Und dann geht es richtig los! Wie aus Eimern fällt das Wasser hernieder und dringt als Sprühnebel bis nach Innen. Blitze erhellen das Dunkel draußen und in meinem Zelt. Ich schaffe es, im Schein der Taschenlampe hinauszuschauen. Der Regen bildet eine silberne Wand, hinter der nichts mehr zu erkennen ist. Blitz und Donner fallen zusammen, wie Explosionen. Um die Erhöhung, auf der das Zelt steht, fließt das Wasser in Bächen vorbei, in allen Mulden strudelt es braunschäumend nach unten. Irgendwo hinter der Silberwand vereinigen sich die Rinnsale zu Bächen und Strömen und schießen zu Tal. Ich mache die Öffnung wieder zu, mir triefen die Haare. Weg von hier kann ich nicht. Hoffentlich schwillt das Wasser nicht so weit an, dass es das Zelt mitreißt oder den Hügel wegspült! Vorsichtshalber ziehe ich die Stöcke aus der Plane und lege sie flach, damit deren Spitzen nicht den Blitz anziehen. Jetzt liegt die nasse Plane voll auf mir. Ich lege mich auf die Seite, damit sie nicht mein Gesicht berührt. Jetzt bin ich froh, alleine zu sein! Nur Verantwortung für mich zu haben! Und diese übertrage ich dann meinem Schicksal. Trotzdem klaube ich all meine Sachen zusammen und stopfe sie in den Rucksack. Ziehe mir die Schuhe an. Bin bereit, das Zelt aufzugeben und los zu rennen. Nur wohin? Aber ich warte lieber noch etwas… Und dann ist plötzlich alles vorbei. Stille. Nur das Wasser gurgelt um mich herum. Ich schaue hinaus, wie Noah aus seiner Arche: Erste Sterne wagen sich durch die letzten Wolkenfetzen heraus, es riecht nach Erde. In der Ferne zeigt sich ein schwacher rosa Streifen. Dann schlafe ich ein.
Schwitzend wache ich auf. Die Sonne steht am Himmel, meine Sachen dampfen. Meine Insel ist vom Wasser der Nacht ziemlich angenagt worden, aber sie steht! Was für ein Glück, das Zelt auf eine Erhöhung gebaut zu haben! Kein Wasser fließt mehr. Nur in den Mulden stehen noch trübbraune Reste. Der Staub ist gebunden oder weggespült. Und überall sprießt zartes Grün aus dem Boden! Ich stelle mein Zelt wieder auf, um es zu trocknen und esse von meinen Vorräten. Dann zurück zur Straße. Kiesbänke liegen streifenweise auf dem Teerbelag. Das erste Fahrzeug nimmt mich mit. Mittag bin ich am Meer.
Felsen ragen aus dem Wasser, bilden kleine Buchten. Kieseliger Strand, leicht klirrend, unter den Liebkosungen der Wellen. Ein paar Palmen. Und dieses Wasser! Blauer als der Himmel! Ich verstecke meinen Rucksack mit allem Krimskrams darin hinter ein paar Felsen, werfe meine Klamotten ab und renne in das klare Wasser. Ein Sprung und ich tauche über den Grund, auf dem sich das Licht der Wellen flackernd spiegelt. Das ist ja fast schon Südsee! Ich sammle etwas gestrandetes Treibholz und bereite zwischen ein paar Felsen mein Nachtlager.
Am nächsten Tag geht es am Meer entlang. Kleine Dörfer, meist Fischerdörfer, in deren Nähe sich riesige Baustellen ausbreiten. Bauen hier türkische Gastarbeiter Wohnungen für ihre Großfamilien? Oder sind das Hotelbauten für deutsche Touristen? Ein paar große Städte mit Hafen. Industrieanlagen rundherum wechseln mit weiten Flächen von intensiven Ackerbau, Gewächshäusern und Orangenhainen. Ein holländischer Sattelschlepper nimmt mich mit, obwohl ich gar nicht den Daumen rausgehalten habe. Er hat Eier geladen, für Kuweit, 32 Tonnen. Der Fahrer weiß selber nicht, wie viele das sind. Aus Gaudi machen wir uns ans Rechnen: Nehmen wir an, ein Ei wiegt 50 Gramm. Zwanzig Eier ergeben ein Kilo. Dann macht das, wenn man etwas für die Pappkartons abzieht, eine halbe Million Eier! Wie viele Tage brauchen zehn Personen, um diese aufzuschlagen? In Kuweit gibt es Keksfabriken, wo diese mit von anderswo angekarrtem Mehl zu Gebäck verarbeitet, und dann wieder, zum größten Teil zumindest, nach Holland zurückgefahren werden! Wir kommen durch Iskenderun. Der Fahrer weiß nicht, ob ich für Syrien ein Visum brauche. Er meint wenn, dass man das auch an der Grenze bekommen könnte. Am Abend kommen wir dort an. Leider ist für mich doch ein Visum notwendig, und der Fahrer steuert bald darauf seinen LKW alleine weiter. Hoffentlich fällt ihm nicht seine Kühlanlage aus. Sonst kommt er mit Küken in Kuweit an! Einmal war ihm diese schon kaputtgegangen, hatte er mir erzählt. Daraufhin hatte er alle Eier auf Order der Spedition in die Wüste geschmissen und war umgedreht, um einen neuen Hänger und neue Eier zu holen… Der Zöllner meint, dass morgen der Beamte mit dem Visastempel kommen müsste. Spätestens aber übermorgen. Also entrolle ich meinen Schlafsack unweit der Grenzstation auf dem felsigen Grund. Überall öffnen sich Spalten im steinigen Boden. Man muss aufpassen, dass man da nicht hineintritt oder gar in die großen hineinfällt. Wie mögen diese entstanden sein? Vom Regen? Muss wohl, obwohl der letzte Regen bestimmt schon Jahre zurückliegt.
Zum Glück gibt es einen Laden in der Nähe des Zolls und ein Restaurant. So verbringe ich drei Tage in deren Nähe. Die wenigen Reisenden berichten mir, dass man über Aleppo weiter nach Israel reisen kann. Nur umgekehrt ist es schwierig, denn kein Land will einen mehr reinlassen, mit einem israelischen Stempel im Pass. Man muss einen zweiten Pass haben, oder aber sich die Ein-und Ausreisestempel von Israel auf ein anderes Papier geben lassen. Manchmal ginge das… 700 Kilometer trennen mich noch von Jerusalem. Eigentlich nicht viel, betrachtet man die Strecke, die hinter mir liegt. Heiß brennt die Sonne herunter. Jedes Fahrzeug bringt eine Staubwolke mit sich, die sich gleich Mehl auf alles legt. Alles hier ist Staub. Es heißt ja schon in der Bibel, dass der Mensch aus Staub gemacht ist. Und zwar nicht weit von hier. Richtung Osten liegt Mesopotamien, das Zweistrom-Land. Und dort soll mal das Paradies gewesen sein… Täglich zwei Mal mindestens komme ich zum Grenzposten. Plaudere mit den Zöllnern. Heute müsste der Stempelmann sicherlich kommen. Eigentlich hätte er gestern schon da sein sollen. Ich schlage ihnen vor, mich so durchzulassen. Was brauche ich ein Visum! Nie war ich bisher in einem Land kontrolliert worden! Inzwischen bin ich so braun geworden wie die hier lebenden Araber. Nur deren Geduld habe ich noch nicht abbekommen. Doch dann reicht es mir. Ich stelle mich an die andere Straßenseite und trampe zurück!
Etwas schleppend bewege ich mich nach Norden. Es ist hauptsächlich nur Kurzstrecken-Verkehr hier in der Gegend. Hinter Gaziantep nimmt mich wieder ein Kipp-Laster mit. Der Fahrer lässt mich am Rande einer gigantischen Baustelle raus. Hier soll der Euphrat gestaut werden, zur Stromgewinnung und zur Bewässerung der vielen Felder. Riesige Maschinen sind hier im Einsatz. Alles neue, nicht so schrottreife, mit denen anderswo die Felder gepflügt werden. Hier scheint eine neue Zeit angefangen zu haben, man vertraut mehr auf die Technik als auf die Kraft von Menschenheeren. Tief unten hatte der Euphrat seit vorbiblischen Zeiten sein Bett gegraben. Jetzt wird er verlagert und sein Lauf durch eine Staumauer gestoppt. Nicht weit von der Baustelle ist sogar eine Zementfabrik gebaut worden. Kräne erheben sich in den Himmel, Seile überspannen das Tal, um Bauteile und Beton hinunter zu lassen. Ob überhaupt noch Wasser für die Nachbarländer übrigbleiben wird, wenn einmal halb Anatolien mit Strom und Bewässerung versorgt ist?
Doch dann bleibt aller Fortschritt weit zurück. Die Täler werden enger, die Straße schlecht. Der Verkehr ist spärlich. Herden laufen auf dem Schotter und suchen nach den wenigen Halmen, manchmal folgt eine Karawane ihrem Verlauf, um dann irgendwo in unwegsameres Gelände abzubiegen. Tiefe Schluchten öffnen sich, ihr enger Grund ist von einem Flüsschen und der Straße völlig ausgefüllt. Es bleibt wenig Platz für die winzigen Felder. Die Häuser sind an die Hänge gebaut. Langsam wird der Wasserlauf schmäler, die Piste windet sich in engen Kurven immer höher, bis sie die Passhöhe erreicht. Der Blick schweift einen Moment über karge Felsketten, die sich bis an den Horizont hintereinander reihen. Schafe oder Ziegen rennen im weiten Bogen weg, wenn so ein rostiges Ungetüm von LKW auftaucht. Die Hirten winken oder fragen nach einer Zigarette, wenn man anhält. Dann taucht der Weg wieder in ein anderes Tal hinab.
Wo der Platz es zulässt, säumen staubige, armselig wirkende Dörfer die Straße. Bei jedem Fahrzeug, das anhält, muss ich den Preis für die Weiterfahr aushandeln. Aber das sind Minimalbeträge. Mehr eine Geste… So kann ich wenigstens weiterlaufen, wenn eine größere Panne eintrifft. Oft helfe ich den Fahrern, einen Reifen zu flicken oder am öligen Motor zu schrauben. Wo mehr Raum ist, ist das Land bebaut. Grüne oder schon abgeerntete Felder ziehen sich dann keilförmig zwischen Berghang und Straße dahin, der obere Rand von einem Bewässerungskanal gesäumt. Wenn das Tal sich mal ganz weit öffnet, gleicht es dann einer Oase. Früchte und Gemüse im Überschuss werden neben der Straße angeboten oder warten auf einen Transporteur, der sie abholt. Gläser mit Tee und die Gebete der Fahrer rhythmen meinen Tagesablauf. Wenn ich irgendwo wartend auf meinem Rucksack sitze, werde ich oft von Kindern beobachtet, die Schafe oder Ziegen hüten. Sie sind scheu und kommen selten zu einem heran. Das ist angenehmer als in Stadtnähe, wo die Kinder schnell aufdringlich sind und einem Ärger machen können, wenn man zu lange dableibt.
Manchmal vergehen Stunden, manchmal