Michael Schenk

Das Blut des Wolfes


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Lastwagen und Baufahrzeuge rollten über die Landstraße heran, beladen mit Material und den verschiedensten Geräten. Entlang des großen Böttenbachs errichtete man Betonpylone, die Kameras tragen sollten. Der am Bach entlang führende Weg wurde verbreitert und mit einem festen Belag versehen, und der gesamte Metallzaun wurde sorgfältig überprüft. Zusammen mit Ranger Turner und dem Leiter des Projekts legte man die Positionen von drei besonders hohen Kameratürmen fest, die im abgesperrten Bereich aufgestellt wurden.

      Oberhalb der Rangerstation, am Ziegenbendges Weg, gegenüber dem Tor zum abgesperrten Bereich, entstand die Beobachtungsstelle der Wolfsforscher. Die EWoP-Station wurde aus Fertigteilen errichtet und war weit geräumiger als die Rangerstation, was einen gewissen Neid in John Turner hervorrief. Vor allem, da man dort auch einen Raum einrichtete, der für die ärztliche Behandlung und Operation von Tieren geeignet war. Hinzu kamen Unterkünfte, die räumlich bescheiden, aber doch bequem waren und den drei Beobachtern als Quartiere dienen sollten. Eine Unmenge an elektrischen und elektronischen Kabeln wurde verlegt sowie ein schallgedämpftes Notstromaggregat in einem speziellen Generatorenhaus aufgebaut. Tagelang schien es von Männern und Frauen zu wimmeln, welche die gesamte Technik installierten. In einem Raum der EWoP-Station sah es zunehmend aus, als habe man es mit dem Befehlsleitstand einer militärischen Supermacht oder dem Regiestudio eines Senders zu tun.

      Svenja und viele der anderen Bewohner sahen dem Treiben gespannt und voller Erwartung zu. Andere, wie ihr Vater, der kaum noch zur Ruhe kam, waren eher genervt und hofften darauf, dass es wohl bald vorbei sein würde.

      Schließlich war es soweit.

      Wolfgarten wartete auf seine Wölfe.

      Kapitel 15

      „…sofern wir in den Flyern tagesaktuelle Produkte aufnehmen, muss der Kunde davon ausgehen, dass eine ständige Aktualisierung des jeweiligen Nachdrucks erfolgen muss, wodurch ihm zusätzliche Kosten entstehen würden.“ Svenja überlegte kurz und tippte dann weiter. „Zwei Fotos, die uns der Kunde zur Verfügung stellt, können nicht verwendet werden. Bei einem ist die Qualität zu schlecht, um sie für einen Druck verwenden zu können und das andere Foto wurde wohl einfach aus dem Internet heruntergeladen. Es müsste geprüft werden, ob der Kunde die Bildrechte erworben hat. Ich habe daher noch einen alternativen Entwurf beigefügt, bei dem dieses Problem umgangen werden kann. Wäre Super, wenn es Ihnen gefällt.“

      Sie kennzeichnete die E-Mail, hing die beiden Grafikdateien an und schickte sie auf ihren elektronischen Weg. Hoffentlich stolperte ihre Chefin nicht über die Sendedaten, denn es war weit jenseits der regulären Arbeitszeit und bei Auszubildenden nahm die Firma die Einhaltung der Zeiten sehr genau.

      Svenja blickte auf die Anzeige ihres Computers. Weit nach Mitternacht. Sie sollte längst schlafen, doch sie konnte es nicht. Sie fühlte eine Unruhe, die sie sich nicht erklären konnte. Seufzend fuhr sie den Rechner herunter und schaltete ihn aus. Dann erhob sie sich und trat an das offene Fenster.

      Es war eine wundervolle sternenklare Nacht und zugleich war es drückend heiß. Mitten im Hochsommer brachten die Nächte nur wenig Abkühlung. Obwohl Wolfgarten von Wald umgeben war, schien es keinen lindernden Schatten zu geben. Die Sonne brannte am Tage auf den Kermeter Höhenzug herab und kein Windhauch regte sich, der Linderung brachte. Tagsüber war es im Freien kaum zu ertragen und selbst die Kühe von Bauer Wolicek suchten am Waldrand den Schatten der Bäume.

      Svenja konnte einfach nicht schlafen. Das Schlafzimmerfenster ihres Vaters stand ebenfalls offen und Vanessa Schneider war zu Besuch. Ein Besuch, den man nicht überhören konnte. Immerhin war Vanessa in der letzten Zeit nur noch selten gekommen und Svenja hatte die Hoffnung, dass die Beziehung zwischen ihrem Vater und der hübschen Schwarzhaarigen langsam einschlief. Im Moment hörte es sich allerdings nicht danach an.

      „Ist ja echt nicht zum aushalten“, knurrte sie und starrte dabei in die Nacht hinaus. Das Haus war nicht besonders gut isoliert und sie hatte auch vergessen, tagsüber das Rollo herab zu lassen. Ihr Zimmer unter dem Dach glich nun einem Backofen. „Verdammt, wie können die beiden es bei dieser Affenhitze miteinander machen?“

      Schließlich trat die ersehnte Ruhe ein.

      Wie erwartet, tappten die Schritte von Vanessa Schneider zum Badezimmer und die Dusche begann zu rauschen. Svenja hätte nun selbst eine gebrauchen können. Seufzend zupfte sie an ihrem verschwitzten T-Shirt.

      Vollmond.

      Auch das noch.

      Früher hatte sie nie Probleme damit gehabt und auch bei Vollmond wie ein Murmeltier geschlafen. Aber in der letzten Zeit war das anders geworden. Sie konnte sich nicht erklären woher diese Empfindlichkeit plötzlich kam. Selbst wenn sie ihr Zimmer völlig verdunkelte, bei Vollmond fand sie kaum noch Schlaf und wenn dies doch einmal der Fall war, dann schlief sie unruhig und wachte am Morgen verschwitzt auf.

      Svenja hörte die Tür des Badezimmers. Vanessa schien ihre Dusche beendet zu haben. Auch wenn es ihr nicht behagte, unter eine Brause zu treten, welche die Frau zuvor benutzt hatte, sie brauchte nun wirklich selber eine Erfrischung. Svenja spürte, dass ihre Aversion gegen die Ortsvorstehern immer stärker wurde, obwohl sie eigentlich keinen Grund dazu hatte. Vanessa schien diese Abneigung ebenfalls zu spüren, denn sie vermied es, ihr zu begegnen.

      Svenja tappte hinunter zum Badezimmer, öffnete die Tür und tastete mechanisch nach dem Lichtschalter. Im gleichen Augenblick spürte sie einen stechenden Schmerz und sah ein grelles Aufblitzen von grünem Licht. Aufstöhnend taumelte sie zurück, rieb sich das brennende Auge und tastete sich halb blind in ihr Zimmer zurück.

      Stöhnend drückte sie die Tür mit dem Rücken ins Schloss, stieß gegen ihr Bett und kippte vornüber. Noch immer war das Blitzen und Brennen in ihrem Auge und Svenja glaubte zu stürzen. Immer tiefer.

      Etwas Graues war vor ihren Augen und sie spürte unvermittelt etwas Hartes unter ihrem Körper. Aber das grelle Licht und der Schmerz verschwanden nun und wichen stattdessen einer wohligen Wärme. Erleichtert richtete Svenja sich auf und erstarrte überrascht.

      „Oh, Mann, was geht hier ab?“, murmelte sie verwirrt und sah sich um.

      Das Gebäude schräg vor ihr war unzweifelhaft das Dorfgemeinschaftshaus, gegenüber sah sie den kleinen Laden der Westphals, der die einzige Einkaufsmöglichkeit in Hargenheide bot. Die Gebäude waren unbeleuchtet, doch das Licht der Sterne und des Vollmondes ließen jede Kontur scharf genug hervortreten.

      Wie kam sie hierher? Was, verdammt, war da passiert? Eben war sie doch noch in ihrem Zimmer gewesen und nun stand sie plötzlich mitten auf der Straße?

      War sie etwa Schlafgewandelt?

      Sie erhob sich und schüttelte benommen den Kopf. Ihre Füße schienen sich wie eigenständige Lebewesen zu bewegen. Sie spürte die Wärme des Asphalts, jede Unebenheit in der Oberfläche des Belags. Svenja rannte in Richtung der Kermeter Straße, ohne dies eigentlich zu wollen. Sie versuchte, die Richtung zu beeinflussen, doch die Beine wollten ihr nicht gehorchen. Ihre Füße huschten über den körnigen Straßenbelag und Svenja stellte entsetzt fest, dass sie nicht einmal den Kopf drehen konnte. Es musste ein Traum sein, es konnte gar nicht anders sein. So hoffte sie darauf, bald zu erwachen und ließ sich einfach treiben, registrierte lediglich, wie sich ihr Körper bewegte.

      Sie musste sehr schnell laufen, denn die Häuser glitten rasch vorbei und nun näherte sie sich einer der Straßenseiten. Sie sprang über den Bordstein hinweg und empfand Verwirrung. Etwas war schrecklich Falsch, aber sie konnte es nicht einordnen. Aber an diesem Traum schien gar nichts richtig zu sein. Nun rannte sie auf einen Gartenzaun zu.

      Moment, da stimmte etwas nicht. Was war mit dem Zaun los? Er war viel zu hoch. Und sie lief direkt darauf zu. Lief zwischen zweien der Zaunlatten hindurch.

      Zwischen ihnen!

      Svenja stöhnte auf.

      Was für ein merkwürdiger Albtraum war das?

      Wieso waren die Perspektiven so verzerrt? So, als würde sie auf dem Bauch kriechen? Und selbst wenn sie kroch, wieso war sie dabei