Martin Winterle

Brief an Marianne


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Marianne Reich, beigetragen. Der Ernst blieb noch auf ein Bier, dass ihm Marianne angeboten hatte. Setzten sich gemeinsam auf den Balkon, unterhielten sich über Gott und die Welt. Hatte ihm Eva´s Aschenbecher gebracht, damit er in Ruhe eine Zigarette zum Bier genießen konnte. Ein sympathischer Mensch, Ende Fünfzig, mit sehr natürlichen Ansichten, dachte sie. Vielleicht etwas einfach gestrickt, dafür ein Typ zum Anlehnen. Wäre, unter anderen Umständen, nicht zu verachten. Die Frau, die ihn an ihrer Seite hat, kann sich darüber sicher nicht oft beschweren. Aber auch Marianne konnte sich nicht beschweren. Konnte, wenn sie nur wollte, zwei Männer haben, an jedem Mittwochnachmittag. Brauchte nur mit den Fingern zu schnippen. Konnte auf den speziellen einen, locker verzichten, kam ihr trotzig in den Sinn…

      Warum kauerte sie dann, nur wenige Minuten später auf ihrer Couch, zusammengekrümmt wie ein armseliger Wurm, von einem heftigen Weinkrampf, nur so geschüttelt?

      „Somewhere My Love“ …warum musste Al Martino es gerade jetzt, in diesem Augenblick, aus ihrem kleinen Küchenradio heraus schmelzen lassen? Es war der Moment gewesen, eben dieser Song erklungen, zu dem Horst, sie eng an sich drückend, erstmals ihre Hand an seine Lippen geführt hatte, damals in der romantischen Kellerbar ihres gemeinsamen Hotels in Siena.

      Wo war Siena?

      Wie weit ist das alles weg, wie viel unendlich Schönes, noch viel mehr unsagbar Trauriges, hat ihr diese erste Dienstreise als zukünftige Einkäuferin gebracht. Tränenüberströmt stand sie auf, schob fahrig eine verklebte Haarsträhne aus dem Gesicht, ging ins Bad, ließ kaltes Wasser laufen, wusch sich ihr Gesicht, immer wieder mit frischem Wasser, bis sie langsam ruhiger, gefasster wurde.

      VORBEI MARIANNE!!!

      Übernächsten Samstag kurz nach acht, Damentreff bei Marianne.

      Beladen mit Farbkübeln, Rollen, Pinseln, Verlängerungsstange, Moltofill, Abdeckbänder, Leiter, weißem Lack, verschiedenen Tuben Pastellfarbe und vielem mehr. Lack und Dispersion hatte Eva eingekauft, alles andere ihrem Fundus entnommen. Wie gut, dass Ines´ Uraltpolo immer noch ein gültiges Pickerl hatte. Konnten mit offener Heckklappe die Leiter transportieren.

      Eva´s Mini hätte da wohl eher gestreikt.

      Während Eva gekonnt sämtlich größeren und kleineren Schäden an den Wänden, wieder unsichtbar machte, schmirgelte Ines, verkleidet in einem hellblauen Overall, mit modisch nicht ganz passenden, aber wirkungsvollem Schweißband in signalorange, wie besessen die Türstöcke matt. Die Hausfrau, in ihrem ältesten Jogger verpackt, half dabei nach Kräften. Eva hatte, vor Mariannes Wohnungstüre, ihre High Heels gegen passendere, Flip Flop getauscht. Da noch der alte Teppich im Zimmer lag, musste sie nichts abdecken, konnte klecksen so viel sie wollte. Marianne hatte eine süße Jause organisiert, dazu Tee aufgebrüht. Die gemeinsame Beschäftigung machte allen drei echt Spaß. Hatten immer was zu lachen, sei es nur über Ines´ grauer Schleifstaub in ihrem heute, vor Aufregung, ziemlich hochroten Gesicht. Zum Essen hatte Marianne griechischen Spinatstrudel in Blätterteig vorbereitet, der nur noch ins Backrohr musste, dazu eine Flasche leichten Rotwein. Nicht aus Griechenland, sondern aus dem Trentino. Erst wollten sie die Arbeiten abgeschlossen haben. Während Eva die Decke in strahlendes Weiß verwandelte, Marianne mit einer kleinen Walze alle Ecken und Kanten mit Farbe versorgte, rollte Ines, leise eine, immer gleiche Melodie, vor sich hin summend, einen Türstock nach dem anderen. Begann wieder beim ersten, zweimal deckt einfach besser, Ines´ fachlicher Kommentar dazu. Dann wurde, mitten im glänzend weißen Raum, Kriegsrat gehalten. Welche Pastelltöne für wohin? Passend zur Farbe des französischen Bettes, wurde der Hintergrund in einem hellen Orange, einstimmig zum Sieger erklärt. Zum Favoriten für die rechte Wand, oberhalb des Highboard, ein Hauch von lindgrün, gemischt von Eva aus der Tube, gekürt. Damit gab es erstmal eine neue „schräge“, nur hieß sie Eva, nicht Ines. Der linke Rand des zarten Pastellgrüns hatte eine leichte Schräglage. Eva korrigierte lachend. Gestern waren bereits die Parkettbretter samt Zubehör geliefert worden. Ein cooles Lichtelement aus Alustangen mit mehreren, verschiebbaren, kleinen Leuchten, dazu absolut fetzige Schalter und Steckdosen, im selben Aludesign, lagerten, bereit zur Montage im Wohnzimmer. Sie hatte sie vor einer Woche beim Kaufhausbummel entdeckt, gleich mitgenommen. Während die Türstöcke langsam ihren Trockenglanz erhielten, die Farben ihre dunklen, glänzenden Feuchtigkeitsflecken auflösten, ließen sich die drei Meisterinnen, das vorzügliche, griechisch inspirierte Abendessen schmecken. Mit einem Glas Wein hatten sie angestoßen, auf Mariannes neues Reich, auf ihre Freundschaft und auf…das Leben…

      Wieder einmal Mittwoch, genauer Mittwochnachmittag in Mariannes Schlafzimmer.

      Leuchtschiene, Schalter und Steckdosen waren montiert.

      Ernst war wirklich zu gebrauchen. Gerade schnitt er den Teppichboden in Streifen, klebte Packband um die handlichen Rollen. Sie trug sie vor das Haus zu seinem Auto hinunter. Es war eine Freude, dem Parkettboden beim Wachsen zuzusehen. Ziemlich verschwitzt, dafür mit seiner Arbeit zufrieden, verlegte der gute Ernst gegen 22 Uhr, das letzte Brett. Die Randleisten würde er montieren kommen, sobald die Möbel geliefert und aufgestellt sind, dann auch das Blumenfenster in Angriff nehmen. Sie war begeistert. Wie verändert sah das Zimmer heute bereits aus, frisch gemalt und ein traumhaft schöner, heller Parkettboden. Unglaublich groß, erschien der Raum plötzlich. Sie war echt glücklich, wie schon lange nicht mehr. Zwei Wochen später durfte sie erstmals probeliegen, auf einem Bett, das sie von Eva her bereits kannte. Mit dem einen, feinen Unterschied – das war ihr eigenes Bett!

      Zufall oder keiner, wieder Mittwochnachmittag, als ihre Liegewiese geliefert wurde. Schon wieder, diesmal gleichzeitig mit zwei Männern in ihrem Schlafgemach. Der Gedanke war ihr erst gekommen, als die männlichen Muskelpakete bereits gegangen waren. Amüsierte sich ehrlich darüber, dass es einen Mittwoch ohne Männer, für sie so gut wie nicht gab. Anscheinend gab es Mittwochnachmittag Männer, wie Sand am Meer, auch für sie.

      Zwei weitere Wochen später, diesmal an einem Donnerstag(…wieso eigentlich nicht Mittwoch?), wurden die Schränke geliefert. Der an seinen Ecken leicht abgeschrägte Spiegel mit integrierten Leuchten, faszinierte Marianne am meisten.

      Nun konnte sie ihr Zimmer einräumen, alles neu, alles das erste Mal. Sie hatte ein eigenes Schlafzimmer, nur für sich alleine, nach so vielen Jahren. Konnte es kaum fassen. Viel hätte nicht gefehlt und sie hätte Purzelbäume geschlagen.

      Es roch wieder anders, als nach dem malen, anders auch als das Bett geliefert wurde. Der viele Platz, den sie nun hatte, Stauraum ohne Ende. Wochenlang würde sie nun einräumen, wieder ausräumen, um dann doch wieder alle ihre Klamotten und anderen Krimskrams, so zu verstauen, dass sie auch das Passende fand, wenn sie danach suchte. Die neuen Vorhänge, aus schwerem, dunkelrotem, blickdichten Stoff und der geraffte Store, den sie bereits passend genäht bestellte, werden sich echt gut einfügen, war sie sich sicher.

      Natürlich wurde Eva sofort, diesmal anschließend auch Ines, kaum dass sie alleine war, angerufen. Sie musste ihre Freude ja schnellstens mit jemanden teilen. Eva und Ines hatten einen bedeutenden Anteil an ihrem gelungenen Wohnungsneustart.

      Am Wochenende würden sie sich bei ihr treffen. Ines hatte für Samstag noch einen nicht bestätigten Kundentermin, es könnte also Sonntag werden. Warum nicht einen deprimierenden Sonntagabend, in einen, sicher lustigen, zu dritt verwandeln?

      Marianne überlegte nicht lange, was sie vorbereiten, kochen könnte. Toasts mit Ananas, Schinken, Käse, dazu Saures und frischen Salat würde sie anbieten. Zwei SMS später, war diese Idee bereits begeistert angenommen worden…

      Mit verschränkten Armen lehnte sie am Türstock, wieder einmal Mittwochnachmittag.

      Ernst montierte gerade den Heizungsüberbau, ihr neues, großes Blumenfenster, hatte die Bodenleisten bereits verklebt. Somit der letzte Akt, dann war ihr neues Reich komplett. Nun wird es für sie, so schnell, keinen Mittwochnachmittag Mann mehr geben. Hatte sie sich nur abgelenkt, war sie nur, vom Schicksal der Zeit, weiter getrieben worden?

      War der, für sie letztlich doch emotionale Auszug ihres Sohnes, die Feierlichkeiten zu ihrem vierzigster Geburtstag, die unvergessliche Hamburgreise, die vielen, verschiedenartigen Aktivitäten die notwendig waren, um so ein schönes Zimmer zu besitzen, nur Ablenkung gewesen?

      Konnten