Michael Schenk

Das Blut des Wolfes


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fahren wir zurück.“ Turner wendete behutsam und blickte in den Bereich jenseits des Zauns. „Wenn ich mich auf der anderen Seite dicht am Zaun halte, müssten wir mit dem Wagen durchkommen.“

      Für Turner bedeutete dieser Umstand, dass er zum Tor und praktisch demselben Weg auf der anderen Seite wieder zurück fahren musste.

      Während der Fahrt begegneten sie zwei Wanderern und John hielt, bis diese am Fahrzeug vorbei waren. Dann fuhr er langsam weiter, bis sie das Tor erreichten. Es bestand aus zwei Flügeln und war aus massiven Stahlrahmen gebaut, zwischen denen Stahldraht gespannt war. Ebenso solide, wie der gesamte Zaun. Selbst starken Raubtieren wäre es nicht gelungen, ihn zu beschädigen.

      Der Ranger auf die schwere Kette, welche die Flügel verschlossen hielt. „Wäre bequemer, wenn wir hier einen elektrischen Toröffner hätten, aber jedes bisschen Elektrik heißt auch, dass man eine potenzielle Fehlerquelle hat. Ein Kurzschluss könnte das Tor aufgehen lassen und das wollen wir nicht riskieren.“ Er grinste. „Der wahre Grund ist wohl eher, dass die Parkverwaltung kein Geld dafür ausgeben will. Na ja, ein bisschen Bewegung schadet nicht.“

      John Turner stellte den Motor ab und zog den Zündschlüssel. An dem kleinen Bund waren mehrere Schlüssel zu erkennen, die zu den verschiedenen Türen und Toren des Parks und der Rangerstation gehörten.

      „Gibt es keinen Zentralschlüssel?“, fragte Svenja interessiert.

      „Doch. Sogar mehrere. Drei haben die umliegenden Feuerwehren. Aber meinen lasse ich in der Station“, erwiderte John. „Ich habe mal in einem Haus mit Schließanlage gewohnt und den Schlüssel verloren. War ein kostspieliges Erlebnis. Alle Schlösser wurden ausgetauscht.“

      Während er die Flügel des Tores öffnete, sah Svenja einen Fuchs, der ein Stück neben dem Pfad stand und sich nicht bewegte. Er schien sie direkt anzusehen und sie konnte der Verlockung nicht widerstehen und stieg nun ebenfalls aus. Als sie in die Hocke ging, kam der Fuchs näher.

      Die Torflügel schwangen mit einem leisen Quietschen auf und als der Ranger zum Wagen kam, lachte er leise auf. „Das muss man dir lassen, du kannst mit Tieren umgehen.“

      Beim Klang der Worte fuhr der Fuchs herum und war mit wenigen Sätzen im Gehölz verschwunden. John Turner sah Svenja abschätzend an. „Ist wirklich ungewöhnlich. Du hast etwas an dir, das alle Tiere die Scheu verlieren lässt. Ist mir schon einige Male aufgefallen.“

      „Vielleicht spüren sie einfach, dass ich ihnen nichts Böses will.“

      „Ich will ihnen auch nichts Böses und trotzdem hauen sie vor mir ab“, stellte er fest. „Okay, ein paar Meter bis wir durch sind, dann kann ich wieder zumachen.“

      Svenja blieb im Wagen, während Turner das Tor öffnete, den Wagen hindurch fuhr und es sorgfältig wieder verschloss. Direkt an der Innenseite des Zauns war ein schmaler Pfad erhalten geblieben, welcher der Instandhaltung und Überwachung diente. An einigen Stellen hatten sich Büsche und Äste dicht herangeschoben, aber Turner schaffte es, seinen Wagen vorsichtig an der Absperrung entlang zu steuern. Svenja schloss das Seitenfenster, da immer wieder Zweige am Fahrzeug entlang streiften. Schließlich erreichten sie die Stelle, wo sich das Wasser des großen Böttenbachs staute.

      „Bleib am Wagen“, ermahnte John Turner und nahm eine Schaufel vom Fahrzeug.

      Svenja zog einen Schmollmund und lehnte sich an die Karosserie, während der Ranger zum Wasser ging und das angeschwemmte Knüppelholz untersuchte, welches sich dort verkeilt hatte. Für sie war es nicht gerade aufregend, wie der Farbige das Holz mit der Schaufel löste und sie sah sich nach Interessanterem um. Ihr Blick fiel auf einen merkwürdigen dunklen Schatten, der ein Stück weiter unmittelbar am Zaun lag.

      Sie warf dem beschäftigten Turner einen kurzen Blick zu und schlenderte dann zu dem Objekt hinüber, welches ihre Neugierde geweckt hatte.

      Ihr Blick fiel auf einen kleinen Körper, der hier im Gras lag. Er war ohne Zweifel tot, doch er konnte noch nicht lange dort liegen. Ein paar Fliegen stiegen auf, als sie sich neben den Kadaver hockte. Es musste ein Hund gewesen sein, aber die Rasse konnte sie nicht feststellen, da ihm der Kopf abgerissen worden war. Sonst waren keine Verletzungen zu erkennen.

      „Armer kleiner Kerl“, murmelte Svenja mitfühlend. „Wer hat dir das bloß angetan?“

      Eher unbewusst streichelte sie über das seidige Fell. Es kam ihr ein wenig dichter und rauer vor, als sie es von Hunden gewohnt war.

      Eine der Fliegen wurde aufdringlich und flog ihr direkt ins Auge. Erbittert fluchend kniff sie es zusammen und spürte, wie Tränen austraten. Verärgert wischte sie es mit dem Handrücken.

      Turner hatte ihre Flüche gehört und kam herüber. „Der Bachlauf ist wieder frei. Was machst du da?“

      „Mir ist was ins Auge geflogen.“

      „Komm, zeig her.“ Turners Augen verengten sich. „Verdammt, was hast du angefasst? Deine Finger sind blutig und das Auge auch.“

      „Was? Scheiße.“

      „Nicht darüber reiben“, knurrte er und zog ihre Hand vom Auge zurück. „Komm mit ans Wasser, das müssen wir ausspülen.“

      „Es brennt.“

      „Kann ich mir vorstellen.“ Er zog sie einfach mit sich zum Bach und deutete auf das friedlich plätschernde Gewässer. „Schöpf Wasser mit der hohlen Hand und spül das Auge aus. Aber auf keinen Fall reiben, klar?“

      „Klar, verdammt. So ein Mist.“

      Nachdem sie mehrere Ladungen Wasser an ihr Auge gebracht hatte, hörte das Brennen auf. Erleichtert richtete Svenja sich wieder auf. „Ich glaube, es ist wieder in Ordnung.“

      „Wir werden sehen“, meinte er skeptisch. „So, und jetzt sag mir, woher das Blut stammt. Du selbst hast ja keine Verletzung.“

      „Da vorne liegt ein toter Hund.“

      „Ein Hund?“

      „Ja, Mann, ein Hund.“ Svenja zuckte die Schultern. „Na ja, was von ihm übrig ist.“

      „Zeig es mir.“

      Sie gingen zu der Stelle und Turner stieß einen leisen Fluch aus. „Scheint wirklich ein Hund zu sein.“ Er zupfte Einmalhandschuhe aus der Brusttasche seines Hemdes und untersuchte den kleinen Kadaver flüchtig. „Ist noch nicht lange her. Ein oder zwei Tage, das lässt sich bei den sommerlichen Temperaturen schwer sagen. Er könnte von einem Luchs gerissen worden sein. Aber dass der Kopf fehlt, ist schon recht merkwürdig.“

      „Ein Luchs?“ Svenja erblasste ein wenig. „Sind die nicht gefährlich?“

      „Oh ja, das sind sie.“ Er warf ihr einen kurzen Blick zu und erhob sich, um zum Wagen zu gehen. „Aber sie sind auch schlau, wie die meisten Raubtiere. Die greifen nur an, wenn es sich für sie lohnt und das Risiko klein ist. Weißt du, die riskieren es nicht gerne, dass sie selber verletzt werden. Sonst können sie keine Beute jagen und das kann ganz schnell bedeuten, dass sie verhungern müssen. Also, keine Angst, Svenja, wir passen nicht ins Beuteschema eines Luchses. Es sei denn, er fühlt sich von uns bedroht.“

      „Echt beruhigend.“

      „Ja, nicht wahr?“ Er zog eine Plastikplane vom Wagen und ging zum Kadaver zurück, um ihn darin einzuwickeln. „Ich schicke ihn zur Tierpathologie.“

      „Warum das?“

      „Zunächst einmal wegen deinem Auge, Svenja. Falls das Tier irgendeine Krankheit hatte, könntest du dich an seinem Blut infiziert haben.“

      „Ich hab nicht daran geleckt. Da steh ich nicht so drauf.“

      Er grinste. „Brauchst du auch nicht. Du hast es nämlich in deinem Auge verrieben. Das nennt man Schmierinfektion.“

      „Mist. So was kann auch nur mir passieren.“

      „In der Station bekommst du ein paar Tropfen und die nächsten Tage musst du darauf achten, ob das Auge zu brennen beginnt oder du irgendwelche