Wolfgang Bendick

Mondschattenland


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aus. Als er uns sah, kam er auf uns zu-gerannt. Auch Frodo lief ihm entgegen, als ahnte er, dass dieser sein neues Herrchen würde. „Gefällt er dir?“ fragte Doris. „An selln möcht i au mal hobn!“ antwortete er uns. „Wir wollen auf eine lange Reise gehen, und der Hund ist dafür etwas zu klein. Wenn du willst und deine Eltern nichts dagegen haben, schenken wir ihn dir!“ Er schaute uns freudig an, drehte sich um und rannte zu seiner Mutter. Und Frodo gleich hinterher. Dann kam er mit dieser zu uns. Wir begrüßten uns und erklärten ihr die Situation. „Er hat seinen Impfpass, ist stubenrein und frisst auch keine Pantoffeln mehr. Er kommt gerade von Rom zurück!“, erklärten wir. „Jo wenn du versprichst, dich auch gut um ihn zu kümmern, dann derfst ihn hoben!“ Der Junge umarmte seinen Hund und rannte mit ihm davon. So fiel uns der Abschied leichter. Als wir dann die Alm hinter uns liegen hatten, merkten wir, dass uns beiden die Tränen liefen. Wir setzten uns unter eine Tanne legten einer den Arm um den anderen, lehnten die Köpfe zusammen und weinten erst mal wie Schlosshunde. Nie hätten wir gedacht, dass Abschied nehmen so schwer sein kann!

      Wir besuchten all unsere Bekannten, die an unserer Route lagen, und landeten in Görisried, wo wir schon vor drei Monaten mit dem Esel Halt gemacht hatten. Erna, das kleine Mädchen unserer Freunde, konnte schon laufen und gab uns viel Anlässe zum Lachen. Sie fing gerade an, die Sprache zu entdecken und erfand Wörter, die manchmal nur ihre Eltern verstanden. Das gab uns einen Einblick in das, was man Familienglück nennt. Vielleicht war es dies, was Doris dazu bewegte, nicht mehr reisen zu wollen. Eine Bedenkzeit einzulegen, um sich neu orientieren zu können, um herauszufinden, was sie wirklich wollte. Denn sie litt darunter, keinen Beruf zu haben und sie fühlte sich zu abhängig von mir. Also kamen wir überein, uns eine Weile zu trennen. Sie hatte vor, bei den Freunden zu wohnen. Mich selber zog es so sehr nach Osten, dass ich mich bald auf den Weg machen wollte. Das Mofa ließ ich bei unseren Freunden. Ich wollte per Anhalter reisen, zu sehr lastete noch die Erinnerung meiner Solo-Reise mit dem Seitenwagen-Gespann in meinem Gedächtnis. Unser Abschied voneinander war noch schmerzlicher als die Trennung von Frodo. Würden wir uns je wiedersehen? Wir versprachen unter Tränen, in Kontakt zu bleiben. Ich stopfte also nur das strikte Minimum in meinen Rucksack, frei nach dem heiligen Franziskus, kein Hemd zum Wechseln zu besitzen, und lief zur nächsten größeren Straße.

      Für mich war klar, dass dieses eine Pilgerreise werden sollte zu den heiligen Stätten des Ostens, nachdem wir gerade die des Abendlandes besucht hatten. Auch beschloss ich, auf dieser Reise sowohl auf Alkohol als auch auf Haschisch zu verzichten, um mit klarem Kopf all die Länder zu erleben. Seitdem ich damals Indien verlassen hatte, war mir klar gewesen, dass ich wiederkommen würde. Am liebsten hätte ich die Reise mit meiner Schwesterseele gemacht. Jetzt, wieder alleine, dachte ich, dass auch ich mich neu orientieren musste, und nichts war dazu besser als ein totaler Ortswechsel. Und als erstes Ziel meiner Pilgerfahrt nahm ich mir Jerusalem vor.

      Heimfahrende jugoslawische Gastarbeiter nahmen mich mit, dann waren es türkische. Die Strecke war mir ja schon weitgehend bekannt, hatte aber nichts von ihrem Reiz verloren. Als Mitfahrer hatte ich sogar eine bessere Gelegenheit, die Landschaft zu betrachten, als damals als Fahrer meines ‚Unglücks-Mammuts‘. So fand ich mich schon nach drei Tagen in Istanbul wieder. Ich wollte nicht lange bleiben, besuchte aber trotzdem die Blaue Moschee und andere. Ich war wieder einer der ‚Morgenlandfahrer‘ (siehe Herrmann Hesse: Die Morgenlandfahrt) und traf überall auf Gleichgesinnte, und freute mich über das Wiederauferstehen dieses ‚Bundes‘. Ich strich durch den Bazar, saß am Bosporus, besuchte Tarzan. Dieser erkannte mich gleich wieder und wir fielen uns um den Hals. Nach ein paar unbeschwerten Tagen in Istanbul nahm ich eine der noch übriggebliebenen verkehrenden Fähren und kam nach Kleinasien. Der Hauptverkehr ging jetzt über die neue Hängebrücke, über 1 Kilometer lang, die seit einem Jahr in schwindelnder Höhe den Bosporus überquerte. Selbst die Ozeanriesen erschienen wie Spielzeuge, wenn sie unter ihr hindurchfuhren.

      Auf der asiatischen Seite der Türkei ging es mit dem Trampen nicht besonders. Meist hielten Autobusse, deren Beifahrer einen unbedingt mitnehmen wollten, natürlich gegen Bezahlung, und sich kaum abwimmeln ließen. Ein paar europäische Fern-Lastzüge staubten vorbei, die Fahrer schienen mich nicht zu sehen, hinter ihrer Spiegelglas-Sonnenbrille. Es stimmte, was man mir gesagt hatte: Es war üblich beim Trampen etwas zu zahlen, ansonsten gab es Ärger. Ich kam nach Ankara. Von dort nahm mich ein leerer Kohlenlaster mit. Ich sollte auf die Ladefläche klettern, in den verbeulten Kippaufsatz. Als ich dem Fahrer klargemacht hatte, dass ich LKW fahren kann, winkte er mich in die Kabine und röhrte los. Er erklärte mir mit Gesten – eine andere Verständigung wäre vor Motorenlärm und Klappern, selbst, wenn ich Türkisch gesprochen hätte, unmöglich gewesen – das Funktionieren seines Gefährtes und fuhr bald an den Straßenrand. Dort wechselten wir die Plätze und ich durfte zeigen, was ich kann. So kam ich nach Konya, der Stadt der Derwische. In einer der vielen Moscheen ruhte ich mich in der Stille aus und las in meiner Koran-Übersetzung. Weit kam ich darin jedoch nicht, denn schon bald hatte mich ein Deutsch sprechender Türke ausgemacht und wir sprachen über die Offenbarung Allahs. Später nahm er mich zu einer Art Kloster mit, wo sich mit Rock und einer hohen Filzmütze bekleidete Derwische beim Klang eines fast hypnotisch wirkenden Gesanges und Musik in Trance drehten. Es schien mir, als läge ein leichter Duft von Haschisch in der Luft. Immer schneller, immer weniger willentlich, fast wie von irgendeinem inneren Automatismus gelenkt, einen Arm leicht gewinkelt nach oben gerichtet, den anderen in ähnlicher Weise von sich gestreckt, ‚kreiselten‘ sie. Der Kopf immer mehr zurück geneigt, der Blick verzückt oder die Augen geschlossen. Derwisch heißt Bettler. Sie gehören zu der Sufi-Bewegung, die als Gegenrichtung zum reichen und etablierten Islam entstand. Sie leben in gewollter Armut und in mönchsartigen Gemeinschaften. Sie versuchen, durch schnelles Drehen um sich selbst, in Ekstase zu kommen, damit Allah sie ganz erfüllen kann. Ich versuchte es auch. Aber, außer dass es mir bald schwindelig wurde und ich mich taumelnd auf den Boden setzen musste, kam nicht viel dabei heraus. Doch ich konnte mir vorstellen, wenn ich es schaffen würde, mich trotz meines Schwindels weiter zu drehen, dass es richtig ‚high‘ machen würde. Denn es war mir kurzzeitig, als hätte ich gehörig Haschisch geraucht, als ich auf den Boden sank. Ich müsste es schaffen, einfach weiterzudrehen… Aber dazu war mir im Moment nicht zumute, ich fühlte mich eher seekrank. Große Denker und Dichter sind aus dieser Geistesschule, dem Sufismus, hervorgegangen, wie Al Roumi, Omar Khayyan oder mein Lieblingsdichter Kahlil Gibran.

      Am nächsten Tag nimmt mich ein Auto mit Deutsch sprechenden Insassen mit. Sie wundern sich, dass ich nicht Zigaretten rauche. Dafür nehme ich gerne von dem glühend heißen Tee, den sie mir bei jedem Halt anbieten. Er wird in kleinen, einer oben offenen Eieruhr ähnlichen Gläschen serviert, dessen sich nach oben erweiterndes Glas man am Rand mit zwei Fingerspitzen hält, um sich nicht zu verbrennen. Man schlürft ihn in kleinen Zügen, um ihn etwas abzukühlen, oder man leert ein wenig in die winzige Untertasse, um ihn darin abkühlen zu lassen, wenn man es eilig hat. Aber das ist selten. Für einen Cay hat ein Türke immer Zeit! Irgendwo oben im Gebirge auf einem Pass bitte ich sie, anzuhalten. Mir ist nach Ruhe und Einsamkeit zumute. Sie verstehen das nicht und wollen mich in die nächste Stadt zum Essen einladen. Sie sprechen von Wölfen hier in den Bergen, und Räubern. Ich muss lachen. Hier oben ist niemand außer mir, erkläre ich ihnen. Ich steige dennoch in ein kleines Seitental hinunter, um nicht von der Straße aus gesehen zu werden und stelle auf einer leichten Erhöhung mein winziges Zelt auf. Lang noch, nachdem die Sonne in voller Pracht untergegangen ist, sitze ich davor und schau über die sich schemenhaft hintereinander reihenden Berge. Vollkommene Stille um mich, fast vollkommene Stille in meinen Gedanken, nur angenehm gestört von dem Bild meiner Schwesterseele. Wie gerne hätte ich sie jetzt an meiner Seite, würde ich mit ihr diesen unendlichen Sternenhimmel betrachten! Je länger ich schaue, umso tiefer wird er. Mir ist, als wäre ich mitten drin! Aber vielleicht blickt sie auch gerade nach oben und ihre Gedanken suchen mich. Bestimmt!

      Spät in der Nacht wache ich auf. Das Zelt hat sich bewegt. Es ist ein Geräusch in der Luft. Ein fernes Heulen ist zu hören, an und abschwellend, was schnell näherkommt. Ich strecke den Kopf hinaus. Stockdunkel, kein Stern mehr am Himmel. Das Zelt bläst sich auf, Staub dringt in meine Augen. Ich schaffe es gerade noch, den Reißverschluss wieder zuzumachen, dann ist es schon über mir. Zuerst nur ein Sturm. Das Zelt flattert und beugt sich bis auf den Boden. Ich lege mich zur Windseite, um es zu beschweren. Heftige Böen wechseln sich ab, aus allen Richtungen kommend. Ein paar Heringe müssen