Martin Winterle

Brief an Marianne


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      >Mädel super, echt. Du hast viel zulange weder Sex noch Zuneigung gehabt. Gönn´s dir ehrlich…was mich an der Geschichte irritiert…du…bist nicht ich…bei mir wäre so eine Story normal…aber. Sag, was weißt du den von den Lebensumständen dieses Horsts? Ist der wieder verheiratet? Hat er noch weitere Kinder? Zeig mir mal die Visitenkarte. <

      Bat sie Marianne.

      Marianne kramte sie aus ihrer Geldbörse. Eva studierte sie genau, kopierte sie in ihr Gedächtnis.

      >Hast du ihn schon einmal gegoogelt? <

      Interessierter Augenaufschlag von gegenüber.

      >Nein, wozu sollte das gut sein, ich kann ihn ja fragen, wenn ich was wissen will? >

      Antwortete Marianne, leicht verlegen.

      >Ach nur so, aus Interesse halt. Mich interessiert immer was der Google zu berichten hat. <

      Eva hatte seinen Namen längst in ihrer Hinterkopfdatei gespeichert, das wusste Marianne. Eva besaß ein phänomenales Namens - und Zahlengedächtnis, konnte jedes Detail behalten. Marianne merkte sich Gesichter und Begebenheiten leichter als Zahlen und Nahmen.

      Für Samstag verabredeten die Freundinnen eine gemeinsame Putzparty in Eva´s verstreuten Räumlichkeiten mit anschließenden Pasta asciutta kochen. Eva hatte eine neue Sorte von Bionudeln aus dem Internet bestellt, diese mussten unbedingt getestet werden, waren ja teuer genug gewesen…

      Der Italienischkurs, für längere Zeit nun Mariannes Montag- und Donnerstagabendprogramm, war ausgebucht. Eva hatte sie pünktlich, fünf Minuten vor sieben, vor der Eingangstüre abgesetzt. Die fünfundzwanzig Teilnehmer, bis auf drei männliche Wesen, ausnahmslos Damen. Marianne sah sich um. Es war kein, ihr bekanntes Gesicht unter den „Mitschülern“. Mit ihren Vierzig Jahren war sie, abgesehen von einer deutlich älteren, etwas zu geschönten Lady, genau genommen, die zweite Seniorin.

      Darüber staunte sie ein wenig. Es spornte sie aber gleichzeitig an, so viel als möglich, aus den zwei mal drei Stunden in der Woche zu profitieren. Der Kurs war nicht gerade billig, wurde aber von ihrer Firma bezahlt. Das hatte ihr der Seniorchef zugesagt, es sei ja Weiterbildung im Sinne der Firma. Sie fand das echt großzügig, sah es als Anerkennung und Vorschusslorbeer für ihre künftige Position als Einkäuferin. Das hob sie ein wenig ab, von den meist nur halb so alten Mitstudierenden. Die vortragende Kursleiterin, eine überaus sympathische, gebürtige Italienerin aus dem Piemont, erklärte den Programmablauf, verteilte eine Lernmappe mit gut zwei Kilo, beschriebenen Papier in einem attraktiven blauen Ringbinder. Dazu eine Box mit drei Sprach-CDs, ein Deutsch-Italienisch Wörterbuch – und zwei Reklamekugelschreiber des WIFI. Es konnte losgehen! Der Zeitplan sah vor, nach 80 Minuten lernen, 20 Minuten Pause, dann noch einmal dieselbe Zeit zu pauken.

      Ihr war es recht, den rauchenden Mitstreitern, konnten die letzten, der ersten 80 Minuten, nicht schnell genug vergehen. Deren Konzentration rutschte minütlich in den Keller.

      Die kalte Nachtluft erfrischte Marianne, als sie kurz nach 22 Uhr das Gebäude verließ, die neue Mappe unterm Arm.

      Der Stadtteil wirkte um diese Zeit wie ausgestorben. Eine alte Wohngegend mit überwiegend drei- bis vierstöckigen, unattraktiven Nachkriegsbauten.

      Was ihr an Geschäften aufgefallen war, eine Änderungsschneiderei, eine Tabaktrafik, ein, modisch sicher fragwürdiger, Friseursaloon, das war´s.

      Außer ihr standen sich nur zwei junge Kursteilnehmerinnen rauchend, ebenfalls wartend die Beine in den Bauch. Sonst war, abgesehen von einem alten Mann, der seinen lustlosen Dackel Gassi führte, keine Menschenseele zu sehen. Sie schaltete ihr Handy wieder auf laut und kontrollierte eventuelle Anrufe. Nichts.

      >Hallo Horst, du ich bin schon bei der Bushaltestelle, der Kurs ist ok. Ich schreib dir ein Mail, wenn ich daheim bin. Ich liebe dich, Bussi - deine Maus. <

      Sendete das SMS, steckte ihr Handy ein, suchte den Fahrschein heraus. Der Bus hielt gerade, direkt vor ihrer Nase…

      Der smarte Peter

      Marianne hatte ihrer besten Freundin gebeichtet, wer das lebende Souvenir von Siena war.

      Ihr auch erklärt, warum sie bisher dazu geschwiegen hatte. Nun, da sie sich ihrer Gefühle sicher war, oder wenigstens glaubte, sicher zu sein, musste es heraus. Anfangs erzählte sie stockend, dann immer fliesender. Zuletzt sprudelte es nur so aus ihr heraus. Eva sollte mitfühlen, welches Glück es für sie bedeutete, endlich einmal so geliebt und begehrt zu werden. Sie musste es in allen Einzelheiten mit Eva besprechen, ihre Eindrücke loswerden. Ab diesem Abendessen mit Ihrem Seniorchef, bis zum gestrigen, eigentlich unbeschreiblichen Nachmittag. Marianne war, trotz dieser angeblichen Unbeschreiblichkeit, eine wirklich sehr farbige Beschreibung gelungen, fand Eva…

      Deren Arbeitstag begann erst um zehn Uhr. Los würde im Laden heute nicht viel sein. Es war um die Monatsmitte ja selten der große Run. Die Frühjahresmode bereits etwas ausgesucht. Die modebewussten Damen hatten längst gewählt. Was blieb war Laufkundschaft. Wenn sie also etwas später kam, in ihrer Position, auch ok.

      Sie hatte die Gewohnheit, ihren PC selten abzuschalten. Lief auf stand by ganze Nächte durch. Die letzte war er ebenfalls auf Posten gestanden, ohne eine einzige, noch so kleine Aufgabe zu erhalten. Dafür setzte sich Eva jetzt davor, sah nachdenklich aus dem Fenster, auf die Stadt hinunter. Smog lag heute, dicht wie Watte über der City, der Preis dafür, wenn der Föhn nicht blies. Wahrscheinlich würde es heute zu regnen beginnen, aber erst später, nicht gleich. Der Radio hatte wenigstens solchen gemeldet. Eva schlürfte an ihrem Kräutermixtee, angelte sich mit der Zunge ein Stück, nicht aufgelöstem Kandiszucker aus der Tasse, lutschte das süße Etwas, ganz in Gedanken versunken…

      Ach ja, darum saß sie vor dem Bildschirm. Gerade war es ihr wieder eingefallen. Google, ihr erweitertes Gehirn sollte ihr ein paar Fragen beantworten.

      Sie gab Horsts Namen ein. Google war sparsam, nicht einmal eine Telefonnummer. Aber ein Foto gab es immerhin.

      Sie versuchte erst einmal, sich diesen Mann in Natura vorzustellen. Analysierte seine Gesichtszüge. Er gefiel ihr nicht, soviel zum ersten Eindruck, der ja oft im Leben der entscheidende sein soll. Im Gegensatz zu Marianne, kannte sie sich mit Männer aus. Hatte eine lange Vergleichsliste.

      Für diesen Typ hätte sie keinen Abend geopfert. Da hätte es überfeucht hergehen, sie sich in einer Notlage befunden haben müssen. Sonst mit Sicherheit, nein danke, kein Bedarf.

      Über dieses Foto kam sie zu Horsts Brötchengeben – H. Hermann & Partner. Eva wählte die Homepage dieser Firma.

      Exklusive Präsentation, das gab sie neidlos zu. Ihre Firma, obwohl international am Markt, konnte bei dieser Qualität nicht mithalten. H.Hermann & Partner schien eine Adresse für Qualitätsweine zu sein, die sicher zu den Besten im Lande zählte. Der Firmensitz lag in Oberösterreich, die Foto Show zeigte Weingärten und Verarbeitungstechniken, Gebäude, Verwaltungs- und Verkaufsräume, Lagerkapazitäten und -Mitarbeiter.

      Chef war ein gewisser Dipl.-Kfm. Heinz Hermann, eine sympathische Erscheinung mit gewinnenden Lächeln, wenigstens auf dem Foto, Eva´s Kennerblick. Es folgten, regional von West nach Ost, die Betreuer im Außendienst. Als Zweiter grinste Mariannes Eroberung vom Bildschirm. Natürlich war nichts Persönliches über die Mitarbeiter zu erfahren, lediglich Reisegebiet, Telefonnummer, Mailadresse, fertig. Aber immerhin, Eva studierte erneut ausgiebig Horsts Gesicht.

      Was gefiel ihr nicht, und was stieß sie überhaupt gleich ab?

      In Gedanken stand sie bereits, mit Schild und Schwert bewaffnet vor Marianne, um sie vor einem imaginären Unglück zu beschützen. Stellte es ihr doch gerade die Nackenhaare auf.

      Eva war aufgestanden, hatte ihr Kreuz durchgedrückt, für den bettelnden Benjamin ein Stück Trockenfutter aus der Dose, in der Küche geholt. Die Schale kandierter Früchte als verlängertes Frühstück, gleich mit ins Wohnzimmer gekommen. Das machte durchaus Sinn, denn durch Eva´s verstreutes Wohnen, wäre es zum Marathon ausgeartet,