Nicole Le

Skrupellos I - Ausgeweidet


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er wieder wach wurde und sich umsah, waren in dem Zelt ungefähr noch zwanzig Menschen, darunter auch die Flugbegleiter und Kinder. Manche weinten laut, manche schluchzen, manche fragten voller Panik was mit ihnen geschehen würde, doch niemand beachtete sie. Niemand hörte ihre Klagelaute, die vom Wüstenwind davongetragen wurden und irgendwo verhallten. Sie wurden von den bewaffneten Männern der Wüste bewacht, die zwischen ihnen ständig umher gingen. Die Männer sahen griesgrämig aus, zeigten kein Mitleid. Ihre wettergegerbten Gesichter ließen keinerlei Gefühlsregung erkennen.

      Einer nach dem Anderen wurde herausgetragen, schreiend und voller Panik.

      Die Schreie der Herausgetragenen wurden danach unerträglich. Schrill, entsetzlich und durchdringend bis ins Mark. Das Schlimmste war, dass er ihnen nicht entfliehen konnte. Der Körper war gelähmt, er wollte sich die Ohren zuhalten, doch er konnte seine Arme nicht bewegen.

      Er urinierte unkontrolliert in seine Hose und hinterließ einen nassen Fleck auf dem Wüstenboden, als man auch ihn holte.

      Nun sah und begriff er das Grauen in seinem ganzen Ausmaß.

      Ärzte mit blutbefleckten Kitteln und Gummihandschuhen warteten schon auf ihn, während zwei andere Männer den notdürftig wieder zugenähten Leib seines Vorgängers hinaustrugen.

      Sie sprühten etwas auf seinen Bauch und setzten das Skalpell an. Er spürte keinen Schmerz, aber die Panik, dass man ihm bei vollem Bewusstsein den Bauch aufschnitt ließ auch ihn fürchterlich schreien. Es war ein animalischer, tiefer Schrei, der aus dem tiefsten Innern kam. Die Chirurgen stutzen einen Moment und setzten dann erneut zum Schnitt an.

      Das Blut quoll heraus und er wurde ohnmächtig.

      Kapitel 2

      John und sein Co-Pilot Karl Keepingdamm, von allen Keeper genannt, überprüften das Cockpit auf seine Funktionen, bevor sie sich zu einem Rundflug über die Wüste aufmachten. Heute wollten sie die Hügelkette im Norden der Sinai Wüste überfliegen. Sie hatten Informationen erhalten, dass sich ein Wüsten-Konvoi dahin aufgemacht haben sollte. Die Informationsquellen waren nie zuverlässig. Sie waren hunderte Male losgeflogen um Menschenhändler und ihre Routen aufzudecken. Mehrmals wurde auf sie geschossen. Es war kein ungefährlicher Job! Und sollten sie einmal notlanden müssen, konnten sie sich darauf gefasst machen, dass die Beduinen, die das gesamte Gebiet kontrollierten, sie kalt machen würden. Menschenhandel war eine gute Einnahmequelle und die Beduinen hatten nichts zu verschenken.

      John war früher Buschpilot in Australien. Als der Krieg in Afghanistan losging hatte man ihn rekrutiert, um die Entwicklungshelfer aus der Luft mit Nahrung, Medikamenten und sonstigen Gütern zu versorgen. Damals hatte er auch Keeper kennengelernt. Sie flogen zusammen die Einsätze und verbrachten auch sonst immer mehr Zeit außerhalb der Arbeit miteinander. John war Single, sein Leben taugte nicht zu einer Familie. Keeper hatte seine Frau durch Krebs verloren. Danach fing er an zu trinken und man wollte ihm die Fluglizenz entziehen. Genau zu dem Zeitpunkt teilte man ihn als Co-Piloten bei John ein.

      Keeper war ein liebenswürdiger Chaot. John mochte ihn und deshalb verbrachte er auch seine Freizeit mit ihm. Sie gingen oft gemeinsam einen trinken. Keeper erzählte ihm von seiner Frau, ihrem Kampf gegen den Krebs und seiner eigenen Hilflosigkeit! Danach hörte er auf zu trinken, behielt aber seine chaotische Art und brachte John immer wieder zum Lachen und manchmal auch auf die Palme. Sie waren ein gutes Team und hatten ihren Spaß bei der Arbeit, auch wenn es brenzlig wurde. Keeper hatte eine militärische Ausbildung. Er konnte schießen und hatte Erfahrung im Nahkampf. In Afghanistan war er einmal in Kriegsgefangenschaft geraten. Er wurde angeblich gefoltert bevor ihn seine Kameraden befreien konnten. Doch darüber sprach er nie. John ließ ihn damit in Ruhe. Er war zufrieden damit, dass Keeper aufgehört hatte zu trinken und ihm als Co-Pilot erhalten blieb.

      Der Funkturm gab grünes Licht und sie hoben ab mit ihrer Fokker 50 Turboprop. Die Maschine hat eine Kapazität von bis zu fünfzig Passagieren, doch ihre war als Frachtmaschine umgebaut und hatte statt der Sitze nur Haltegurte an den Seiten, um schwere Ladung zu befestigen.

      Hinter den Piloten war eine weitere Sitzreihe untergebracht, die Journalisten dazu diente, ihre Flüge von Zeit zu Zeit zu begleiten und zu filmen.

      Doch heute waren sie allein unterwegs und sie genossen die Ruhe, keine nervigen Fragen, keine Kamera, die sie bei jedem Handgriff begleitete.

      Der Himmel war klar. Und sie flogen vom Militärflughafen in Kairo Richtung Osten.

      2005 hatte es einen Anschlag auf den Flughafen gegeben. Der Sprengsatz war in einem Gaskanister versteckt und an der Straße abgelegt worden. Ein zweiter Sprengsatz detonierte nicht, dennoch war die Explosion bis in den Gazastreifen zu hören. Damals starben drei Israelis und zwei Kanadier, Mitglieder der Internationalen Schutztruppe. John machte sich keine Illusionen. Die Sinai Halbinsel war ein scharf umkämpfter Dreh- und Angelpunkt für alle möglichen Aktivitäten der unterschiedlichsten Vereinigungen und Organisationen.

      Nach rund dreißig Minuten Flugzeit sahen sie am Horizont die Hügelkette. Als sie näherkamen, sahen sie etwas im Wind flattern. Sie flogen einen Bogen und sanken noch tiefer, um nachzusehen, was es sei.

      Es waren Zeltplanen die sich im Wind bewegten. Doch erstaunlicherweise waren es keine Beduinen Zelte, wie sie erwartet hätten. Es waren Zelte wie man sie aus Flüchtlingsunterkünften kannte. Notunterkünfte, medizinische mobile Lazarette oder dergleichen.

      Sie sahen Erhebungen, die wie Gräber aussahen. Ihnen stockte der Atem. Sie gaben ihre Entdeckung über Funk durch und kreisten weiterhin über dem Gebiet, achtsam, ob sie eine Bewegung am Boden entdeckten. Sie mussten vorsichtig sein, die Beduinen hätten sie jederzeit aus dem Schutz der Hügel beschießen können. Doch dort unten rührte sich nichts, nur der Wind wirbelte weiterhin Sand durch die Luft und deckte die Erhebungen weiter zu. Die Wüste schluckte alles. Plante man jemanden umzubringen, dann war dies der perfekte Ort. Nach kurzer Zeit hatten Hitze, Tiere und der Sand dazu beigetragen, dass das Geschehen unsichtbar wurde.

      Keeper wollte runter gehen und nachsehen, was es damit auf sich hatte. Doch John und der diensthabende Offizier im Funkturm waren dagegen, es sei zu gefährlich. Also drehten sie ab und flogen zurück um Spezialeinsatzkräfte zu holen, die nachsehen würden. Bevor die Wüste auch diese Geschichte für immer verheimlichen würde.

      Kapitel 3

      Josie hatte gerade die Kinder zur Schule gefahren und freute sich darauf es sich mit der Tageszeitung und einem Kaffee gemütlich zu machen. Doch bevor sie sich wieder an den Computer setzen konnte, um den Artikel über die Flüchtlinge aus Eritrea und dem Sudan zu Ende zu schreiben, klingelte das Handy.

      Die Internationale Menschenrechtsorganisation forderte ihre sofortige Anwesenheit bei einem Aufklärungsflug in den Sinai Wüste.

      Sie solle sich am Militärflughafen bei einem Mann namens Gordon Freeman melden, der die Einsatzplanung übernommen hatte. Er würde ihr einen Piloten nennen, der sie in das Gebiet fliegen würde. Einen Kameramann konnten sie in der kurzen Zeit nicht auftreiben, deshalb solle sie ihre Kamera mitbringen. Und ihre schusssichere Weste. Nur als reine Sicherheitsmaßnahme versicherte man ihr.

      Sie rief Lucy an, ihr 25-jähriges Kindermädchen aus Mexiko. Sie musste die Kinder heute von der Schule abholen. Josie wusste nicht wie lange es dauern würde.

      Dann war sie auch schon auf dem Weg. Sie rief ihren Mann James über die Freisprechanlage ihres Ford Compass an, einem Jeep, der durch den Allradantrieb in dieser Gegend bestens geeignet war und dennoch nichts an Komfort zu wünschen übrigließ.

      James fragte sie, ob er sich Sorgen um sie machen müsste, doch sie lachte nur und sagte sie würde ja nicht in den Krieg ziehen und sei zum Abendessen wieder da.

      Am Militärflughafen musste sie sich ausweisen, dann öffnete der diensthabende Beamte das Tor. Sie parkte gleich neben der Flughalle, in welcher eine Fokker stand und gerade gewartet wurde.

      Sie lief die Treppe zur Flugsicherung hinauf und machte sich auf die Suche