Michael Schenk

Das Blut des Wolfes


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Pfiff aus, doch sein Hund reagierte nicht.

      „Verdammt.“ Das war kein gutes Zeichen. Er stieg ächzend von seinem Hänger und eilte zu der Stelle hinüber, an der er Rudi gesehen hatte.

      Je näher er kam, desto sicherer wurde er, dass mit Rudi etwas Schlimmes geschehen sein musste und als er ihn erreicht hatte, wurde sein Verdacht zur Gewissheit.

      „Mein Gott, Rudi“, stöhnte Wolicek und sank auf die Knie. „Wer hat dir das angetan?“

      Das Fell des Golden Retriever war mit Blut beschmiert, ebenso seine Schnauze. Rudi war nicht kampflos gestorben, dennoch hatte er gegen seinen Gegner wohl keine Chance gehabt. Entsetzt sah Wolicek auf die klaffenden Wunden, die sein Hund erlitten hatte.

      „Wer hat dir das angetan?“, fragte er erneut. „Welches Schwein hat dir das angetan?“

      Wolicek kannte die Wunden, die ein Wildtier reißen konnte. Doch hier waren die Wundränder viel zu glatt. Die tiefen Verletzungen mussten von einer langen und sehr scharfen Klinge herrühren. Fassungslos strich er über den Kopf des toten Hundes, der ihm lange Jahre ein treuer Gefährte gewesen war.

      Wolicek sah zum Dorf hinüber. Einer der Bewohner musste das seinem Rudi angetan haben. Hatte sich dem arglosen Hund genähert und dann seinen perversen Trieb ausgelebt. „Du verdammtes Dreckschwein“, schrie er ihn ohnmächtiger Wut und schüttelte die Faust. „Ich krieg dich, du Schwein, das schwöre ich dir. Ich krieg dich.“

      Für Wolicek gab es keinen Zweifel. Diese Grausamkeit konnte nur einer der Dorfbewohner begangen haben.

      Kapitel 12

      „Gemeindeversammlung? Ach komm, Paps, was gibt es in Wolfgarten denn schon groß zu entscheiden?“ Svenja goss etwas Milch in ihr Müsli und sah ihren Vater dann skeptisch an. „Oder geht es um Woliceks Rudi?“

      „Quatsch, deswegen ruft Frau Schneider doch keine Versammlung ein.“

      „Ah, plötzlich wieder Frau Schneider?“ Svenja grinste Hoffnungsvoll. „Ihr habt euch doch nicht getrennt?“

      Jochen Kircher biss kurz in seinen Toast und die nächsten Worte waren etwas undeutlich. „Blödsinn. Das hättest du wohl gerne. Aber Vanessa ist schließlich die Ortsvorsteherin und in dieser Funktion…“

      „Ja, ja, ich kenne das“, seufzte Svenja. „Bei der Versammlung hängt die wieder den Obermacker von Wolfgarten heraus und du machst wieder auf Oberbulle.“

      „Nicht so einen Ton, junge Dame.“ Er drohte mit dem Zeigefinger. „Du redest immerhin mit einer Amtsperson.“

      Sie mussten beide lachen.

      „Jedenfalls geht es nicht um einen Hund“, meinte er und spülte mit einem Schluck Milch nach. „Obwohl uns das ein rätselhafter Fall ist.“

      „Ja, endlich Mal ein richtiger Mordfall in Wolfgarten. Ist zwar nur ein Hund, aber…“

      „Hör auf, mich so spöttisch anzugrinsen“, wies er sie an. „Außerdem gilt die Tötung eines Hundes nicht als Mord. Allenfalls als Sachbeschädigung und Tierquälerei.“

      „Finde ich ziemlich gemein. Der arme Rudi sah wirklich übel aus.“

      „Du hast ihn dir angesehen?“ Jochen Kircher schüttelte den Kopf. „Wirklich, du musst dein Näschen auch in alles rein stecken.“

      „Jedenfalls hast du jetzt deinen Zweiten richtigen Fall in diesem Jahr. Das ist doch auch mal was.“ Svenja nahm einen Löffel Müsli und verzog das Gesicht. „Gibst du mir den Zucker, Paps? Danke. Jetzt musst du nur zusehen, dass dir die Kripo den Rudi nicht genau so abnimmt, wie die Proschkes.“ Sie rührte den Zucker unter. „Gibt es von denen denn was Neues?“

      „Nein. Außerdem geht dich das nichts an.“ Jochen erhob sich und blickte dabei auf die Armbanduhr. „Jedenfalls muss ich jetzt los. Unser Revier ist für die Sicherheit und Ordnung bei der Versammlung zuständig.“

      „Wow.“ Svenja sah ihren Vater scheinbar ehrfürchtig an. „Ein Büro mit Ausschank, eine Ausnüchterungszelle und zwei Cops… Das nennst du Revier?“

      „Hör mal, Svenja, das nennt sich Tresen und nicht Ausschank. Außerdem kommt es nicht auf die Größe an.“ Er zupfte die Krawatte gerade und griff nach seiner Uniformjacke. „Und zudem ist es ja wohl ein bisschen mehr, als nur eine Gemeindeversammlung. Der Landrat wird kommen und außerdem irgendein Professor von so einer Uni im Norden. Es geht wohl um ein Projekt, das man bei uns durchführen möchte.“

      „Ah, das hast du bestimmt aus einer zuverlässigen Quelle aus der Gemeindeverwaltung“, spottete sie.

      Jochen Kircher lachte auf. „Da hast du Ausnahmsweise einmal Recht.“ Er knöpfte die Jacke zu und trat zu Svenja, um ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange zu hauchen. „Ich denke, es wird sicher interessant werden. Komm also nicht zu spät.“

      „Wo werd ich denn?“ Sie stocherte lustlos in ihrem Müsli herum und hörte, wie ihr Vater das Haus verließ.

      Nein, die Versammlung wollte sie sich wirklich nicht entgehen lassen. In der letzten Zeit passierte immerhin so Einiges in Wolfgarten und sie war ganz froh darüber, dass es endlich etwas Abwechslung gab. Eigentlich war die große Anteilnahme an den Vorfällen der letzten Tage ja ein Anzeichen, dass sich beklagenswert wenig im Dorf ereignete. Auch wenn es ihr um den armen Rudi leid tat. Der war wirklich ein ganz lieber Kerl gewesen. Wer mochte ihn wohl derartig zugerichtet haben? Svenja spürte einen Schauder über ihren Rücken laufen. Die meisten fragten sich sicherlich, wer wohl verrückt genug gewesen war, so eine sinnlose Tat zu begehen. Svenja hoffte wirklich, dass es ihrem Vater gelang, den Tierquäler zu fassen.

      Vielleicht war die Versammlung ja doch wegen Rudi einberufen worden? Immerhin war das Ganze doch ein wenig unheimlich. Schließlich waren ja auch zwei Menschen im Park verschwunden. Gab es vielleicht ein tollwütiges Raubtier, welches durch die Wälder schlich? Oder lebte ein Verrückter mitten unter den Dorfbewohnern? Ja, vielleicht wurde es doch noch aufregend…

      Svenja hatte noch Zeit, bis die Versammlung begann. Sie war für den frühen Nachmittag angesetzt worden und das ausgerechnet an einem Samstag, wenn viele zum Einkauf nach Gemünd oder Schleiden fuhren. Aber es schien wichtig zu sein und man hatte bewusst keinen Wochentag gewählt, da die Männer dann zur Arbeit waren. Und am Abend hätten wiederum jene nicht teilnehmen können, die sich um kleinere Kinder kümmern mussten.

      Kurz vor der Versammlung schwang sich Svenja auf ihr Mofa und fuhr ins Dorf hinunter.

      Vor dem Gemeinschaftshaus herrschte ungewöhnlich viel Betrieb. Die meisten der Dorfbewohner waren zu Fuß gekommen, es war ja nicht weit. Svenja sah den blausilbernen Streifenwagen ihres Vaters und seinen Kollegen Wagner, der am Eingang stand und sich mit einem Fremden unterhielt. Jochen war wohl schon im Saal des Gebäudes.

      Auf dem Parkplatz standen mehrere fremde Fahrzeuge. Darunter zwei weiße, die farbige Logos an den Seiten hatten. Interessiert trat Svenja näher und sah, dass die Grafiken das Gesicht einer jungen Frau und den Kopf eines hundeähnlichen Tieres zeigten. Es kam ihr so vor, als handele es sich dabei um einen Huskie, aber sie musste sich eingestehen, dass sie nicht besonders viel von Hunden verstand. Umlaufend um das jeweilige Logo standen der Schriftzug „European Wolflife Project“ und die Abkürzung „EWoP“. Also zeigte die Grafik keinen Huskie.

      Seltsam, was hatten diese Fahrzeuge hier zu bedeuten? In der ganzen Eifel gab es keinen einzigen Wolf, wenigstens, soweit Svenja wusste.

      Das Dorfgemeinschaftshaus war ein Flachbau mit einer geschwungenen Dachkonstruktion. Die Front zeigte viel Glas und das Dach bildete hier einen Vorbau, der auf massiven Holzbalken ruhte. Der unschöne Beton war mit Holz verkleidet worden, so dass der Bau nicht zu kalt wirkte. Das Innere bestand aus einem großen Vorraum, den man als Foyer nutzte, dem Mehrzwecksaal und einer Handvoll kleiner Nebenräume mit den Toiletten sowie einer kleinen Küche nebst Kühlraum. Gelegentlich gab es hier Aufführungen kleiner Theatergruppen aus den Nachbarorten und einmal war sogar ein echter