Martin Winterle

Brief an Marianne


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Mappe vor ihr geschrieben stand. Alleine, sie war nicht in der Lage, auch nur eine Vokabel zu lesen, konnte ganz einfach nicht. Heute hatte sich Horst noch nicht gemeldet. Sie sich bei ihm auch nicht. Es war ja 17 Uhr ausgemacht. Was hätte es also für einen Sinn gehabt, vorher ein SMS zu schicken?

      Ihr Sohn würde also zu seiner Oma ziehen, bereits in wenigen Tagen. Vorausgesetzt, dass er überhaupt im Lande war, nicht in seiner Studierstadt Leoben, würde er künftig einige hundert Meter von ihr entfernt leben. Sehen würden sie sich ganz bestimmt genauso oft, wie wenn er in seinem alten Zimmer bliebe. Sie würde endlich frei sein, ein eigenes, kleines Reich für sich ganz alleine haben. Wie sie sich wohl anfühlen wird, diese ungewohnte Freiheit?

      Sie konnte es sich noch gar nicht vorstellen.

      Komisch, dass ihr heute das Zubuchen der Rechnungen keine Entspannung brachte, an anderen Tagen ging das, wie von selbst, immer ganz relaxt. Heute nicht, ganz im Gegenteil, ihr unterlief ein Buchungsfehler nach dem anderen. Es war zum Verzweifeln, sie konnte sich nicht konzentrieren, schweifte immer wieder gedanklich ab. Ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit, holte sie sich eine Schale Kaffee im Verrechnungsbüro. Gleichzeitig das beste Testgebiet. Den drei dort arbeitenden Kolleginnen entging nichts. Sicher nicht einmal, etwas Schwarzes unter dem Fingernagel, geschweige denn ein um zwei Millimeter zu lange geratener Lidstrich. Um allen eventuellen Fragen oder Anspielungen bereits im Vorfeld, den Wind aus den Segeln zu nehmen, erklärte sie von sich aus, lediglich ihre Tage zu haben, neben ihren Schuhen zu stehen. Sonst sei alles paletti. So wurde sie nicht darauf angesprochen, dass ihr sonstiges Strahlen vermisst wurde.

      Zehn vor fünf öffnete sie die Toilettentür, frischte sich so gut es ging auf. Sah länger als gewöhnlich in den Spiegel.

      Ihr Spiegelbild bekräftigte, dass sie Klarheit haben musste. Wissen, woran sie mit Horst war. Dann würde sie entscheiden, ob überhaupt, wenn ja, wie es eine weitere Beziehung mit ihm geben könne. Ein kurzer Blick durch das Gangfenster auf die Straße hinaus genügte. Er parkt gegenüber, trommelte nervös mit seinen Fingern auf das Lenkrad. Sah dabei permanent in Richtung, zu ihrem Büroeingang. Sie atmete tief durch, gab sich einen Ruck, machte ihr Büro dicht und ging.

      Einer schwierigen, entscheidenden Begegnung entgegen…

      Horsts Blick war angespannt, als sie aus der Tür trat, die Straße überquerte, sich zu ihm ins Auto setzte. Er wollte sie, wie üblich in den Arm nehmen, zu sich herüber ziehen und küssen. Sie machte sich steif wie ein Brett. Nur einen halben Kuss konnte er auf ihrer linken Wange platzieren.

      >Liebes, was ist los mit dir? Du machst mir echt Angst! Was um Gottes Willen ist denn passiert? Habe ich etwas falsch gemacht, dir etwas Unrechtes getan? Bitte sprich mit mir, klär mich auf. Ich kenn´ mich nicht mehr aus, weiß mir keinen Rat mehr! <

      Er machte einen sichtlich fertigen Eindruck.

      >Gib endlich Gas, will nicht mit dir gesehen werden, unsere Fenster haben Augen. Fahr auf den Parkplatz hinter dem WIFI, dann reden wir. <

      Mehr sagte sie nicht. Sie sah während der ganzen Fahrt zum Fenster hinaus. Versuchte sich auf das kommende Gespräch vorzubereiten. Es fiel kein einziges Wort, bis Horst in den großen Parkplatz einfuhr, sich als einziges Auto in weitem Umkreis, in der letzten Reihe, unter einen jungen Ahornbaum einparkte. Hier waren sie ungestört. Sie hatte tief Luft geholt, gewitterartig entladen:

      >Du bist verheiratet und hast zwei kleine Buben mit deiner Sabine!

      Wie konntest du da noch ein Verhältnis mit mir anfangen?

      Hätte ich das gewusst, hättest du in Siena keine Telefonnummer von mir bekommen, da kannst du dir vollkommen sicher sein!

      Mir erklärst du, dass ich die einzige Frau bin, die du liebst, wie sehr du mich liebst, wie einmalig ich für dich bin, und liegst jede Nacht bei deiner besseren Hälfte im Bett!

      Wahrscheinlich habt ihr euren Sex auch regelmäßig!

      An was denkst du denn, wenn du auf deiner Sabine liegst, vielleicht an mich?

      Echt, ich finde du bist ein Schwein, Horst!

      Denkst du gar nicht an deine beiden Buben. Daran, dass sich ihre Eltern scheiden lassen, sobald Sabine deine Liaison mit mir spitz kriegt?

      Ich möchte jetzt echt von dir wissen, wie du die Begriffe Treue und Verantwortung definierst.

      Wahrscheinlich existieren sie für dich gar nicht!

      Natürlich hast du deswegen am Wochenende nie Zeit für mich, darfst nicht angerufen werden.

      Von wegen Arbeit, und mit deinem großen Sohn zur kranken Oma müssen!

      Schäm dich, du lügst, sobald du den Mund aufmachst, hast mich von Anfang an belogen und hintergangen!

      Du bist sowas von gemein und hinterhältig, ich hätte dir das nie zugetraut, mir das gar nicht verstellen können, nicht bei dir!

      Wie konntest du mich so im Unklaren über deine Verhältnisse lassen.

      Sabine als Nummer eins und ich als deine Mätresse, nicht mit mir, könnte dir super in dein Ego passen, spielen sie aber nicht, vergiss es!

      Ich blöde Kuh hab´ deinen Liebesschwüren geglaubt, mich dir hingegeben, mit dir geschlafen!

      Echt Horst, ich will dich nicht mehr sehen, nie mehr, mir graust vor dir!

      Hab keinen Bock mehr auf Mittwochnachmittage und das war´s wieder für die ganze Woche!

      Danke, ich verzichte! <

      Marianne hatte sich in Rage geredet, war vollkommen rot angelaufen. Aber keine einzige Träne war geflossen. Sicher, sie hatte ihre ganze Munition auf einmal verschossen, das Horst-Schiff damit vollständig manövrierunfähig gemacht. Nun war es heraus, wie ausgekotzt. Gesagt, was heraus musste. Irgendwie war sie erleichtert. Hatte ihn, während sie ihm ihre Vorhaltungen ins Gesicht schleuderte, keine Sekunde aus den Augen gelassen, sein Minenspiel beobachtet.

      Er war abwechseln blass, dann wieder rot geworden. Seine Schläfenadern standen hervor. Ihrem zornigen, enttäuschten Blick hatte er nicht standgehalten. Hielt ihn nicht aus, zuckte völlig fertig zusammen. Starte auf seine, um das Lenkrad herum, verkrampften Hände. Woher hatte sie so plötzlich Wind bekommen, von Sabine und den Jungs?

      Wer hatte ihr das zugetragen, steckte dahinter?

      Als sie mit ihren Vorwürfen zu Ende war, sah er sie kurz, schweigend an. Begann nach einer langen Minute, stockend heraus zu stottern. Leiser und unsicherer, als sie es von ihm gewohnt war. Sie ließ ihn nach Worten ringen. Er hatte sie ja auch nicht unterbrochen…

      Ruth war Dreiunddreißig gewesen, er Siebenundzwanzig als sie sich bei einem Dorffest kennen gelernt hatten. Die dunkelhaarige Dirndlträgerin war ihm sofort ins Auge gestochen. Sie einfach zum Tanzen aufgefordert, den Rest der Nacht, nur noch mit ihr, den Tanzboden betreten. Bei beiden wirklich Liebe auf den ersten Blick gewesen. Sie wollte einen Mann und Kinder, er endlich wieder eine Frau im Bett. Horst war Vertreter, Ruth Sachbearbeiterin. Sie hatte von ihrer Großtante einiges Geld geerbt, besaß eine gediegen eingerichtete, familientaugliche Dreizimmereigentumswohnung, ein nagelneues Auto und Bares. Er hatte seinen Charme spielen lassen, sie angebaggert und abgeschleppt. Nein, gleich ging bei Ruth nichts, als er sie nach einigen Wochen soweit hatte, war sie keine Enttäuschung im Bett. Ruth kochte wie ein Weltmeister, besaß zudem die denkbar sauberste Wohnung. Konnte aus jedem verdienten Schilling fast zwei machen, war stets fröhlich und ausgeglichen.

      Kein Jahr später tauschten sie die Ringe, Horst unsicher und nervös, Ruth mit leichter Wölbung unter ihrem Brautdirndl. Fünf Monate später waren sie zu dritt. Ruth übernahm von Anfang an die Führungsrolle in ihrer Ehe. Er passte sich ihr, ihren logischen Vorgaben an, weil diese auch zu seinem Besten waren. Je länger sie zusammen waren, desto offener wurden ihre, anfangs nur angedeuteten Vorwürfe, seinen Lebensstil betreffend. Hatte er Alkohol getrunken, was freitags fast regelmäßig vorkam, stoben gelegentlich die Funken. Beruflich solle er sich weiterbilden, entweder mehr im jetzigen Betrieb einsetzen oder sich um eine bessere Position umsehen. Nach gut neun Jahren Ehe war ihre Beziehung zu einem inhaltslosem Raum,