Alfred Kachelmann

Sie wollte leben, einfach nur leben...


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liebte zu verlieren.

      Leise, fast traurig klang seine Stimme als er ihr sagte, dass sein Freund gekommen war um sie mit zu sich zu nehmen. Er sagte auch, dass er in den letzten Monaten voller Angst ihre Liebe und Zuneigung zu diesem Mann gespürt hat, dass er diese Verbindung niemals gut heißen könnte, ihr aber nicht im Wege stehen wird falls sie mit ihm gehen wolle. „Glaube mir, er ist zwar ein Freund, aber er ist nicht gut für dich“. Während er zu ihr sprach klang seine Stimme immer brüchiger, immer trauriger.

      Sie drehte sich langsam um und sah ihm ins Gesicht, dieses wettergegerbte, verrunzelte, liebe Gesicht. Sie konnte es noch nicht erfassen was er ihr gerade gesagt hatte, ihre Gedanken kreisten um seine Worte. Aber was sie sah, und was sie begriff, das waren seine Tränen, die ihm beim Sprechen über seine Wangen liefen. Sie hatte ihn noch nie weinen sehen. Ihn, ihren geliebten Vater, der jeden Augenblick ihres Lebens für sie da gewesen war, der sich voller Liebe und aufopferungsvoll um ihre Mutter, die seit Jahren krank und verwirrt nach einem Schlaganfall vor sich hin vegetierte, kümmerte.

      Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und küsste die Tränen von seinen Augen ab. Leise fast zärtlich kamen die Worte über ihre Lippen als sie ihm zu verstehen gab, das er keine Angst haben müsse, schließlich sei sie noch viel zu jung für die Liebe. Sie würde ihn und ihre Mutter nicht alleine lassen… jetzt noch nicht. Dumpf hallten die Schläge des Türöffners zu ihnen herauf. Immer und immer wieder forderten sie Einlass. Dumpf und bedrohlich und doch spürte sie tief in ihrem Herzen wie sehr sie sich wünschte dass endlich jemand dieser Aufforderung nachkommen würde. Ihre großen braunen Augen füllten sich mit Tränen. So standen sie beide eng umschlungen da, weinten miteinander, beide unfähig diese Umarmung zu lösen. Sie wusste, dass sie eben einen Fehler beging, den sie wahrscheinlich ein Leben lang bereuen würde. Aber sie konnte nicht anders.

      Erst Minuten später, nachdem das dumpfe Klopfen verhallt war, ließen sie sich wieder los. Langsam und stumm ging ihr Vater wieder aus dem Zimmer, nicht fähig auch nur noch ein Wort an sie zu richten. Sie sah ihm nach wie er mit eingezogenen Schultern und hängendem Kopf durch die schmale Tür hinaus in den dunklen Flur trat während sich ihre Augen mit Tränen füllten.

      Stunden später, ihr Vater hatte sich bereits zu Bett begeben, stieg sie die kleine Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Sie ließ das Licht gelöscht und taste sich langsam und vorsichtig durch den engen Flur hin zur Eingangstür. Leise drehte sie den großen eisernen Schlüssel im Schloss. Ängstlich, fast als hätte sie die Befürchtung dass er noch immer vor der Türe stand um Einlass zu bekommen, öffnete sie langsam die schwere Eingangstüre. Erst schaute sie sekundenlang durch den schmalen Spalt, durch den jetzt das Mondlicht in den Flur herein fiel, um dann doch rasch und beherzt die Türe aufzuziehen. Fast wäre sie über den Blumenstrauß, der auf der obersten der drei ausgetretenen Steinstufen lag, ge-stolpert. Sechs weiße Rosen, die vom Mondlicht verzaubert wurden, lagen welk und verblasst und doch so wunderschön vor ihr. Langsam bückte sie sich und hob die Blumen auf um sie fest an sich zu pressen. Ihr Blick wanderte dabei die enge Gasse endlang, voller Hoffnung noch etwas von ihm zu erhaschen, ihn der schon lange wieder über das alte brüchige Kopfsteinpflaster entschwunden war…

      Die Tage gingen dahin. Sie ertappte sich oft dabei, dass sie stundenlang in ihrem Zimmer am Fenster stand und hinaus auf die Gasse blickte. In Gedanken sah sie ihn immer und immer wieder über das nasse Kopfsteinpflaster die Treppe hinauf-steigen. Sie konnte seine Augen sehen, die suchend zu ihr herauf schauten. Warum hatte sie ihren Gefühlen nicht einfach nachgegeben? Warum war sie nicht selbst zur Türe gegangen um ihm zu öffnen? Manchmal lief ihr dabei eine verstohlene Träne übers Gesicht. Warum nur, warum hatte sie nicht anders reagiert.

      Die vertrockneten Rosen lagen auf dem kleinen Schränkchen auf dem auch sein Bild stand. Fast hatte man den Eindruck sie hätte einen kleinen Altar errichtet. Einen Alter ihrer Erinnerungen und ihrer Träume.

      Kapitel 2

      Die Monate vergingen. Sie hatte zwischenzeitlich Arbeit gefunden. In der kleinen Bäckerei am Ende ihrer Gasse stand sie jeden Tag am Verkaufsthresen und tütete kleine Brötchen ein, oder reichte den Kunden, für die sie immer ein freundliches Wort fand, frisches Brot.

      Es war nicht einfach für sie gewesen diese Stelle zu finden. Es waren schlechte Zeiten Anfang der 60er, Arbeit fand nur wer gute Beziehungen hatte. Viel verdiente sie nicht, aber sie war zufrieden, schließlich konnte sie mit ihrem Geld etwas zum kärglichem Gehalt ihres Vaters, das er in einer ansässigen Fabrik als Galvaniseur arbeitete, dazu geben. Für sie selbst blieb nur selten etwas übrig. Aber es reichte ihr, große Wünsche hatte sie keine, Ausgehen und wie andere junge Leute Spaß haben lag ihr nicht. Lieber ging sie nach ihrer Arbeit in ihr Zimmer und verkroch sich stundenlang in ihren Büchern. Sie genoss diese Momente, in denen sie sich in ihre Träume flüchten konnte. Träume von fremden Welten und fremden Völkern nach denen sie sich so sehnte.

      Es war kurz vor Heilig Abend. Vor einigen Stunden hatte es endlich angefangen zu Schneien. Mutter, die sich etwas besser fühlte, versuchte die Wohnung weihnachtlich zu schmücken. Sie durfte ihr dabei nicht helfen. Aber sie blieb trotzdem ständig an ihrer Seite um zu beobachten wie sie die Figuren aus der alten Holzkiste, die sie ihr am frühen Nachmittag vom Dachboden holen musste, auspackte, oder Tannenzweige, die Vater frisch im Wald geschnitten hatte, überall im Haus verteilte. Es war schwer für ihre Mutter, schließlich konnte sie nach ihrem Schlaganfall die linke Hand nicht mehr richtig gebrauchen. Auch zog sie beim Laufen noch immer ihr Bein hinter sich her. Ihr unsicherer Gang und ihre Unbeholfenheit jagten ihr immer wieder neue Schrecken ein. Sie hatte Angst, dass ihre Mutter stürzen oder sich gar verletzen könnte. Sie wusste jedoch, dass sie ihr diese Freude nicht nehmen durfte. Für ihre Mutter war es ein Schritt zur Normalität. Sie wollte nicht zum Krüppel abgestempelt sein. Wollte ihr und Vater zeigen, dass sie durchaus in der Lage war sich um sich selbst zu kümmern.

      Als es an der Tür klopfte, dachte sie zunächst die Nachbarin, die sich für den Abend zu Besuch angemeldet hatte, würde etwas zu früh kommen. Sie lief die Treppe hinab und öffnete die alte Haustüre während sie bereits das Plappern anfing um ihren Gast willkommen zu heißen.

      Vater war gegen die Heirat gewesen. Seither war er nicht mehr der Selbe. Er zog sich von ihr zurück, kaum dass er sie bei ihren seltenen Besuchen begrüßte. Sie wusste dass sie ihm damit das Herz gebrochen hatte. Es tat ihr weh wenn sie seine traurigen Augen sah.

      Mutter hatte nie gesagt wie sie zu dieser Hochzeit stand. Aber wenn sie sich von ihr verabschiedete konnte sie ihre feste Umklammerung kaum lösen. Sie sagte ihr jedes Mal dass sie sich viel zu selten sehen würden, dass sich das ändern müsse wenn sie wieder ganz gesund sei. Vater drehte sich dabei immer um und verließ wortlos den Raum um die kleine steile Treppe hoch zu gehen damit er sich in sein Zimmer zurückziehen konnte. Bei diesem Anblick spürte sie wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Warum konnte er sie nicht verstehen. Sie hätte es sich so sehr gewünscht dass er ihre Entscheidung endlich akzeptieren würde.

      Während der alte Mann langsam die Treppe, die unter jedem Schritt ächzte, hinaufstieg, rief sie ihm nach dass sie ihn liebte und dass sie bald wieder kommen würde. So lief es jedes Mal aufs Neue ab, immer und immer wieder.

      Plötzlich stand er vor ihr. Bei seinem Anblick verschlug es ihr regelrecht die Sprache. Sie wollte, aber sie konnte kein Wort über ihre Lippen bringen. Mit großen Augen sah sie ihn an. Es waren nur Sekunden, aber ihr kam er wie eine kleine Ewigkeit vor, dieser Moment des Erschreckens, der Überraschung und der übergroßen Freude. Wortlos fielen sich beide in die Arme. Endlich war er da schoss es ihr durch den Kopf, endlich.

      Kapitel 3

      Die Zeit verging und ihre Besuche waren seltener geworden. Ihr Mann hatte ihr zu verstehen gegeben, dass er keinen all zu großen Wert mehr darauf legen würde. Er wollte, dass seine Frau schön zu Hause bliebe um sich um ihn und die Wohnung zu kümmern. Das wäre vollkommen ausreichend. Er duldete auch nicht mehr dass sie weiter in der Bäckerei arbeitete. Schließlich war er fähig alleine für seine kleine Familie zu sorgen. Bei der Arbeit und durch den ständigen Kontakt mit fremden Leuten käme sie nur auf dumme Gedanken.