit Eva schon viel konstruktiver. Auf deren leergeräumten Küchentisch, lagen alle, von Marianne organisierten Unterlagen ausgebreitet, inclusive Wohnungsplan mit Originalmassen. Als Wandverbau würden zwei Schränke, mit je einer Doppeltüre links