Martin Winterle

Brief an Marianne


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aber doch bereits um einiges ruhiger.

      Eva drehte den Laptop auf ihren Knien so weit, dass Marianne bequem mitschauen konnte. Sie hatte die Webseite der Firma H.Hermann & Partner geöffnet. Bei Horsts Bild wurde Marianne um ihren Mund herum um eine Nuance blasser. Den Peter kannte sie ja nicht, aus diesem Grund ließ Eva dessen Foto etwas länger stehen, damit Marianne sich ein besseres Bild, von seinen Schilderungen machen konnte. Peters Konterfei strahlte die notwendige Glaubwürdigkeit aus. Eine Zeitlang schwiegen beide. Eva hatte den Laptop geschlossen, neben ihr auf den Boden gestellt…

      >In drei Wochen hast du deinen Runden, ich wollte es dir eigentlich noch nicht verraten, aber es hat sich heute etwas ganz massiv in deinem Leben geändert, darum sage ich es dir jetzt gleich. Es ist mein Geschenk für dich. Ich freue mich irre auf diesen Trip mit dir. <

      Eva versuchte ein Lächeln zustande zu bringen, streichelte Marianne über den Arm, sah sie aufmunternd an und sagte in bewusst aufgedrehtem Tonfall:

      >Wir beide, du und ich fliegen am Freitagnachmittag nach Frankfurt, von dort nach Hamburg weiter. Abends gehen wir auf die Reeperbahn und lassen voll die Sau heraus. Am Samstag ziehen wir los, shoppen und bummeln ausgiebig. Um 14 Uhr ist große Hafenrundfahrt angesagt.

      Und gehen am Abend…ich habe zwei Karten…für was denkst du… natürlich für den „König der Löwen“…mit anschließender open end Party! Sonntag schlafen wir uns erstmal gründlich aus. Brunchen bis Mittag und fliegen am späten Nachmittag dann wieder retour! Was sagst du nun? <

      Eva hatte zu Mariannes Vierzigsten diese Events schon lange geplant. Über Internet mit Frühbucherbonus längst reserviert und bezahlt. Alle Punkte für dieses komplette, unvergleichliche Programm zusammen geschrieben, einen lückenlosen, abwechslungsreichen, spannenden Terminplan gebastelt.

      Marianne lächelte, halb abwesend halb dankbar, fiel Eva um den Hals, war total gerührt und fing erneut an…haltlos zu weinen.

      Eva war nicht bereit, thematisch sofort weiter in Richtung Horst zu denken, elendslang zu diskutieren.

      Setzte alles daran, Marianne auf andere Gedanken, vor allem mit beiden Beinen auf den Boden der Tatsachen zu bringen, dort auch festhalten.

      Resolut stand sie auf, nahm ihre Freundin bei beiden Händen.

      Zog sie in die Höhe, knuddelte sie einmal kräftig.

      >So, die Bionudeln warten auf deine Kochkünste, Sugo kocht sich ebenfalls nicht von selber und für einen exquisiten Salatmix findet sich alles im Kühlschrank. Komm ich hab langsam Hunger, du sicher auch. Geh ‘du schon voraus in die Küche, ich werd´ einen Sprung in den Keller machen, Paps hat so viele grüne, halb verstaubte Flaschen gebunkert, dass wir ihn heute um eine erleichtern werden. <

      Eva zwang sich zu Tatendrang, ersetzte sinnloses Weitergrübeln durch Aktivitäten. Marianne ließ sich einfach mitreißen. Sie war Eva so dankbar, einfach dankbar dafür, dass sie in diesem Moment bei ihr war. Eva war einmalig in ihrer Art. Eine bessere Freundin gab es nicht, konnte es gar nicht geben. Sie hätte diese Nachrichten alleine niemals ertragen können, es war trotz Eva´s Anwesenheit, kaum zum Aushalten.

      Die gemeinsamen Vorbereitungen für ein schmackhaftes, italienisches Spätnachmittags-Vorabendessen, lenkten sie wirklich von den gehörten Horrortatsachen ab. Mit jeder Minute die verging, wurde sie ruhiger, bekam mehr Abstand, sah klarer…

      Wusch knackige Cocktailtomaten, frische Puntarelle, Chicoreé und Radicchio im Spülbecken, legte sie zum Abtropfen beiseite. Mischte Bärlauch Pesto mit Pinienkernen, rieb frischen roten Pfeffer und Meersalz, gab Himbeeressig und eine Winzigkeit Olivenöl dazu. Der Salat war ein Gedicht geworden. Eva hatte Mamas Rezept für die absolut ultimative Pasta Asciutta perfekt umgesetzt. Parmesan würden sie frisch auf die Pasta reiben, vorbereitet hatten sie ihn bereits. In der Küche duftete es identischer, als bei jedem Italiener. Die Internet-Bio-Spaghetti erwiesen sich als unterdurchschnittlich. Im Supermarkt hätte es, um erheblich weniger Geld, mit Sicherheit, die schmackhafteren gegeben.

      Benjamin glaubte sich daran zu erinnern, dass Frauchen immer seine große, ja seine einzige Liebe war(wie konnte er je daran zweifeln…). Seinen Kopf durch den Spalt der angelehnten Küchentüre drückend, stand er, Schwanz hoch, mitten auf den schwarz/weißen, frisch eingelassenen Küchenfliesen, sah unschuldig wie ein Neugeborenes, zu Eva hoch. Natürlich bekam er dafür sein Schlüsselchen. Mehr Pasta Asciutta und weniger Trockenfutter, hatte er schon erwartet. Bei diesen verführerischen Düften auch erwarten dürfen. Nur, mit Selbstbedienung, durch einen eleganten Sprung auf den Küchentisch, hätte er auch nicht mehr erreicht. Eher eine unsanfte Landung auf dem Boden der Realität riskiert. So genoss er, was Eva ihm in seine Futterecke, unter dem Fenster hinstellte. Wenigstens bekam er frisches Wasser. Schmeckte garantiert besser, als diese rote Flüssigkeit, in den grünlich schimmernden Gläsern, mit denen die beiden Ladys gerade anstießen.

      Eva und Marianne genossen ihre mediterrane Mahlzeit sichtlich. Letztere schien gefasst, wenigstens nach außen hin, ruhiger geworden zu sein. Zum italienischen Abschluss, gab es Mokka für zwei, eine Genusszigarette für Eva.

      Marianne rauchte nicht, hatte nie geraucht.

      >Mädel, weißt du, was wir nach dem Abwasch machen? Wir gehen den unteren Waldweg bis zur Brücke vor, steigen dann hinauf zum neuen Kloster, marschieren oberhalb vorbei, auf den Forstweg wieder zurück, was hältst du davon? Ich denke etwas Bewegung in der frischen Waldluft wird uns jetzt gut tun. Vielleicht nützt es was, wenn wir unser Gehirn etwas auslüften. <

      Eva´s spontaner Vorschlag. Marianne war es recht, zustimmend nickte sie.

      Eine halbe Stunde später waren sie los gezogen. Die ersten paar hundert Meter schweigend. Dann meinte Marianne, resignierend, mit zusammen gefallener Stimmung:

      >Was um Gottes Willen soll ich jetzt machen? Ich liebe Horst und er liebt mich. Ich spüre das doch, ich täusche mich ja nicht, mit meinen Gefühlen. Es hat ganz klein angefangen und nahm immer mehr und mehr Raum in meinem Denken und Fühlen ein, bis es jetzt mein ganzes Ich beherrscht. Wie werde ich damit fertig? Ich sterbe so schon vor Sehnsucht nach ihm! <

      Presste sie unter Tränen heraus.

      Eva sagte nichts, dachte angestrengt über eine Lösung nach. Mit zu Boden gerichteten Blick, bei jedem Schritt ihre Schuhspitzen fixierend, ging sie neben Marianne her. Plötzlich blieb sie stehen, drehte sich ihrer Freundin zu, sah sie an:

      >Leider bist du nicht ich, schade. Ich an deiner Stelle hätte in dieser Situation exakt zwei Möglichkeiten zur Auswahl. Einmal könnte ich sofort Schluss machen, würde ihm auch klipp und klar sagen warum. Die andere Möglichkeit wäre, mich mit der Situation abzufinden. Dann hätte ich einmal in der Woche Sex, Telefonate, Mails und SMS, das war´s. Allerdings würde ich mich in diesem Fall als frei und zu haben betrachten. Was ich sicher nicht täte, weiterhin Gefühle in diese Beziehung investieren. Auch alle Varianten von Zukunftschancen würde ich gleich begraben. Ja, sie nicht einmal in Erwägung ziehen. Was würde dich denn erwarten, er ist das zweite Mal verheiratet, hätte insgesamt drei Kinder, für die er zahlen müßte. Überleg bitte einmal, dem bleibt nur die Unterhose, sonst nichts…und die dürftest du dann waschen. <

      Eva, mit etwas Abstand, leicht ironisch, dazu gefügt.

      Sie lehnten nebeneinander aufgestützt auf ihre Unterarme am breiten, hölzernen Geländer der alten Brücke, blickten auf den Bach hinunter. Sahen ihm zu, wie er die Steine umspülend sich einen Weg suchte. Die Abenddämmerung zog unmerklich herauf, es wurde frisch. Beide hatten irgendwie das Gefühl, dass der kleine Bach mit seinem frischen Sprudeln, ihnen einen klaren Gedanken, eine Lösung für Mariannes in der Tat überdimensionales Problem, heraufspritzen könnte, sollte, müsste. Leider vergeblich…

      Mariannes Handy läutete…es war Horst. Sollte sie abheben?

      Sie war nicht in der Verfassung, ihn jetzt zu hören, ließ es läuten. Gleich anschließend kam ein SMS von ihm. Er denke gerade intensiv an sie, möchte jetzt nur bei ihr sein, sie mit seinen Händen spüren, sie streicheln, ihre Stimme hören, bat um einen Rückruf. Hilflos sah Marianne Eva an. Die gerade versiegten Tränen, rannen