Wilma Burk

Die Liebe ist kein leichtes Spiel


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war er ihr nicht. Die Situation belustigte sie. Fragend sah sie zu Corinna. Die saß wie versteinert da und wurde fast so rot wie ihr Haar.

      Der Wirt brachte Kaffee und Kuchen, dann ging er weiter zu dem jungen Mann und nahm dessen Bestellung entgegen. Danach wandte er sich dem Alten zu und stellte ihm eine neue Maß Bier auf den Tisch. Der griff sofort zu, trank einen kräftigen Zug daraus und wischte sich den Schaum aus seinem dichten Bart. Seinen verbeulten, durchschwitzten Filzhut mit Adlerfeder und Edelweiß nahm er nicht vom Kopf. Vielleicht fehlten darunter die Haare, die er im Überfluss in seinem Bart hatte. Umständlich stopfte er sich mit seinen breiten, klobigen Händen eine Pfeife.

      Henriette ließ wieder einen flüchtigen Blick über ihn gleiten. Irgendetwas berührte sie an ihm. Doch dann wandte sie sich Corinna zu. Sie erzählte ihr, was sie alles in Sendelbach untenehmen könnten, wie schön es da sei und dass sie dort sicher viel Abwechslung finden würde. Doch hörte ihr Corinna überhaupt zu? Aufrecht saß sie jetzt, nicht mehr so zusammengesunken. Manchmal lachte sie, warf ihre rotblonden Haare zurück und blickte immer wieder verstohlen zu dem jungen Mann hin. War das noch das liebeskranke Mädchen, welches vor ein paar Stunden zu ihr ins Auto eingestiegen war? Was doch so ein bisschen Beachtung ausmachen kann.

      Der junge Mann rief den Wirt zu sich. „Ich will nach Sendelbach. Ist das noch weit?“, fragte er laut, so dass es Henriette und Corinna hören mussten.

      „Nein, nur über den Pass. In einer guten Stunde sind sie dort“, erklärte der Wirt.

      Corinnas Augen glänzten. „Der fährt ja dahin, wohin wir auch wollen“, flüsterte sie Henriette zu.

      „Zufälle gibt es!“ Na, dieser Zufall kam Henriette doch komisch vor, eher glaubte sie, dass er ihr Gespräch belauscht hatte. Henriette war es recht. Vielleicht kam Corinna auf andere Gedanken, wenn der junge Mann wirklich ihre Nähe suchte. Nein, lange dauerte es bei Corinna gewiss nicht, bis sie über ihren Liebeskummer hinweg war, davon war Henriette nun überzeugt.

      Plötzlich neigte sich Corinna ihr zu: „Merkst du das nicht, wie der Alte dich unentwegt anstarrt? Kennt der dich vielleicht?“

      „Quatsch! Wer soll mich hier noch kennen?“ Dann aber drehte sie sich vorsichtig um – und erschrak. Dieser Blick, das konnte doch nicht sein! Sie wich ihm aus. Nein, sie irrte sich bestimmt.

      Es ließ ihr aber keine Ruhe. So rief sie den Wirt heran, bezahlte und fragte beiläufig, wer der alte Mann sei.

      „Das ist der Louis, der alte Senner oben von der Kuchl-Alm. Der ist schon ein bisschen seltsam“, antwortete der Wirt.

      „Louis? Hat er auch einen Nachnamen?“

      „Ja mei, für uns ist es halt der alte Louis. Aber ich glaub’, Hofbauer heißt er. Ja, genau, Louis Hofbauer.“

      Betroffen blickte Henriette hinüber.

      Der Wirt ging.

      Auch Corinna starrte zu dem Alten hin. „Henriette, ist er das?“

      Nervös stopfte Henriette ihr Portmonee in die Tasche. Ihre Hände zitterten dabei. „Er muss es wohl sein“, sagte sie bedrückt.

      Ganz langsam drehte sie sich ihm zu und sah ihn voll an. Sie wich ihm nicht mehr aus. Mit den Augen sagte sie ihm, dass nun auch sie ihn erkannt hatte. Waren seine Augen auch kleiner geworden, sie spürte die Wärme, mit der er sie ansah, die Liebe einer vergangenen Zeit. Lang war es her, dass sie sich miteinander verbunden fühlten.

      Er hatte es also nicht geschafft, sich von seinem Heimatort zu lösen, die Berge haben ihn festgehalten. Was hatte das Leben aus ihm gemacht? Sie saß hier, noch immer eine auffällige Erscheinung, eine tüchtige Geschäftsfrau, die im Leben noch etwas zu sagen hatte; er dagegen wirkte, als wäre er für die Welt schon verloren, ein seine Einsamkeit suchender Senner, dem vielleicht sein Hund und die Kühe wichtiger waren als jeder Mensch. Ein ganzes gelebtes Leben lag zwischen ihnen und trennte sie. Die Erinnerungen an eine Zeit, in der sie zusammengehörten, der Welt gemeinsam trotzen wollten, war wie eine Sage, von der man nicht wissen konnte, ob sie wirklich einmal wahr gewesen ist. Sie wussten noch voneinander, aber es gab für sie keine Brücke mehr zueinander über das, was sie trennte, über die lange Zeit, die sie verändert hatte. Er machte keinen Versuch, sie anzusprechen, und sie wollte es auch nicht.

      Henriette drängte zum Aufbruch.

      Corinna warf noch einmal einen neugierigen Blick auf den Louis Hofbauer, der einmal die große Liebe ihrer Großmutter gewesen war, ehe sie hinausgingen.

      Der Blick des alten Senners folgte ihnen, solange er sie sehen konnte. Henriette spürte es.

      Als sie im Auto saßen und weiterfuhren, fragte Corinna: „Dieser Louis, war der sehr viel älter als du?“

      „Nein, das war er nicht, nur ein paar Jahre.“

      „Aber das war doch ein sehr alter Mann?“

      „Ja, heute ist er wohl sehr viel älter als ich. Das Leben geht sehr unterschiedlich mit den Menschen um. Dem einen lässt es mehr Zeit zum Altern, dem andern weniger.“ Ein wenig Trauer schwang in Henriettes Worten mit.

      Sie schaute in den Rückspiegel. Der junge Mann fuhr wieder dicht hinter ihnen her. Gar nicht mehr verstohlen drehte sich auch Corinna neugierig um. Sie wollte wissen, ob er ihr folgte.

      ‚Liebeskummer dauert eben immer nur so lange, bis der Nächste kommt. Mal braucht es länger und mal geht es schneller, bis es vorbei ist’, dachte Henriette und lenkte ihr Auto die kurvenreiche Straße in die wundervolle Bergwelt hoch, die Louis wohl nie losgelassen hat.

      Ein Lächeln von Gitte

      Wie sehr wünschte sich Harry, einmal Geld wie die anderen zu haben, um es für Gitte bei den Schaustellern des Frühlingsfestes der Stadt ausgeben zu können. Einmal wollte er nicht zusehen müssen, wie Manfred und die andern für jeden Euro ein dankbares Lächeln von ihr erhielten.

      Schon hatte die Mutter das abgewetzte Portmonee gezückt, schon den Fünf-Euro-Schein in der Hand, um ihn Harry zu schenken. Doch der Vater kam dazu.

      „Du gibst ihm kein Geld mehr!“, befahl er. Mit seinen breiten Schultern fast den Türrahmen füllend stand er in der Küchentür, das Kinn vorgeschoben und den Blick der blutunterlaufenen Augen herrisch auf Harry gerichtet. Ein leichter Alkoholdunst umgab ihn.

      Harry hätte die Faust in das Geschirr auf dem Tisch schlagen mögen. Wieder duckte sich die Mutter, wieder steckte sie zögernd das Portmonee weg. Müde stricht sie sich dabei eine unordentliche Haarsträhne aus der Stirn.

      „Wie viel hat denn der Herr Sohn verdient, dass er das Geld zum Fenster hinauswerfen möchte?“, höhnte der Vater.

      Harry warf den Kopf in den Nacken und wollte sich an ihm vorbeischieben.

      Der Vater aber packte ihn bei den mageren Schultern. Dabei stieß er ihm seinen widerlichen Atem ins Gesicht und fuhr ihn an: „Keine Antwort, was? – Durch die nächste Gesellenprüfung wirst du auch wieder fallen, oder? Kannst ja deinem Vater weiter auf der Tasche liegen.“ Dann stieß er ihn von sich aus der Küche.

      Harry knallte die Wohnungstür hinter sich zu. Noch mit geballten Fäusten sprang er die kahle Treppe hinunter. Von den Wänden des Aufgangs bröckelte der Putz. Er biss die zähne zusammen, als er über den düsteren Hinterhof ging. Oben am Fenster stand seine Mutter und sah ihm nach. Er wusste es, aber er warf nicht einen Blick hinauf.

      Warum lehnte sie sich nie auf? Warum duckte sie sich ein Leben lang und ließ es zu, dass der Vater ihn beschimpfte, wenn nicht noch Schlimmeres. Wie er es hasste, dieses Leben in dem schmutzigen Hinterhof in der Altstadt dieser Stadt.

      Eines Tages aber wird alles anders werden! Wenn schon Altstadt, dann wird er In einem Vorderhaus wohnen, wie Gitte und Manfred. Von einem Balkon mit bunten Blumen wird er auf die Straße schauen können. Vielleicht kann er sogar in einen der Neubauten am Rande der Stadt ziehen, sobald er in der Fabrik Meister geworden ist und eine große Werkstatt leitet. Dann kann er die Lehrlinge schelten,