gibt es zu Trinken und zu essen. Manchmal bin ich nahe am Verzweifeln. Aber das bringt auch nichts. Irgendwann geht es wieder weiter. Das ist die Tramper-Regel. Je länger man gewartet hat, um so eher hält einer an! Und so auch dieses Mal: Ein uralter, klappriger Laster mit hohen, hölzernen Seitenwänden, fast wie ein ausrangierter Viehtransporter. Er stoppt, jemand springt herunter, wirft meinen Rucksack nach oben und hilft mir beim Aufsteigen. Als ich über die Klappe klettere, sehe ich auf der Pritsche so zwanzig Leute, Männlein, Weiblein und Kinder. Letztere sitzen auf dem Gepäck, das am vorderen Teil aufgestapelt ist. Alle sind bunt gekleidet, anders als die Türken, bei deren Kleidung Grau und Braun vorherrscht. Sie sind dunkelhäutiger als die Einheimischen, es sind Zigeuner. Das kann ja lustig werden, denke ich mir, nur gut auf meinen Rucksack aufpassen! Die Männer und Burschen sitzen auf der einen Seite, die Frauen und Mädchen gegenüber auf der anderen. Die Männer stellen mir Fragen. Natürlich verstehe ich nichts. Ebenso wenig wie sie Deutsch oder Englisch verstehen. Die beste Verständigungsart ist immer noch lächeln, wenn Worte nicht weiterhelfen.
Bald zieht jemand ein Zupfinstrument heraus und beginnt zu spielen. Die anderen fangen an zu singen. Als sie eine Pause machen, nehme ich meine Mundharmonika und spiele ein paar deutsche Lieder. Jetzt will jeder die Harmonika sehen und hineinblasen. Das gibt eine Menge falsche Töne und Gelächter. Ich habe Mühe, das vor Spucke triefende Teil zurück zubekommen. Dann machen sie wieder Musik. Der LKW springt und holpert röhrend bergauf. Ein paar Burschen fangen an zu tanzen. Der Laster hüpft durch die Schlaglöcher oder weicht im Zickzack den herumliegenden Felsen aus. Die Tänzer stolpern, purzeln zur Seite oder fallen auf die Sitzenden. Das steigert nur noch die Heiterkeit. Jemand gibt mir durch Zeichen zu verstehen, ich solle auch tanzen. Ich tue so, als verstünde ich nichts und bleibe sitzen. Da ergreifen zwei meine Hände und ziehen mich hoch und nun tanze ich doch, um auf den Beinen zu bleiben. Die Leute grölen, klatschen die Hände im Rhythmus der Musik. Hat mich jemand mit Absicht gestoßen, war es ein Ausweichmanöver des Mannes am Lenkrad, jedenfalls lande ich auf der Frauenseite, halb in den Schößen der dort Kauernden, halb auf dem Bretterboden des LKW. Die Frauen kreischen, wie mir vorkommt, nicht aus Empörung, und lachen. Nicht hingegen ein paar Burschen, die mich packen und hochzerren. Sie brüllen irgendwas, was ich nicht verstehe, aber ahnen kann. Sie sind wohl sauer, dass ich ihre Frauen berührt habe. Ich versuche, das Ganze als ein etwas übles Spiel zu sehen, lache, befreie mich aus ihren Griffen und setze mich wieder auf meinen Rucksack. Nach einer Weile flaut die Aggressivität der Männer ab, die Frauen schmunzeln noch hinter vorgehaltener Hand oder ihrem züchtig vor den Mund gehaltenen, dünnem Schleier. Doch die Heiterkeit von vorher ist dahin. Alle sitzen da, starren mich an und rauchen Zigaretten.
Ich fange an, ernstlich nachzudenken, wie ich hier wieder rauskomme. Denn mit ihnen in ihr Lager oder Dorf zu fahren, könnte bedenklich werden. Die Gelegenheit bietet sich nach einer Weile, als der LKW in einer kleinen Stadt an einer Tankstelle zum Stehen kommt. Alle, außer den Frauen, springen runter. Jemand klappt die Motorhaube auf, ein anderer verhandelt wohl über den Benzinpreis. Ich nutze das Durcheinander, schnappe meine Siebensachen und springe auf den Boden. Hände greifen nach mir, um mich zurück zu halten, sie sagen Arkadesch, Freund, und machen die entsprechende Geste. Doch ich reiße mich mehr oder weniger los und verschwinde in der Masse der Gaffer. Diesmal fühle ich mich in der Masse sicherer, und als mich ein Deutsch sprechender Kurde zum Caj einlädt, sage ich gerne zu und höre mir seinen Bericht von Gelsenkirchen an. Nach drei Tagen komme ich dann endlich nach Erzurum. Mein erster Gang führt zum Hauptpostamt, zum Schalter ‚Poste Restante‘.
Ein einziger Brief wartet dort auf mich. An der Schrift sehe ich, dass er von meiner Freundin ist. Ich schaue auf den Stempel. Er hat nur vier Tage gebraucht, um mich zu erreichen. Das ist ja schneller als ein Telefongespräch! Ich setze mich zu den öffentlichen Schreibern auf die Stufen, reiße ihn auf und mache mich ans Lesen. Ich traue meinen Augen kaum, hatte ich doch eher erwartet, dass sie schreibt, ich solle zurückkommen. Doch da steht, dass sie es sich reiflich überlegt hat, und doch mit mir nach Osten reisen will, und sie fragt, wo wir uns demnächst treffen könnten. Ich bin glücklich. Doch habe ich keine besonders guten Erfahrungen mit dem Trampen hier im Orient gemacht, und außerdem sind die Fahrzeuge meist in einem dermaßen chaotischen Zustand, dass es an Tollkühnheit grenzt, in einen dieser rollenden Schrotthäufen einzusteigen. Meine spontane Idee ist, schnellstens zurück zu reisen, einen alten VW-Bus zu kaufen und mit diesem dann gemeinsam loszufahren. Ich studiere die Bustarife und Abfahrtszeiten nach Istanbul. Da fällt mein Blick auf einen Aushang: Dort steht, dass nach monatelangen Vergrößerungs- und Modernisierungs-arbeiten der Flughafen Erzurums ab morgen wieder in Betrieb ist und es zu diesem Anlass verbilligte Flüge in die ganze Türkei gäbe. Nichts wie hin und ein Ticket gekauft!
Am nächsten Vormittag finde ich mich am Flugplatz ein. Es steht nur ein einziges Flugzeug da, eine alte, zweimotorige Propellermaschine. Es herrscht ein enormes Gedränge. Aber nicht wegen irgendwelcher Eröffnungsfeierlichkeiten oder wegen der ungeduldigen Passagiere. Die Armee ist da und hat alles dreifach abgeriegelt! Es war wieder mal Ausnahmezustand ausgerufen worden, wegen aufständischen Kurden, die angeblich ein Attentat planten. Selbst das Flugzeug war von übereifrigen jungen Soldaten umzingelt, die Maschinenpistolen in den Händen, eine Zigarette im Mund. Auf der einen Seite des Apparates stand ein verbeulter Tanklaster, der durch einen langen Schlauch mit dem Flügel der wie sprungbereit stehenden Maschine verbunden war. Nach übergründlichen Gepäcks- und Leibeschecks ließ man die Passagiere tropfenweise durch die Absperrung und wir konnten die Gangway hochklettern. Endlich! Ich sah, wie mein Rucksack unten in den Bauch der Maschine geworfen wurde und stieg beruhigt ein.
Mein Platz war über dem Flügel. Das ist praktisch zum Aussteigen, dachte ich mir, wenn die Kiste notlanden muss… Ich ließ mich in den Sessel fallen, der eher einem Gartenstuhl oder bestenfalls einem 2CV-Sitz ähnelte und schaute dem Tankwart zu, der auf dem Flügel saß und genüsslich eine Zigarette rauchte. Den einen Fuß hatte er auf die unförmige Zapfpistole gelegt, um sie in der Tanköffnung im Flügel zu fixieren. Entsetzen durchzuckte mich! Und auch unten der LKW-Fahrer an der Pumpe, hielt in seinen schmierigen Händen eine Kippe, vergaß aber das Ziehen, weil er auf die Beine von ein paar Ausländerinnen stierte. Ich bemerkte, wie Bewegung in den am Boden liegenden Tankschlauch kam und schaute auf den Flügel. Wohl weil der Tank voll war, war dieser dem Spund und dem fachmännischen Fuß des Mechanikers entglitten und schlug wie ein losgelassener Gartenschlauch wild um sich, die Tragfläche, das Flugzeug und den Arbeiter mit seinem dicken Strahl übergießend. Dieser wachte aus seinen Betrachtungen auf und wollte das Schlauchende einfangen. Dabei glitt er auf dem glitschigen Flügel aus und sauste wie auf einer Rutschbahn samt spritzenden Schlauch auf den Boden. Inzwischen hatte der Tankwagenfahrer auch seinen Teil Kerosin abgekriegt, vergaß die Passagierinnen und schaltete die Pupe ab. Waren ihre Zigaretten schon aus gewesen, oder hatte sie der Treibstoffstrahl gelöscht? Jedenfalls fand die Explosion nicht stand. Durch den Aufruhr hinter dem Flugzeug wurden die Militärs aus ihrer Lethargie gerissen, warfen ihre Zigaretten auf den Boden, um besser ihre Gewehre handhaben zu können und richteten diese auf das Flugzeug. Die Passagiere auf meiner Seite hatten mitbekommen, was da passierte und drängten mit mir zum Ausgang. Mit den Laufmündungen auf unserer Brust drängte man uns wieder in den Apparat, die noch an den Kontrollen Stehenden wurden aufgefordert, eiligst in das Flugzeug zu steigen und man verriegelte die Tür. Durch die Schlieren des Fensters sah ich, dass der Arbeiter auf den Flügel kletterte und den Tankdeckel zumachte. Keiner der Soldaten oder zumindest deren Übergeordneten hatte richtig mitbekommen, was eigentlich los war. Sie wollten Panik verhindern und schnellstens das Flugzeug loswerden. ‚Das ist das Ende!‘, dachte ich, als gleich darauf der erste Motor anlief, ‚ade schöne Welt, leb wohl, meine Schwesterseele, gerne wäre ich mit dir zusammengeblieben!‘ Der zweite Motor startete unter Qualm und Fehlzündungen. Jemand kam mit einer Leiter angerannt, stellte sie an die Nase des Flugzeugs und wischte mit einem Büschel Putzwolle das Kerosin von den Cockpitfenstern. Der Wind des laufenden Motors wehte das übergelaufene Kerosin gleich einem Wassernebel von der Tragfläche und aus deren Innereien, als der Pilot die Checkliste durchging und die Luftbremsen und den Rest kontrollierte. Einer vom Bodenpersonal stand vor dem Flugzeug und zeigte dem Kommandanten das richtige Funktionieren der Aggregate an. Dann holperten wir zur Piste, während das Flugzeug das letzte Kerosin abschüttelte. Aus den Belüftungsdüsen roch es stark nach Treibstoff, doch nichts geschah. Die Maschine drehte, der Pilot blockierte die Bremsen, Vollgas, und bald hüpften wir als