Bettina Reiter

Sieben Tage bis zur Hochzeit


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aus und tat so, als ob er ihr einen Tritt verpassen wollte. Erneut brandete Gelächter auf. Was nun? Elisha liebte Freddy, wie sie nie wieder einen Jungen lieben würde können. Sollte sie das aufgeben, nur um ihrer Todfeindin zu helfen? Wer würde an ihrer Seite sein, wenn sie anschließend an Liebeskummer starb? Dahinvegetierte? Dem Leben Adieu sagen musste?

      „Wie bist du eigentlich über das Meer gekommen? Als Qualle? Siehst aus, als hättest du den Pazifik leergesoffen.“ Freddy klopfte sich selbst auf die Schulter. „Die bauen sicher gerade eine Eisenbahn nach Europa. Entlang der Schneise, die du hinterlassen hast.“

      Die Schulbücher krachten auf den Boden. Im selben Moment wirbelte Heidi mit Tränen in den Augen herum, packte Freddy am Kragen und drängte ihn gegen die Tafel.

      „Halt sofort dein Maul, du Arsch!“, tobte sie mit deutschem Akzent. „Oder ich prügle dich windelweich.“

      „Und wenn schon. Sogar mit eingeschlagenem Schädel wäre ich eine Augenweide, im Gegensatz zu dir.“

      Wie ein Bulldozer rammte sich Heidis Knie in Freddys Genitalien. Es war zu befürchten, dass sie auf ein Mindestmaß zusammengeschoben oder zerquetscht wurden. Jedenfalls seinem Schrei nach zu urteilen. Im selben Augenblick begrub Elisha ihren Traum, von Freddy entjungfert zu werden. Das würde er in den nächsten Jahren nicht mehr schaffen, so lange konnte und wollte sie nicht warten. Deswegen endete Tag sechs damit, dass sie Heidi beim Rektor zur Seite stand, der Freddy anschließend verwarnte.

      Am siebten Tag trafen Heidi und sie um Punkt sieben Uhr morgens im Flur aufeinander. Wie üblich hatten sie ihr Frühstück noch im Mund: Einen Kaugummi. Zaghaft lächelten sie sich an. Irgendwie seltsam. Eigentlich hätte Elisha stinksauer sein müssen. Immerhin hatte Heidi sie um ihr Lebensglück gebracht. Trotzdem, mit Freddy Schluss gemacht zu haben, fühlte sich nicht so schlimm an wie anfangs gedacht. Auch wenn er angeblich keine Ahnung gehabt hatte, dass sie zusammen gewesen waren. Verleugnung war wohl seine Art, mit der Trennung fertig zu werden.

      „Weißt du, was ich gerade denke?“, fragte Heidi.

      Elisha zuckte mit den Achseln. „Woher sollte ich?“

      „Na ja, als mich Mrs. Carter vorstellte, haben wir uns gedanklich unterhalten. So etwas nennt man Telepathie. Wir zwei scheinen irgendeine kosmische Verbindung zu haben.“ Heidi hüstelte. „War übrigens nicht gerade freundlich, was du von mir gedacht hast. Von wegen fett und so …“

      „Nett meinte ich.“ Elisha lachte gekünstelt. „Gedankenübertragung ist wie stille Post. Kam wohl falsch bei dir an. Ich habe dich nämlich von Anfang an gemocht.“

      „Hab dich auch auf Anhieb klasse gefunden.“ Heidi streckte ihr die Hand entgegen. „Freundinnen?“

      „Meinetwegen.“ Elisha ergriff die verschwitzten Finger und kaute an ihrem Wrigley, dass die Kiefer schmerzten. Dann machte sie eine Blase.

      „Bis wir alt sind?“, hakte Heidi nach.

      Die Blase platzte. Elisha überlegte. „So in zehn Jahren?“

      „Wie wäre es mit sieben?“

      „Sieben Jahre sind eine verdammt lange Zeit.“

      „Deswegen frage ich ja.“ Ihre Hände lösten sich voneinander.

      „Wir können es probieren.“

      Heidi lächelte. „Tauschen wir den Kaugummi?“

      „Ich wäre eher für Blutsbrüderschaft. Schneiden wir uns die Pulsadern auf?“

      „Lieber Kaugummi.“

      „Meinetwegen.“ Wie cool und lässig musste sie auf Heidi wirken. „Lass uns tauschen.“

      Gesagt, getan. Am siebten Tag hatten sie ihre Freundschaft mit einem Kaugummi besiegelt, zumindest für die nächsten sieben Jahre …

      1. Kapitel

       30. Juni 2015 - 17 Jahre später

       Drogheda, County Louth, Irland - 53° 42′ 50″ N, 6° 21′ 1″ W

      Schrilles Geschrei hallte durch die Mauern. Kleine Satansbraten - auch Nichten und Neffen genannt - liefen durch das ganze Haus. Seit Stunden! Genauso lange sehnte sich Ray nach der Ruhe in seinem Loft in Dublin. Er hasste Familientreffen. Doch einmal im Jahr verdammte sein Vater Steve die gesamte Familie dazu, sich auf dem Landsitz einzufinden. Ihm zur Seite stand Rays Onkel Grant, mit dem sein Dad zu gleichen Teilen einige Stahlfirmen führte.

      „Ich würde mich jetzt gerne in einem Pub vollschütten“, flüsterte Rays korpulenter Cousin Tommy, der mit ihm vor den hohen Verandafenstern stand. Gelbe Vorhänge waren in Wellen darüber drapiert, schwere Perserteppiche auf dem Steinboden schluckten jeden Schritt. Überall standen Kostbarkeiten. Rays Dad und Grant waren leidenschaftliche Kunstsammler. An der Wand drängten sich Werke namhafter Künstler, moderne und antike Möbel verliehen dem Wohnraum etwas Besonderes. „Waren die Stimmen deiner Schwestern schon immer so schrill? Ich fühle mich, als würde man mich laufend durch den Fleischwolf drehen.“

      „Wem sagst du das.“ Ray trank einen Schluck Guinness. „Ich beneide dich, dass du als Einzelkind aufwachsen konntest. Mit sieben Schwestern hat man es nicht einfach.“

      „Zumal sieben Schwager hinzukommen und einundzwanzig Neffen und Nichten“, pflichtete ihm Tommy bei. „Ihr könntet eigentlich eine Kommune gründen.“

      „Gott bewahre, ich bin froh, wenn ich wieder meine Ruhe habe.“

      „Nun ja, deine Wohnung ist nicht weniger gut frequentiert“, säuselte Tommy mit anzüglichem Lächeln und neidischem Unterton. „Die Frauen geben sich förmlich die Klinke in die Hand. Wie machst du das nur?“

      „Ich kann nichts dafür, dass sie mir in Scharen hinterherlaufen und mich manchmal mit irgendeinem Hollywoodstar verwechseln.“ Ray lehnte sich mit der Schulter an die Wand und schaute aus dem Fenster. Die nähere Umgebung Droghedas war zwar ein schöner Flecken Erde, doch für seine Begriffe viel zu einsam. Die Stadt selbst lag an der Mündung des Flusses Boyne. Als er noch klein gewesen war, hatten sie öfter Ausflüge zu einigen Bodendenkmälern wie den ´Hill of Taraˋ oder ´Newgrangeˋ gemacht, das besonders zur Wintersonnenwende gerne aufgesucht wurde. Auch Forscher verirrten sich oft zum Hügelgrab.

      Das Schloss, das seit Urgedenken in Familienbesitz war, lag etwas außerhalb der Stadt. Es war von Weideland und einem dichten Nadelholzwald umgeben. Schafe grasten oder lagen träge auf der Erde, bewacht vom alten Lester. Ein Jugendfreund des Vaters, der auf die schiefe Bahn geraten und beinahe an einer Überdosis Heroin gestorben wäre. Eines Tages hatte er vor der Tür gestanden und den Vater um Arbeit gebeten. Seitdem kümmerte er sich das ganze Jahr über um das Anwesen. Ein verlässlicher Mann mit Dreadlocks, ruhig und bescheiden, der mit seinem alten Leben abgeschlossen hatte.

      „Ich werde das Gefühl nicht los, dass unsere Väter etwas aushecken.“ Tommy stellte das leere Glas auf den Biedermeiertisch neben sich, auf dem viele Familienportraits standen. Darunter gab es auch einige Bilder ihrer Mütter. Tommys Mom lebte für die Bühne und tingelte derzeit mit einem Laientheater durch die Lande, schwor auf Vegan und liebte Grant, trotzdem waren sie die meiste Zeit getrennt. Aber wenn sie ihn für einige Tage aufsuchte, kamen sie tagelang nicht aus dem Schlafzimmer. Das hatte zumindest Tommy erzählt.

      Rays Mutter war vor vier Jahren mit ihrem Wagen tödlich verunglückt. An einem regnerischen Tag stürzte sie in Termonfeckin über die Klippen. Sie wollte zum Cottage - das ebenso zum Familienbesitz gehörte - und das auf einem Hochplateau lag. Früher war Ray ständig dort gewesen, aber seit ihrem Tod hatte er die Hütte gemieden, im Gegensatz zum Rest der Familie.

      Der Kloß im Hals erschwerte Ray das Atmen, weil er auch unweigerlich an Miranda denken musste. Zügig leerte er sein Glas, verdrängte die Gedanken und versuchte sich die letzte Nacht vorzustellen. Gwen, Candy, wie hieß sie doch gleich? Er hatte keine Ahnung. Aber sie war nicht schlecht gewesen und wie üblich hatte er heute Morgen versprochen,