Melanie Mende

Syleria


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mit seinem Namen, seinen Vorkenntnissen, und wo er bisher ausgebildet worden war. Als ich sagte, dass ich bisher von meiner Großmutter unterrichtet worden bin, hat man mich nur ausgelacht. Ohne eine echte arkane Schule besucht zu haben, hätte ich keine Chance, sagten sie. Außerdem sei ich noch viel zu jung. In meinem Alter könne ich wahrscheinlich höchstens magisch eine Kerze entzünden. Ich solle wieder nach Hause gehen und meine Nase lieber wieder in meine Bücher stecken. Ich wollte ihnen beweisen, dass sie falsch lagen. Ich mein, ja, ich bin zwar erst neunundvierzig und als Gnom offiziell noch nicht erwachsen, aber es sind nur noch ein paar Monate bis zu meiner Gnomitzwa. Und nur weil ich noch nicht über hundert bin, heißt das ja nicht, dass ich nichts kann. Mir fehlt nur praktische Erfahrung. Also sammelte ich meine Magie, um einen Feuerball auf meiner Hand tanzen zu lassen. Doch ich war nervös und das machte meine Magie instabil und statt eines kleinen Feuerballs, kam es … naja … zu einer Explosion. Ich bekam Panik und rannte fort. Als die Stadtwache mich schließlich gefangen nahm, warf man mir dann auch noch vor, ich hätte versucht zu fliehen.” Nervös trat Fynnick von einem Bein aufs andere. Warum hatte er ihr das alles nur erzählt? Warum nahm er nicht die Beine in die Hand und sah zu, dass er Land gewann? Vielleicht hatten sie bereits die Wache informiert, und versuchten ihn jetzt hinzuhalten, bis sie eintraf um ihn wieder festzunehmen. Doch irgendetwas an dieser winzigen, zierlichen Gestalt ließ ihn wie angewurzelt stehen bleiben. Er rechnete mit einer ganzen Reihe von Erwiderungen auf sein Geständnis, doch bestimmt nicht mit dieser.

      “Welches Jahr haben wir?”, fragte ihn die Feenkönigin.

      Fynnick fand die Frage reichlich merkwürdig. “Jahr 3446 des Zeitalters der Neun.”

      Das schien sie zu bestürzen. “Fast 450 Jahre. So viel Zeit. Sag, ist Lord Marfan noch im Portal gefangen?”

      Fynnick nickte. “Ja, ist er. Doch seine Anhänger werden zahlreicher. Früher oder später wird es ihnen gelingen, ihn zu befreien.” Sie schien verwirrt zu sein, vielleicht war sie krank.

      “Nein, nein, das werden die Erzmagier nicht zulassen. Sie werden dafür sorgen, dass die Portale geschlossen bleiben.” Die Feenkönigin blickte ihn nachdenklich an. “Hast du Familie, die auf dich wartet?”

      Was ging sie das an? Wozu wollte sie das wissen? Um sicher zu gehen, dass niemand nach ihm suchen würde, wenn sie ihn umbrachte und hier im Wald verscharrte? “Ja, hab ich, und sie ist bestimmt schon ganz krank vor Sorge. Ich sollte mich auch langsam echt beeilen und mich wieder auf den Heimweg machen.”

      Sie sah ihn an, als wolle sie ihn mit ihrem Blick durchbohren. Schließlich nickte sie und sagte: „Nein, hast du nicht. Da ist niemand, der auf dich wartet. Das ist gut.”

      Sie hatte Recht. Er hatte gelogen. Doch woher wusste sie das? Aus seiner Familie lebte schon lange niemand mehr. Zumindest nicht auf dieser Seite von Syleria, und an die andere Seite wollte er nicht denken. Als Kind hatte er nur seine Großmutter gehabt, die ihn aufgezogen und ihm alles über Magie gelehrt hatte. Doch sie war vor fünf Wintern im Alter von zweihundertachtzig Jahren verstorben, und alles was Fynnick von ihr geblieben war, war ihr Hut.

      Jetzt würden sie ihn bestimmt gleich abmurksen. Sie waren zwar klein, aber viele. Im Schwarm konnten sie bestimmt einiges ausrichten. Doch sie machten gar nicht den Eindruck, als wollten sie ihn angreifen. Stattdessen fragte ihn die Königin: “Und was willst du jetzt tun? Man wird überall nach dir suchen.“

      Fynnick zuckte unschlüssig mit den Schultern. „Ich werde versuchen irgendwo ein Versteck zu finden. Eine Weile untertauchen. Hoffen, dass man mich irgendwann vergisst. Ähm. Apropos. Ihr könnt mir nicht zufällig sagen, wo ich hier überhaupt bin?“

      Die Königin schmunzelte wissend. “Dies hier ist der Morig`Paratrion, der ewige Sommerwald. Er ist alles, was von meinem Reich geblieben ist.”

      Morig`Paratrion, der ewige Sommerwald, der Lichtbringer. Fynnick brauchte eine Sekunde, um zu begreifen was sie gesagt hatte. Dieser Wald war eine Legende. Etwas, das jedes Kind in Syleria kannte und nie jemand mit eigenen Augen zu Gesicht bekam. Hier wurde das Sonnenfeuer in einer geheimen Drachenschmiede geschmolzen, und dann in die Kristallburg gebracht. Dort entflammte es das ewige Sonnenfeuer, wurde durch den Prismenkristall zu Sonnenstrahlen gebündelt, und über das Land geschickt. Sein Gegenstück war der Morig`Randor, der ewige Winterwald. Dort wurden die Monde in riesigen Steinbrüchen von den Eisriesen abgebaut, um auch sie in die Kristallburg zu schaffen. Die Mondkanone schoss sie dann von dort aus an den Himmel. Gemeinsam kontrollierten sie den Zyklus der Zeit. Sie waren Alpha und Omega, der Anfang und das Ende. Ein Rad, dass sich schon seit ewigen Zeiten drehte.

      Als Fynnick noch klein war, hatte ihm seine Großmutter oft Geschichten über diese beiden Wälder erzählt. Es waren Orte, die zwischen den Welten existierten, zu einem Mythos geworden, seit hunderten von Jahren verschollen. Schon viele hatten sich auf die Suche nach ihnen gemacht, doch es gab nur noch wenige, die das Geheimnis kannten, wie man sie finden konnte. Früher einmal, in besseren Zeiten, waren sie ein Teil von Syleria, und ein jeder hatte sie betreten können. In ihnen befanden sich die Portale, Tore, die in Syleria hinein und wieder hinaus führten und einst hatten auch viele Wesen aus anderen Welten Syleria besucht. Doch seit dem Tag der großen Dunkelheit, dem Tag als der dunkle Lord Marfan, der große Schatten, zum ersten Mal sein wahres Gesicht zeigte, waren sie unerreichbar für jeden, der die geheimen Pfade nicht kannte. Nachdem man es geschafft hatte, Lord Marfan in dem Portal in Morig`Randor, dem Minas Dor, zu bannen, hatte der Elementarzirkel, die mächtigsten Magier Sylerias, den Wald ein Stück aus der Raumphase gerückt, damit der dunkle Lord niemals befreit werden, und nach Syleria zurückkehren konnte. Die beiden Wälder waren untrennbar miteinander verbunden, wodurch auch der Morig`Paratrion aus der Zeitlinie herausfiel. Zu der Zeit verschwand auch die hochschwangere Großkönigin Eleriseja, die Vorsitzende des Großen Rats der Neun. Man nahm an, dass Marfan etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hatte. Sein Hass auf die Großkönigin und ihre politischen Ansichten war allgemein bekannt. Er hatte ihr nie verziehen, dass sie seine Mutter ins Exil geschickt hatte. Ohne Führung zerfiel der Große Rat und Syleria versank in ein Chaos, das nun schon seit hunderten von Jahren währte. Die verschiedenen Völker mieden sich gegenseitig und misstrauten sich. Gemeinsame Entscheidungen für das Wohl aller in Syleria wurden schon lange nicht mehr getroffen. Immer häufiger kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen.

      Die Sylerianer spalteten sich in zwei Lager. Die Elerisejer, die das Andenken der Großkönigin hochhielten, und den Großen Rat wieder einsetzen wollten, und die Marfaner, die einen einzigen starken Führer an ihrer Spitze sehen wollten, Lord Marfan, der, von der Zeit unberührt, im Portal gefangen war, und auf seine Befreiung wartete. Der dunkle Lord hatte viele Anhänger unter den Dunkelwesen Sylerias, die im Verborgenen für ihn arbeiteten und nach einem Weg suchten, ihren Meister zu befreien. Sie versteckten sich in den Wäldern von Randor und suchten dort nach den geheimen Pfaden, die in den Winterwald hinein führten.

      Nachdenklich sah ihn die Feenkönigin an. Sie winkte eine männliche Fee zu sich heran, dessen Kleidung darauf schließen ließ, dass er ein besonderes Amt inne hatte. Wahrscheinlich war er ihr Berater. Sie sprach kurz mit ihm in ihrer Sprache. Der Berater schaute erst erschrocken und gestikulierte dann wild in Fynnicks Richtung. Mit einer eleganten Handbewegung schnitt sie ihm das Wort ab und der Berater verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. Dann wand sie sich wieder zu Fynnick um und sagte: „Als Lichtelfe kann ich die Energie wahrnehmen, die ein Wesen umgibt. Seine Aura, wenn man so will. Und ich sehe, dass deine rein und hell ist. Da du keine Gefahr für uns bist, habe ich beschlossen, dass du hier bleiben kannst, wenn du das wünschst. Kaum einer kennt heute noch die geheimen Pfade. Daher ist es wohl einer der sichersten Orte Sylerias. Bei uns würde man dich nicht finden. Hier stündest du unter meinem Schutz. Das gilt jedoch nur für diesen Wald, denn über seine Grenzen hinaus, besitze ich keine Macht mehr.“

      Fynnick zögerte keine Sekunde. „Euer Majestät, das wäre hervorragend! Ich weiß gar nicht, wie ich euch danken soll! Danke, habt vielen Dank! Ich hoffe, ich werde euch eure Güte eines Tages zurückzahlen können.“

      „Etwas sagt mir, dass einst ein Tag kommt, an dem ich deine Hilfe brauchen werde. Dann hoffe ich, dass ich auf dich zählen kann.“

      „Ja,! Natürlich! Absolut! Ihr könnt euch