Zsóka Schwab

Die Brücke aus Glas


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überlegte ich, ob ich ein Foto von ihm machen sollte, um ihn aufzuheitern, ließ es aber doch lieber bleiben.

      Mit einem Seufzen schlurfte ich zur Stereoanlage, von der inzwischen nur noch Musik in der Lautstärke von Kaufhausgedudel ausging, und schaltete sie aus.

      Beinahe bereute ich es, denn mit einem Mal wurde es unheimlich still – so als hätte ich, passend zu meiner Verkleidung, unserer armen, präfinalen Feier endgültig den Todesstoß versetzt. Andererseits war es jetzt auch wieder egal.

      Mit der Bedächtigkeit eines Priesters während einer Trauerandacht ordnete ich meine schwarze Kutte und ließ mich neben Thorsten auf der Couch nieder. Ich überlegte gerade, wo eigentlich meine Papp-Sense abgeblieben war, da durchbrach plötzlich ein tiefes Brummen die Stille.

      „Wieso jetzt?“

      Thorsten versuchte, die Fäuste zu ballen, aber seine gepolsterten, roten Hellboy-Handschuhe ließen nicht zu, dass er sie ganz schloss.

      „Fünf Jahre lang hatte ich meine Ruhe! Wieso taucht sie gerade jetzt wieder auf? Und warum, zum Kuckuck, hat sie sich nicht geändert?“

      Ich machte eine kurze Hochrechnung. Angenommen, Jana hatte die Schule gerade abgeschlossen. Dann war sie also vor fünf Jahren …

      „Du meinst, sie war schon mit dreizehn so?“

      Thorsten lachte spöttisch auf.

      „Schlimmer! Damals hat ihr Großvater noch gelebt, und sie ist jeden zweiten Abend hier aufgekreuzt, um uns zu terrorisieren. Kannst du dir das vorstellen?“

      Da ich Thorsten erst seit dem Studium – und somit seit vier Jahren – kannte, konnte ich das nicht. Im Gegensatz zu ihm war ich nach dem Zivildienst von zu Hause ausgezogen, und Zoé, die mir zwei Jahre später folgte, war die einzige Verwandte, die ich in der Nähe hatte. Aus diesem Grund bildete ich mir ein, reifetechnisch ein kleines bisschen weiter zu sein als Thorsten. Aber Partys an jedem zweiten Tag? Das kam mir sogar für seine Verhältnisse ziemlich übertrieben vor – vor allem, da er ja nicht alleine hier lebte. Ich hütete mich jedoch, ihm das ausgerechnet jetzt unter die Nase zu reiben.

      „Und was ist dann passiert?“, fragte ich stattdessen.

      Mein Kumpel zuckte die Achseln.

      „Sie bekam irgendein Hochbegabten-Stipendium und wechselte auf ein Internat irgendwo in der bayerischen Pampa.“

      „Meinst du, sie hat die Schule beendet und kommt nun zum Studieren wieder her?“

      Thorstens Augen wuchsen auf die Größe von Untertassen.

      „Ich hoffe doch, nicht! Sie ist bestimmt nur zu Besuch hier! So eine Hochbegabten-Tussi wird sich doch wohl eine berühmtere Uni suchen als unsere, oder?“

      Das „oder“ klang derart flehend, dass ich mir ein Grinsen verkneifen musste.

      „Was ist denn mit ihren Eltern?“, fragte ich weiter.

      „Ich weiß es nicht genau, glaub, die sind nach Kanada emigriert. Sie arbeiten für irgendein Physikforschungsinstitut. Ich habe sie jedenfalls noch nie gesehen.“

      „Aha. Und du bist dir sicher, dass du nicht insgeheim auf Jana stehst?“

      Thorsten bedachte mich mit einem Blick, kalt genug, um die Hölle einzufrieren.

      „Nein, du Hirni, ich stehe nicht insgeheim auf sie! Ich unterhalte mich bloß beim Müllraustragen öfters mit meiner alten Nachbarin, wie es sich gehört. Deshalb weiß ich einige Dinge über die Familie.“

      Ich entschuldigte mich eilig für diesen schweren Fauxpas.

      „Und wenn sie hier bleibt, was tust du dann?“

      Thorsten schüttelte es vor Entsetzen über diese Aussicht.

      „Was soll ich schon tun? Ich kann sie ja schlecht aus dem Haus ihrer Großmutter werfen. Und für die alte Bergmann ist es bestimmt auch schön, ihre Enkelin wieder bei sich zu haben … sie lamentiert zwar nicht herum, wie andere Omas in dem Alter, aber sehr glücklich wirkt sie nicht.“

      Als er meinen verwunderten Blick bemerkte, geriet er ins Stammeln. „Das sagt zumindest meine Mutter …“

      „Wenn Jana sich solche Sorgen um sie macht, weshalb hat sie sie dann zwischendurch nicht besucht? Fünf Jahre sind eine lange Zeit.“

      „Besucht hat sie sie schon, aber nur einmal im Jahr an Weihnachten.“

      Ach so … Die Stockhausens waren begeisterte Skifahrer und verbrachten die Zeit um Weihnachten und Silvester traditionell in Österreich.

      „Ansonsten schrieben sie sich monatlich Briefe und telefonierten. Meine Mutter sagt, das sind die einzigen Lichtblicke im Leben der alten Frau.“

      „Hm …“

      Plötzlich kam mir eine Idee.

      „Hey, ich weiß, wie wir rauskriegen, ob sie hier bleibt! Wir schauen einfach bei Facebook!“

      Thorstens Miene erhellte sich.

      „Warte hier!“

      Mit einem Satz sprang er auf und flitzte aus dem Wohnzimmer. Zwei Minuten später kehrte er mit einem kleinen Notebook wieder, das er auch gern in die Vorlesung mitnahm.

      „Dann wollen wir mal!“

      Gespannt steckten wir die Köpfe zusammen, während mein Kumpel den Internetexplorer hochfuhr. Kurz darauf loggte er sich in sein Facebook-Konto ein und überließ es dann mir, Janas Namen in die Suchspalte zu tippen.

      „Warte mal!“, rief er, während ich noch am Werke war. „Wir sind doch gar nicht mit ihr befreundet. So können wir ihre Seite überhaupt nicht einsehen!“

      Seine Sorge erwies sich als unbegründet, denn die Suchmaschine teilte uns mit, dass es für unsere Anfrage keine Ergebnisse gab. Jana benutzte entweder irgendeinen Spitznamen, den wir im Leben nicht erraten würden, oder sie war gar nicht bei Facebook registriert.

      „Das war wohl nichts“, maulte Thorsten.

      Enttäuscht begafften wir den blau schimmernden Bildschirm, bis Thorsten die brillante Idee kam, es mit Google zu versuchen.

      Hier wurden wir tatsächlich fündig, und zwar nicht zu knapp! Selbst meinem Kumpel entschlüpfte ein beeindrucktes „Wow, nicht schlecht …“, als uns über zwanzig Links entgegensprangen, in denen es aus irgendeinem Grund um Jana ging.

      Offensichtlich war sie im Internat gut gefördert worden, vor allem auf musischem Gebiet: Neben einigen Zeitungsartikeln, in denen es um ihre schulischen Erfolge in Mathematik oder Spanisch ging, überwogen bei weitem diejenigen, die ihre musikalischen Aktivitäten dokumentierten.

      Das kleine Biest war tatsächlich zweimalige Gewinnerin des ersten Preises beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ in der Kategorie Klavier solo. Ein Artikel vom vorherigen Jahr enthielt auch ein Bild von ihr – das erste, das mir Jana Bergmann zumindest in ihrer halben Pracht zeigte:

      Eine kurvige, gut proportionierte Siebzehnjährige mit seidig schimmernden, schwarzen Haaren, die wasserfallartig ihren geraden Rücken herabflossen, um sich dort mit dem Schwarz ihrer Bluse zu vermischen. Sie hatte eine unheimlich aufrechte Haltung, wie sie hinter dem glänzenden Konzertflügel saß. Der Fotograf hatte sie aus einem eher hohen Winkel getroffen, sodass man ihren Oberkörper und einen Teil ihres Faltenrocks erkennen konnte.

      Am Auffälligsten war aber ihr Gesicht: ein ovaler, blasser Fleck, der in der dunklen Umgebung leuchtete wie eine weiße Seerose auf einem nachtschwarzen Teich. Ihre Nase war gerade und zierlich, mit einem winzigen Höcker direkt unterhalb der Wurzel, ihre Lippen eher schmal, mit beinahe aristokratischem Schwung. Sie hatte sie leicht geöffnet, was ihrem Gesicht etwas sehr Verletzliches verlieh. Ihre Lider waren gesenkt, so als ob sie schliefe – ein starker Kontrast zu der strammen Körperhaltung.

      „Hm, hat sich doch ganz gut gemacht, die Kleine.“ Grinsend stieß ich Thorsten meinen Ellenbogen in die Rippen. Er brummte etwas Unverständliches