Alfred Kachelmann

Sie wollte leben, einfach nur leben...


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konnte sie dies zwar nicht, aber sie hatte gelernt wortlos zu akzeptieren. Einmal wagte sie ihm zu widersprechen, Er wurde dann zum ersten Mal richtig böse mit ihr. Zornig hob er seine Hand und sie hatte schon Angst dass er sie schlagen könnte. Sie erkannte ihn in diesem Moment nicht mehr wieder. Mit hochrotem Kopf und vor Wut zitternd stand er vor ihr. Unter Tränen entschuldige sie sich bei ihm für ihre vorlaute Rede. Sie wollte ihn doch nicht mit Absicht verärgern. Er war schließlich nach wie vor der Mann ihrer Träume. Sie liebte ihn doch von ganzen Herzen. Warum nur reagierte er so heftig.

      Erst viel später wurde ihr bewusst, dass sie jetzt die Weichen für ihre Zukunft hätte anders stellen können. Sie hätte ihm nur zeigen müssen, dass er sich ihr gegenüber nicht so verhalten konnte. Aber damals war sie jung, verängstigt, voller Hoffnung. Sie hätte nie erwartet, dass sich solche Zwischenfälle noch einmal ereignen könnten. Vielleicht wäre ihr viel erspart geblieben wenn sie damals ihre Entscheidung noch einmal Überdacht hätte. Viel Kummer, viel Leid und viele, viele Demütigungen.

      Sie waren jetzt vier Jahre zusammen. Ihr Mann arbeitete noch immer als Fernfahrer. Er war nur noch selten daheim. Wenn dann hatte sie das Gefühl, dass er mit seinen Gedanken gar nicht bei ihr war. Egal was sie ihm sagte, ihn schien, es nicht mehr zu interessieren. Er erzählte auch nicht mehr wie früher von seinen Reisen. Zornig war er, zornig und ständig müde. Sie unternahmen kaum noch etwas zusammen. Manchmal ertappte sie sich, dass sie bei dem Gedanken dass er wohl bald wieder abreisen werde, kaum noch etwas verspürte. Komisch dieses Gefühl, dass ihr dass nichts mehr ausmachte.

      Er war eigenartig geworden, böse und eigenartig. Sie durfte das Haus nicht mehr verlassen. Musste den ganzen Tag in ihrer kleinen Wohnung bleiben. Hatte sie ihm früher immer wieder bis aufs Kleinste vorrechnen müssen wie viel Geld sie für Lebensmittel und andere Sachen, die sie fürs tägliche Leben brauchten, ausgegeben hatte, so brauchte sie dies nicht mehr, denn er kaufte diese Sachen jetzt selbst ein wenn er von seinen Reisen zurückkam. Nicht nur dass er ihr verbot das Haus zu verlassen, er schloss sie jetzt sogar ein wenn er ging.

      Er war bereits eine ganze Woche unterwegs gewesen. Sie wusste, dass er heute wie-der mit hoher Wahrscheinlichkeit von seiner Reisen zurückkommen würde. Ängstlich hatte sie deshalb den ganzen Tag über versucht die Wohnung so schön wie es nur irgend möglich war herzurichten. Sie verbrachte die letzten Stunden damit die Holzdielen mit groben Metallspänen zu bearbeiten um anschließend den Inhalt einer Bohnerwachsdose gleichmäßig auf den Brettern zu verteilen. Ihr ganzer Rücken schmerzte und ihre beiden Knie waren bereits wundgescheuert.

      Hoffentlich war er gut gelaunt wenn er nach Hause kam. Sie konnte einfach nicht vergessen mit welch bösen Blicken er sie beim Abschied noch einmal von oben bis unten gemustert hatte. Diese bösen durchdringenden Augen jagten ihr so einen großen Schrecken ein, dass sie die ganze Nacht nicht schlafen konnte.

      Das Knarren der Dielenbretter riss sie jäh aus ihren Gedanken. Sie blickte erschrocken auf. Breitbeinig stand er vor ihr. Mit zusammengepressten Lippen stieß er ihr eine bissige Bemerkung über ihr Aussehen entgegen. Seine Augen blitzen zornig unter dem Rand seiner Mütze hervor, die er tief ins Gesicht gezogen hatte.

      Da war sie wieder diese Angst, die ihr die Kehle immer enger zuzog, sie unfähig machte auch nur ein Wort aus ihrem Mund hervor zu bringen. Ihr Herz schlug ihr hinauf bis zum Hals. Sie wagte kaum zu atmen. Wortlos blieb sie einfach vor ihm am Boden knien. Sie hatte das Gefühl seine Hand bereits in ihrem Nacken zu spüren. Hoffentlich ging es schnell vorüber. Hoffentlich würde er nicht zu arg zuschlagen.

      Sie war früh zu Bett gegangen. Ihr rechtes Auge schmerzte und ihr Rücken tat ihr von den Schlägen weh. Während er in der Küche trank weinte sie sich in den Schlaf. Für sie war heute ihr Traum von einem glücklichen und zufriedenen Leben endgültig zu Ende gegangen. Ein Leben von dem sie außer Ruhe und Geborgenheit nicht mehr erwartet hatte.

      Sie hatte unruhig geschlafen, war aufgewacht weil sie irgendein Geräusch gehört hatte. Sie starrte in die Dunkelheit und lauschte ängstlich was er wohl gerade machen würde. Plötzlich war sein Gesicht direkt vor dem ihren. Seine Alkoholfahne schlug ihr entgegen. Seine bösen, wütenden Augen blitzten im Dunkeln auf. Zornig schrie er sie an sie solle Platz machen damit er zu ihr kommen könne. Wie gelähmt ertrug sie dann voller Angst seine Annäherungsversuche. Der Ekel stieg in ihr auf und ihr Körper, der ihr nicht mehr zu gehören schien, lag stocksteif auf dem weißen Lacken als er ihr mit seinen schmierigen, gierigen Händen, das Nachthemd vom Leib riss. Während er in sie eindrang hatte sie das Gefühl sich übergeben zu müssen.

      Mein Gott hörten diese Schmerzen denn nie auf? Musste er sie denn noch so demütigen? Konnte er sie nicht einfach in Ruhe lassen? Mein Gott was hatte sie ihm denn getan? Was hatte sie getan um so leiden zu müssen? Zum ersten Mal seit sie zusammen waren spürte sie diesen unendlichen Hass in sich aufsteigen. Hass, ja Hass… Gott vergib mir…

      Stundenlang hatte sie in ihrem Bett gelegen und versucht Ruhe zu finden. Aber jedes Mal wenn ihr die Augen vor Müdigkeit kurz zu fielen, sah sie diesen unendlich bösen Gesichtsausdruck vor sich. Er hatte ihr richtig Angst gemacht. Sicher, es war nicht zum ersten Mal dass er sie so ansah, aber sie hatte es sich bisher immer wieder einreden können, dass er nur aus Sorge um sie so war. Im Geheimen hatte sie sich bereits daran gewöhnt ständig eingesperrt zu werden. Anfangs konnte sie dies zwar alles nicht nachvollziehen, aber je öfter sich das Ganze wiederholte, umso mehr hatte sie sogar das Gefühl einer gewissen Sicherheit, die ihr die Enge ihrer kleinen Wohnung bot.

      Sie hatte ihren Tagesrhythmus bereits nach wenigen Wochen gefunden. Aufstehen, sich waschen und ankleiden, anschließend die Wohnung reinigen und sich am Nachmittag in einem der vielen Bücher vergraben, die sie bei ihrem Auszug aus der Wohnung ihrer Eltern mitgenommen hatte. Wenn sie ihre geliebten Romane las, konnte sie sich aus ihrer Gefangenschaft wegträumen, konnte all das erleben was ihr von ihrem Mann verwehrt wurde. Oder sie sah ganz einfach stundenlang aus einem der kleinen Fenster hinaus auf die Straße und beobachtete die vorbeigehenden Menschen. Manche nickten ihr sogar freundlich zu und sie konnte einige unverfängliche Worte mit ihnen wechseln. In solchen Momenten sehnte sie sich danach endlich wieder einmal diese Wohnung zu verlassen, in der sie wie in einem Käfig gefangen gehalten wurde.

      Kapitel 4

      Er war wieder weg. Schon früh am Morgen verließ er Grußlos das Haus. Auf dem Tisch fand sie dann einen Zettel. Auf ihm stand dass er jetzt eine Zeit lang nicht wieder kommen würde. Er wäre für einige Wochen in Österreich unterwegs. Neben dem Zettel lag ein kleiner Umschlag. Er fühlte sich schwer an. Voller Neugierde öffnete sie ihn mit dem kleinen Küchenmesser das noch von Gestern am Tisch liegen geblieben war. Sie konnte kaum glauben was sie in ihm fand. Ihr Schlüssel, den er ihr schon vor Monaten weggenommen hatte und vier Zehnmarkscheine.

      Was hatte er vor, sollte er vielleicht sogar ein schlechtes Gewissen haben für das was er in dieser Nacht getan hatte? Oder war es nur wieder einer seiner Einfälle mit denen er ständig versuchte sie aufs Neue zu quälen? Sie wusste zu-nächst nicht wie sie mit dieser Situation umgehen sollte. Trotzdem beschloss sie die Gelegenheit zu nutzen um endlich wieder einmal ihre Eltern zu besuchen. Sie merkte wie ihr bei diesen Gedanken das Herz vor Freude schneller schlug.

      Sie hatte ihr schönstes Kleid angezogen und saß stundenlang vor ihrem Spiegel um ihre Haare, die sie monatelang vernachlässigt hatte, wieder in Form zu bringen. Sie war aufgeregt wie ein kleines Kind. Endlich, endlich konnte sie ihre Eltern wieder sehen. Wie es ihnen wohl ergangen war? Ob sie sich auch so freuten wie sie es tat? Nachdem sie sich fertig angekleidet hatte verließ sie das Haus, verschloss sorgfältig die Türe und lief so schnell es ging zum Haus ihren Eltern.

      Unterwegs begegneten ihr viele Menschen die sie noch aus ihrer Zeit in der Bäckerei kannte. Alle grüßten sie freundlich und sie erwiderte diese Grüße mit Freuden. Dabei huschte jedes Mal ein kleines Lächeln über ihr Gesicht. Es war warm, die Sonne schien mit ihrer ganzen Kraft an diesem herrlichen Frühlingstag. Sie freute sich über die Menschen die sie sah, genauso jedoch über die Blumen, die ihre Köpfchen vorwitzig und keck aus den Beeten, an denen sie vorüber lief, streckten. Der Gesang der Vögel brachten ihr Herz zum jubilieren. Ach wie schön es doch heute war. Vergessen die