Michael Schenk

Das Blut des Wolfes


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die Lebensdauer des Senders noch beträchtlich vergrößern.

      „Als was trägst du sie ein?“, fragte Andrej und betrachtete das beeindruckende Gebiss des Raubtieres. „Wie wäre es mit Stiefelchen? Sie hat doch so schöne weiße Läufe.“

      Wazlav lachte leise. „PL-925W.“

      „Klingt aber nicht so hübsch.“

      „Da gebe ich dir Recht.“ Der Wissenschaftler gab der Wölfin die übliche stabilisierende Injektion. „Fertig. Lass uns verschwinden, bevor sie wieder aufwacht.“

      Die beiden Männer hasteten den Weg zurück, den sie gekommen waren und beide spähten aus der Deckung zu ihrem Schützling hinüber, als dieser erwachte.

      „Ein wirklich schönes Exemplar“, hauchte Wazlav.

      „Schönheit ist flüchtig.“ Andrej zeigte sein unvollständiges Gebiss. „Wenn du Pech hast, mein Freund, dann wandert deine schöne Freundin bis nach Spanien hinunter. Wäre nicht die Erste.“

      „Mal den Teufel nicht an die Wand, Andrej.“ Wazlav tippte seinen Freund an. „Komm, ich will in der Hütte, die Geräte überprüfen. Wenn alles funktioniert, wird uns ihr Sender immer verraten, wo sie gerade ist.“ Er seufzte schwer. „Ich hoffe wirklich, sie bleibt bei uns.“

      Andrej nickte. „Wenn sie klug ist, tut sie das. Was will sie denn auch woanders? Straßen und Städte gibt es doch inzwischen überall.“

      „Eigentlich ist das eine schöne Vorstellung für mich, sie hier zu behalten. Aber wenn sie wandert, hat das auch seinen Vorteil. Es ist wichtig für den Genpool der Rudel, die im Westen leben. Die sind noch stark von der Zuwanderung unserer Wölfe abhängig.“

      Die Wölfin putzte sich flüchtig und für einen Moment hatte Wazlav das Gefühl, direkt in ihre blauen Augen zu sehen. Merkwürdige blaue Augen, die fast menschlich wirkten. Doch im nächsten Moment wandte sie sich um und verschwand im Schutz der Bäume.

      „Na, komm“, sagte Andrej.

      „Ja, hier gibt es nichts mehr zu sehen“, stimmte Wazlav zu.

      Sie stapften zu der fernen Hütte zurück und Andrej wusste, dass sein seltsamer Freund nun wieder Stundenlang auf seinen Monitor starren würde.

      Kapitel 6

      Svenja fuhr mit ihrem Mofa zur Rangerstation. Neugierde und Langweile trieben sie gleichermaßen dorthin. Seit man am Vortag das Verschwinden der Proschkes festgestellt hatte, wirkte das sonst so verschlafene Wolfgarten wie ein Bienenkorb. Svenja war offensichtlich nicht die Einzige, die es zur Rangerstation trieb, wo man die Suchaktion nach den verschollenen Touristen koordinierte. Als sie das Mofa auf den Parkplatz lenkte, hielten sich dort bereits etliche Dorfbewohner und andere Neugierige auf, die zusahen, was sich ereignete und eifrig ihre Kommentare dazu abgaben. Am Kiosk herrschte Hochbetrieb, denn die sommerliche Hitze und die Aufregung der Suchaktion förderten Appetit und Durst der Zuschauer.

      Svenja hatte gehofft, noch vor der Rettungshundestaffel einzutreffen und war ein wenig enttäuscht, als John Turner sich von einigen Neugierigen löste und ihr sagte, dass die Gruppe bereits vor einiger Zeit mit den Hunden in den Wald gegangen sei.

      „Das sind ausgebildete Rettungshunde mit ihren Hundeführern und einem zusätzlichen Suchassistenten“, erklärte der Ranger mit zuversichtlicher Stimme. „Wenn die Proschkes noch leben, dann werden sie gefunden.“

      „Und wenn nicht?“ Svenja kickte den Ständer ihres Mofas nach unten und bockte ihr Fahrzeug auf. „Ich meine, wenn sie… Na ja, wenn sie nicht mehr leben.“

      Johns dunkles Gesicht wurde noch eine Spur dunkler. „Dann brauchen wir Suchhunde. Die sind meist von der Polizei und finden auch die Personen, die keine Rettungshunde mehr brauchen.“ Er wippte leicht auf den Fersen und zeigte dadurch, dass er keineswegs so ruhig war, wie es den Anschein hatte. Er deutete zu den abgestellten Fahrzeugen der Suchstaffel. „Die sind früh gekommen und vor einer Stunde losgezogen.“

      „Und die anderen?“ Svenja wies mit dem Kopf zu der Schar der Neugierigen.

      „Belagerungszustand seit dem Morgengrauen.“ John lächelte ein wenig kläglich. „Kommt mir fast vor, als wäre die Rangerstation eine mittelalterliche Burg. Ich hasse so etwas“, fügte er leidenschaftlich hinzu. „Verdammte Gaffer.“

      Svenja räusperte sich. „Na ja, bin ich auch“, bekannte sie.

      „Ja, mag sein.“ Er grinste schon wieder. „Aber du hast wenigstens nicht so abenteuerliche Theorien über das Verschwinden der Proschkes.“

      „Abenteuerliche Theorien?“

      John deutete nochmals zu den Neugierigen. „Lauter Professoren und Sachverständige aus eigenen Gnaden. Einige vermuten einen Bären, der unentdeckt durch den Wald schleicht, andere ein Ehedrama, welches sich in der Finsternis ereignet hat. Die Anhänger beider Theorien sind sich sicher, dass man allenfalls ein paar Knochen oder Kleidungsstücke von den Proschkes findet. Irgendwann einmal, wenn schon niemand mehr damit rechnete. Einer meint sogar, dass man das Paar entführt hat, obwohl absolut nichts dafür spricht.“

      „Keine Hinweise?“

      „Verdammt, nichts“, brummte er. „Wären die Hunde sonst hier? Ich bin froh, dass man im Park keinen Kornkreis gefunden hat, sonst würden einige Spinner sicher schon von einer Invasion Außerirdischer phantasieren.“

      Svenja sah einen Tieflader, auf dem der Wagen des vermissten Ehepaares stand. John folgte ihrem Blick. „Geht zur kriminaltechnischen Untersuchung, glaube ich. Da kann dir dein Vater sicher mehr sagen. Steht da drüben, bei den Polizeiwagen. Ich muss zur Honnig, Svenja, es gibt wohl Ärger am Kiosk. Wir sehen uns sicher später noch mal.“

      Am Verkaufsstand der Rangerstation war Unruhe entstanden und der Ranger beeilte sich, hinüber zu gelangen. Svenja blieb unentschlossen stehen. Obwohl sie von reiner Neugierde zur Station getrieben worden war, scheute sie davor zurück, sich den anderen Gaffern anzuschließen, die sich sicherlich eher als besorgte Bürger bezeichnet hätten. Einige der Leute waren wohl mit besten Absichten hierher gekommen, aber die meisten schienen die Polizei mehr zu beschäftigen, als die eigentliche Suchaktion nach den Vermissten.

      Svenja strich sich eine Locke aus der Stirn und stieß ein leises Schnauben aus. Eigentlich hatte sie hier gar nichts verloren. Trotzdem, immerhin war endlich etwas in Wolfgarten los, auch wenn der Anlass nicht gerade erfreulich war. Sie entschloss sich, zu ihrem Vater hinüber zu gehen, der hinter einem Plastikband stand, mit dem man den Zutritt des Waldpfades provisorisch abgesperrt hatte.

      Der rundliche Peter Wagner sah sie näher kommen und winkte sie heran. „Hallo, Svenja, Jochen steht drüben bei den Leuten von der KriPo.“ Er zuckte mit den Schultern. „Solltest ihn jetzt besser nicht stören. Du weißt ja, wie er ist, wenn was los ist.“ Er legte den Kopf zweifelnd auf die Seite. „Oder ist es wichtig?“

      „Bin nur neugierig“, gestand Svenja.

      Peter gähnte herzhaft. „Sind wohl alle. Da kommt Jochen.

      Ihr Vater hatte wieder diesen dienstlichen Gesichtsausdruck, bei dem sein Gesicht so unangenehm kantig wurde und nichts von der Empfindlichkeit seiner Seele verriet. Heute empfand sie das als verständlich, er hatte sicherlich eine Menge um die Ohren.

      „Musst du heute nicht nach Schleiden ins Büro?“, fragte er. „Freitags bist du doch immer in deiner Firma.“

      „Nein, heute nicht.“ Sie zuckte die Schultern. „Heute wird es bei dir sicher spät. Soll ich uns was Warmes machen?“

      Jochen nahm kurz die Schirmmütze ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Ein Salat wäre mir lieber. Es ist verdammt heiß und ich glaube nicht, dass es gegen Abend abkühlt. Nein, nichts warmes.“

      Über seine Schultern hinweg erkannte Svenja eine Gruppe von Männern und Frauen in orangeroter Schutzkleidung, die Hunde mit sich führten. „Sind das die Rettungshunde?“

      Jochen