Martin Winterle

Brief an Marianne


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und Donner. Der Rest war nur noch zermürbend…

      Da hatte eine Neue im Betrieb angefangen. Hieß Sabine, Anfang Zwanzig mit schulterlangen, blonden Haaren, bis zum Boden reichende Storchenbeine. Zwischen den beiden knisterte es von Anfang an, Tendenz steigend. Er nur zu feige gewesen, den ersten Schritt zu wagen. Angesehen hätte es ihn längst schon. Wenn er, was zunehmend seltener wurde, mit Ruth schlief, gaukelten ihm seine Wunschträume vor, wie es mit Sabine wäre.

      Und es war ganz anders…

      In Strömen hatte es gegossen, als Sabine nach der Präsentation, neben Horst die Firma verließ.

      Da hat er ihr angeboten, sie mit dem Dienstwagen heim zu fahren. Gefragt, ob sie noch Zeit auf einen Drink hätte, da die Konferenz fast eine Stunde früher, als geplant, zu Ende ging. Nicht er, nein, Sabine legte mit flirten los, auf Teufel komm raus. Er fühlte sich geschmeichelt, sein Ego, und nicht nur dieses, befand sich plötzlich in einer Wachstumsphase, wie er es noch nie vorher, in seinem Leben gefühlt hatte. Sie blieben gleich, wo sie waren, auf dem von keiner Seite einzusehenden Parkplatz hinter dem Café, im Auto. Wie Sabine es schaffte, mit ihren langen Beinen, war ihm ein Rätsel gewesen, aber es hatte funktioniert.

      Und wie es ging, explosionsartig…

      Der gute Horst schwebte in den Wolken, saß dafür sprichwörtlich, zwischen zwei Stühlen.

      Fast wöchentlich hatte er ab sofort einen abendlichen Schulungstermin in der Firma. Hatte Ruth doch gemeint, er solle sich endlich weiter bilden. Die Unterlagen dazu, extra im Wohnzimmer deponiert, damit seine Gattin etwas Angreifbares zu sehen bekam. Der Kurs war echt, die angegebenen Zeiten weniger. Da es ihm beim Tennis spielen, ganz gewaltig an Kondition haperte, ging er nun wöchentlich einmal laufen, nahm jeden zweiten Freitagnachmittag Tennisstunden. Einmal half er am Wochenende diesem Kollegen beim Übersiedeln, drei Wochen später dem Nächsten beim Ausmalen. Sein Handy hatte er zuhause nur noch auf lautlos, angeblich um seine Ruhe am Feierabend zu haben. Ruth fiel seine fahrige Abwesenheit, sein verändertes, ungeduldiges Verhalten seinem Sohn gegenüber auf. Sie tat nichts anderes, als eins und eins zusammenzuzählen. Suchte nach der Ursache, begann instinktiv zu spionieren. Der Erfolg gab ihr Recht.

      Da Sabine, in der entgegengesetzten Richtung, von Horsts Firma und Reisegebiet aus gesehen wohnte, wäre viel kostbare Zeit damit vertan, für jedes Treffen in ihre Wohnung zu fahren. Als Superersatz für einen schnellen Quickie, bot sich ihr Stammparkplatz geradezu an. Einmal zu oft, hatten sie sich dort vergnügt. Ruth hatte es herausgefunden, war ihnen nach gefahren.

      Direkt neben dem Auto gestanden, mit eigen Augen sehen müssen, was Sabine zum Lutschen hatte, ohne das es ihr gehörte.

      Das war das Ende der Ehe, von Ruth und ihm gewesen.

      Er war zu Sabine gezogen. Die Scheidung eine kurze, einvernehmliche Lösung. Er besaß ja nichts, alles gehörte von Haus aus Ruth. Er musste für den gemeinsamen Sohn Alimente bezahlen. Ruth ging wieder halbtags arbeiten.

      Seither besuchte Horst seine Mutter nun tatsächlich wöchentlich einmal. Brachte ihr seine Hemden und Hosen zum Waschen und Bügeln. Sabine war weder willens noch in der Lage, seine Kleidung, die er beruflich anziehen musste, in Schuss zu halten. Wollte er Hausmannskost essen, empfahl es sich, selber zu kochen. Sabine designte lieber schnelle Gerichte aus dem Tiefkühlfach mit Fertigsahne aus der Sprühdose und sonstigem Schnickschnack. Was sie wirklich gut konnte, da stahl sie garantiert jeder Frau die Schau – sie konnte sich perfekt verkaufen – und, sie war eine Wucht im Bett, auf der Couch, am Küchentisch, im Auto…

      Nach einem Jahr hat sie Horst geheiratet. Es stimmt, den Antrag hatte er ihr gemacht. Die Vorarbeit dazu, war aber zu Neunundneunzig Prozent, Sabines Konto zuzubuchen. Vor nicht ganz fünf Jahren kam der erste Sohn, drei Jahre später der zweite, Nervtötkind Felix zur Welt. Der musste die Gene seiner Großmutter mütterlicherseits geerbt haben, Teile seiner Optik, übrigens auch. Logisch, dass er rasch zu Omas vergötterten Liebling avancierte.

      Sabine wollte raus aus der Mietwohnung, weg vom Stadtrand. Sie wollte ein Haus, wenigstens ein Reihenhaus, Neubau, mindestens so und so viel Quadratmeter, natürlich Terrasse, Garten, Garage usw. usf.

      Wie sie sich das vorstellte, hatte er sie gefragt. Ganz einfach, ihre Mutter würde ihnen Geld für die Anzahlung geben, auch einen Teil der Einrichtung bezahlen. Er werde wohl in der Lage sein für die monatlichen Kreditraten und Betriebskosten aufkommen, würden ja die Miete einsparen.

      So wurde es von Sabine und ihrer Mutter auch durchgezogen. Mitgeredet hatte er kaum etwas, wäre sicher nicht zu Wort gekommen.

      Dass sie ihre Garderobe weder bei C&A, H&M noch Adler erneuerte, vollkommen logisch. In solchen Läden fand sie nichts Passendes, in Innenstadtboutiquen dagegen leichter. Übervolle Biokübel, die er ausleeren durfte, gaben ihm erst zu denken, als sie zum zweiten Mal an Leibesumfang zunahm. Natürlich war es seine Schuld, dass sie so unförmig daher kam. Dafür forderte sie Liebesbeweise in immer steigernden Masse ein. Nicht ohne ihn für jede, noch so kleine Nachlässigkeit zur Schnecke zu machen. Damals hatte er sich schon öfter in den Hintern beißen können, dass er nicht mehr für seine Ehe mit Ruth gekämpft hatte. Warum hatte er seine Finger nicht von Sabine gelassen?

      Längst war ihm gedämmert, dass er vom Sex nicht abbeißen konnte, zu spät!

      Seinem Hund, einen Tierheimasylanten, hätte sie von sich aus, nicht einmal einen Napf Wasser hingestellt. Dafür konnte sie Stunden vor dem Spiegel, vor ihrem Laptop, beim Friseur oder am Gartenzaun mit den neuen Nachbarinnen verbringen. Ließ weder Tupperware- noch Kosmetikparty aus. Er war um jede Minute froh, die er außer Haus sein konnte. Tennis spielen, joggen, auf ein Bier mit alten Kumpels losziehen, hatte er nicht nach und nach, sondern unmittelbar mit Sabines erster Karenz, abrupt einstellen müssen. Ihre Vorhaltungen, Weinkrämpfe und Streitattaken, hatten schnell die gewünschte Wirkung gezeigt…

      Ja, und dann war diese Dienstreise nach Siena gewesen.

      Er hatte Marianne bereits am Antipasti Buffet gesehen. Sie war ihm sofort aufgefallen. Er stand anfangs Visasvis von ihr, umrundete die Gourmetinsel, um neben ihr zu stehen zu kommen. In einem Abstand von einem Meter, hatte er einen ungehinderten Blick auf ihren Rücken, ihre Frisur, das geschmackvolle Sommerkleid, ihre schönen Beine. Sah, wie sie sich genussvoll, die eine oder andere Leckerei auf den Teller legte. Als sie zur gegenüberliegenden Seite der appetitlich angerichteten Vorspeisenreihe wechselte, war er zurückgeblieben. An dieser Frau passte einfach alles. Er war hingerissen von dem, was zwei Meter vor ihm stand, mit ihren Augen, die aufgehäuften Köstlichkeiten abtastend. Als Marianne sich anschickte zum Tisch zu gehen, blieb er zurück, lud sich von dem auf, was gerade vor ihm stand, wählte nicht wirklich. Ging ja nicht, mit seinen Augen folgte er ihrem Weg zum Tisch.

      Bei der Erkenntnis, dass sie genau jenen Tisch ansteuerte, an dem er auch sitzen würde, rutsche ihm fast der Teller aus der Hand. Eine gegrillte Tomate machte es buchstäblich, dekorierte vollkommen unpassend, winzige gesalzene Sardellen. Den Bruchteil einer Sekunde später, realisiert er, sie würden nicht nur am selben Tisch speisen, sondern sogar gegenüber sitzen!

      Der warme Klang ihrer Stimme, mit der sie „Marianne, freut mich“ gesagt hatte. Ihre schönen, lebhaften Augen, die frische Hautfarbe. Horst war hin und weg gewesen. Das war kein Zufall, dass war Schicksal, nicht mehr und nicht weniger. Wie sehr hatte er, während des Essens, die Unterhaltung mit ihr genossen. Als sie dann einwilligte, mit in die Kellerbar zu gehen, war sein Puls auf 150 geklettert. Nachdem die beiden Kollegen, von deutschen Damen okkupiert wurden, blieben sie alleine. Als er sie, wenig später auf die Tanzfläche führen durfte, ihre Hände halten, sie an sich gedrückt spüren durfte, fühlte er sich ganz Mann. Musste sich zusammen reißen, um sie nicht schon in der Bar zu küssen. Als er es im Lift versuchte, sie ihm nur die Wange hingehalten, dafür aber ihre Handynummer gegeben hatte, war er sicher, seiner Traumfrau begegnet zu sein.

      Die halbe Nacht verbrachte er damit, gedanklich jeden Moment des vergangenen Abends, immer und immer wieder Revue passieren zu lassen. Wie sehr hatte er sich von diesem Tag an gefreut, wann immer er alleine war. Sie anrufen, ihr ein SMS senden, abends ein Mail schreiben konnte, sobald Sabine die Flimmerkiste angeworfen hatte. Alleine ihre Stimme zu hören, hob ihn buchstäblich, bis in