Melanie Mende

Syleria


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brannten sich in ihr Herz, so heiß, dass es aufloderte, bis sie selbst Feuer fing. Sie stand in Flammen, doch spürte die Hitze nicht, und eine gewaltige Macht staute sich in ihr auf, bis der Druck so groß war, dass sie sich in einer gewaltigen Explosion entlud. Danach war alles still. Keiner der Männer hatte überlebt. Alles, was von ihnen blieb, war ein Haufen Asche. Und dort, wo vorher der Drache und das Mädchen gewesen waren, lag nun ein großes, steinernes Ei, das noch vor Hitze glühte.

       Das Ei lag viele hundert Jahre verborgen in der Höhle. Ganze Königreiche kamen und gingen. Die Ahn wichen den neun großen Völkern. Ein neues Zeitalter begann. Und dann, endlich, schlüpfte das Ei. Ein kleiner Drache und ein junges Mädchen kamen gemeinsam daraus hervor. R'khela und Penthesilea, die erste Drachenreiterin. Wenige Jahre später legte R'khela drei weitere Eier und wieder schlüpften daraus ein Drache und ein kleines Mädchen. So gründete sich der Stamm der Hochlandamazonen, ein rein weiblicher Stamm von kriegerischen Drachenreitern. Sie werden nicht geboren, sondern schlüpfen gemeinsam mit einem Drachen aus einem Ei. Niemand weiß, wie das möglich ist. Es ist Magie. Die Verbindung mit ihrem Drachenzwilling hält ein Leben lang und ebenso wie die Drachen, leben sie viele hundert Jahre lang."

      *

      Das Wetter war regnerisch in jener Nacht und Nebel stand in der Luft. So war es in letzter Zeit immer häufiger, als hätte sich tiefe Verzweiflung über das Land gelegt. Die Zeit schien irgendwo auf halber Strecke hinter ihnen zurückgeblieben zu sein und die monotone Landschaft aus milchiger Nebelsuppe glitt endlos an ihnen vorbei. Fynnick wusste nicht, wie viel Zeit inzwischen vergangen war. Sein Schädel dröhnte, als er vorsichtig versuchte, sich aufzusetzen. Der Karren, auf dem er sich befand, holperte über einen steinigen Feldweg und bei jeder Erschütterung spürte er, wie sich die auf seinen Rücken gerichtete Speerspitze tiefer in sein Fleisch bohrte. Man hatte ihm seine Hände auf dem Rücken gefesselt, was ihn wahrscheinlich am Zaubern hindern sollte. Allerdings war diese Maßnahme eigentlich ziemlich überflüssig, da er das Zaubern mit magischen Gesten gar nicht beherrschte. Bisher war er über die erste Stufe, das Zaubern mit magischen Formeln, nicht hinaus gekommen, doch das wussten seine Wachen nicht und er hatte nicht vor, es ihnen zu verraten. Die Wache, die ihm gegenüber saß, ein stämmiger Zwerg mittleren Alters, hätte sich bei seiner Verhaftung fast in die Hosen gemacht, als er mit der Hand ein unbeholfenes Runenzeichen formte. Seine Handhaltung war miserabel und es hätte natürlich keine Wirkung gehabt, es sollte jedoch auch nur zur Ablenkung dienen. Zwerge haben von Natur aus eine starke Abneigung gegen Magie, da sie dagegen hochgradig allergisch sind, und Fynnick hoffte, den Zwerg so für einen Moment aus der Fassung zu bringen. Das Manöver hätte auch fast Erfolg gehabt, und ihm beinahe die Flucht ermöglicht, wenn die andere Wache nicht ausgerechnet ein Grum gewesen wäre. Die Grum sind eng verwand mit den Kobolden und zeichnen sich aus durch absolute Phantasielosigkeit. Das macht sie Magie gegenüber immun. Es heißt, es hätte noch nie jemand einen Grum lächeln sehen. Fynnick war sich allerdings fast sicher, ein leichtes Zucken der Mundwinkel bemerkt zu haben, kurz bevor ihn die Keule des Grum außer Gefecht gesetzt hatte.

      Die Wachen hatten ihm offenbar sämtliche mathemagischen Utensilien abgenommen. Das Manameter, sein Formelbuch, den Chronomatographen, selbst seinen Hut, seinen verdammten Hut. Was glaubten sie denn, was er mit einem alten abgetragenen Lederhut in der Lage war zu tun? Wahrscheinlich reichte bereits seine spitze Form und die breite Krempe, die ihn offensichtlich als Hut eines Magiers kennzeichneten, um die Wachen nervös zu machen. Wer konnte es ihnen schon verdenken, nach dem was in Magna Meridia vorgefallen war? Die Sachen lagen nun, fein säuberlich aufgestapelt, auf der Bank neben dem Zwerg. Was Fynnick daran am meisten ärgerte war, dass der Zwerg mit seinem dicken Hintern zur Hälfte auf dem Hut saß und ihn völlig zerknautschte. Der Hut mochte zwar alt und aus der Mode gekommen sein, doch er hatte für ihn einen persönlichen Wert, und zu sehen wie er von den zwergischen Pobacken malträtiert wurde, machte ihn innerlich wahnsinnig. Gerade als er sich darüber beschweren wollte, fiel dem Zwerg auf, dass er wach war.

      “Hey, Grenn. Sieht aus als issa endlich uffjewacht.”, teilte der Zwerg der anderen Wache mit, die hinter Fynnick saß. Sofort bohrte sich der Speer noch etwas fester in seinen Rücken. Fynnick wagte einen kurzen Blick über die Schulter und erkannte den Grum sofort wieder.

      “Blick nach vorn!”, kläffte der und versetzte ihm einen heftigen Stoß in die Rippen, so dass er sich vor Schmerzen krümmte. “Sieh ihm nicht in die Augen Börk! Wir wissen nicht, ob er per Gedanken zaubern kann.”

      Der Zwerg zuckte erschrocken zusammen. Daran hatte er offenbar noch gar nicht gedacht. Von da an starrte er nur noch wie gebannt auf seine klobigen Füße. Schnell rechnete sich Fynnick seine Chancen aus, unbemerkt von diesem Karren zu verschwinden. Er konnte unmöglich in Gu’ul einsitzen. Das was er getan hatte war schlimm, ja, doch es war ein Unfall, und jetzt wollte man ihn bestrafen wie einen Schwerverbrecher. Gu’ul war das Hochsicherheitsgefängnis von Syleria. Hier brachte man die schlimmsten der Schlimmen unter. Zuvor hatte man sich den Abschaum der Gesellschaft vom Hals geschafft, indem man ihn nach Dunderia, einer düsteren, auf der Rückseite gelegenen Schattenwelt, verbannt hatte. Doch jemand hatte den Schlüssel zum Portal in diese Welt verlegt, und so gründete man vor knapp fünfhundert Jahren Gu’ul, was wörtlich übersetzt soviel hieß wie ‘Mülleimer’. Er war Mathemagier, ein Nerd, kein Kämpfer. Wie lang konnte er in so einer Umgebung wohl überleben? Nein, er musste verschwinden, und zwar schnell. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. Bis zum Gefängnis war es nicht mehr weit und hatten sie Gu’ul erst einmal erreicht, würde es bedeutend schwieriger werden zu verschwinden. Er brauchte einen Plan, ein Ablenkungsmanöver. Verstohlen sah er sich auf dem Karren um. Gemeinsam mit ihm fuhren noch etwa zwölf andere Gefangene ihrem Schicksal entgegen. Die Resignation stand ihnen in ihre Gesichter geschrieben. Weiter vorn saß noch eine weitere Wache. Es schien fast, als würde sie dösen. Kaum einer kümmerte sich um das, was um ihn herum geschah. Direkt neben ihm saß ein riesiger Gebirgstroll. Die waren bekanntlich nicht sehr helle, dafür aber unglaublich stark. Das könnte nützlich sein. Sein Blick viel auf eines der Bretter im Boden des Karrens, das sich verzogen hatte und nun an einer Seite etwas hoch stand. Börk, die Wache ihm gegenüber, nieste lautstark und wischte sich die Nase mit dem Ärmel ab. Der Zwerg rückte noch ein Stück von ihm weg. Offenbar hatte er Angst, zu viel von seiner Magie abzubekommen, und sich etwas einzufangen. Fynnicks Hirn fing, wie so oft, von allein an zu arbeiten. Seine Gedanken rasten und zeigten ihm die verschiedenen Möglichkeiten auf. Er wägte Wahrscheinlichkeiten und Risiken ab, bis er alle Eventualitäten einkalkuliert hatte. Ja, das könnte funktionieren.

      Fynnick starrte Börk direkt ins Gesicht und fing an, unverständliche Worte zu murmeln. Er hoffte, der Zwerg würde es für Beschwörungsformeln halten. Börk hingegen versuchte Fynnick möglichst nicht anzusehen, doch sein Blick huschte immer wieder zu ihm zurück. Der Zwerg wurde immer unruhiger und rutschte nervös auf seinem Platz hin und her.

      „Grenn, er hört nich uff mich anzestarrn. Watt murmelt der denn de janze Zeit?”

      „Ignorier ihn einfach.“

      „Aber Grenn, er glotzt mir direkt ins Jesicht. Ich glob ich krich schon Usschlach. Et juckt schonn überjall.“

      „Das bildest du dir nur ein.“

      „Können wa’ nich enfach de Plätze toschen? Du bis doch immun. Dir kanna ja nix.“

      Genervt verdrehte der Grum die Augen. „Na schön. Lass uns tauschen.“

      Die beiden Wachen standen auf und versuchten sich auf dem schaukelnden Karren aneinander vorbei zu schieben. Das läuft ja noch viel besser als erwartet, dachte sich Fynnick im Stillen und flüsterte: “ligna mova”. Die lose Planke im Boden hob sich noch etwas weiter an und der Zwerg blieb daran hängen. Er geriet ins Stolpern und fiel direkt auf den Gebirgstroll. Der Troll hob reflexartig die Arme und zerriss dabei seine Fesseln. Überrascht blickte er auf seine befreiten Hände. „Uuups,‘tschuldigung!“, sagte er verlegen und kicherte mit der Stimme von tausend Kieselsteinen. Die beiden Wachen starrten den Troll mit vor Schreck geweiteten Augen an, unfähig sich zu bewegen, und auch einige der anderen Gefangenen hatten bemerkt was vor sich ging und erwachten aus ihrer Lethargie. Für ein paar Sekunden geschah absolut gar nichts. Alle warteten, was als nächsten geschehen würde. Fynnick