Marlin Schenk

Die Straße der Ritter


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John Duncans Schmiede

      Im Frühjahr des Jahres 1478 nieselte es wochenlang aus grauen Wolken, die wie ein triefender Schwamm über England hingen. Die feinen Regentröpfchen senkten sich wie satter Nebel herab, hüllten alles in kalten Dampf und graue Trostlosigkeit und verwandelten das ganze Land in eine Schlammwüste. Hin und wieder erbrachen die Wolken ergiebige Wassermengen und überspülten Wiesen und Äcker, denn der gesättigte Boden konnte die Fluten nicht mehr aufnehmen. Das Korn begann zu faulen, die Flüsse traten über die Ufer, und die Weiden konnten nicht mehr genutzt werden, denn das Vieh wäre darin versunken. Die Straßen im Königreich waren seit Herbst nur noch schmierige, braune Bänder, die die eingenässte Landschaft durchzogen und dem Reisenden das Leben schwer machten, denn oft genug blieb eine Kutsche im Morast stecken oder rutschte von der Straße, wodurch sie eine leichte Beute für Wegelagerer und Räuber wurde.

      War das Leben in der Stadt schon eine Last, seit der Satan das Land in seinen feuchten Klauen hielt, so war es in einem Dorf wie Seven Oaks ein Fluch. Nur die Hauptstraßen waren mit grob gehauenen Steinen befestigt und passierbar. Wer aber in einer Seitenstraße wohnte und das Haus verließ, um Fleisch oder Gemüse einzukaufen, konnte damit rechnen, beschmiert und nass bis unter die Achseln wieder zurückzukommen. Die Kirchgänger waren nicht besser dran. Der Geistliche von Seven Oaks hatte bereits befohlen, dass das Haus Gottes nur noch ohne Schuhwerk betreten werden durfte, weil die ständige Verschmutzung der heiligen Stätte mit Matsch eine Herausforderung des Herrn darstelle. So ließen die gehorsamen Gläubigen ihre Schuhe und Stiefel im Glockenturm zurück und gingen barfuß über kalten Stein zu ihrer Bank, wodurch viele sich erkälteten und drei Erkrankungen mit der tödlichen heißen Lunge endeten.

      Einer, dem das schlechte Wetter nicht die Ernte verhagelte, war John Duncan. An der Hauptstraße hatte er eine Schmiede und Wagnerei, in der es warm war, und als ob der Teufel sein Verbündeter wäre, brachte der Regen ihm viele Kunden mit gebrochenen Wagenrädern oder gelockerten Hufeisen, so dass sein Beutel sich langsam aber stetig straffte. Von morgens bis abends war er damit beschäftigt, Hufeisen zu formen, Pferde zu beschlagen und Wagenräder zu flicken. Unermüdlich bediente er den großen Blasebalg, der das Feuer knisternd auffauchen ließ.

      Als John sich wieder einmal dem Amboss zuwandte, um mit dem Hammer ein Eisen zu formen, hörte er Pferdehufe auf dem groben Pflaster der Straße. Sein geschultes Ohr sagte ihm, dass dieses Pferd auf dem Weg zu seiner Schmiede war, denn auf drei harte Schritte folgte ein gedämpfter, was bedeutete, dass dem Tier ein Hufeisen fehlte. Die Schritte kamen näher und erstarben schließlich vor dem massiven Bruchsteinhaus. Einen Augenblick später pochte es an der schweren, mit Eisen beschlagenen Eichentür.

      „Tretet ein“, rief John Duncan, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.

      Die Tür öffnete sich knarrend. Herein trat ein durchnässter Mann mit breitem Lederhut und ledernem Umhang, der wegen der Nässe, die er während einer langen Reise aufgesaugt hatte, fast schwarz und ein wenig glänzend erschien.

      John drosch weiter auf das Eisen ein. „Euer Pferd braucht neue Schuhe“, sagte er grußlos, ohne sich umzuschauen.

      Der Fremde nahm den triefenden Hut ab und klopfte ihn ein paar Mal gegen die Wand. „Hört man das so deutlich?“ fragte er.

      „Ja.“ Nun drehte John sich nach dem Besucher um und deutete auf einen grob gezimmerten Schemel. „Nehmt Platz.“

      Der Fremde nahm den nassen Umhang ab und setzte sich. „Gemütlich habt Ihr's hier, Schmied.“

      John zuckte mit den Schultern. „Es lässt sich aushalten“, sagte er knapp. Dann nahm der Hammer seine Arbeit wieder auf.

      „Seid nicht so bescheiden. Das habt Ihr gewiss nicht nötig. Wer ein massives Haus besitzt wie dieses hier, der braucht sich um sein Alter keine Sorgen zu machen.“

      John fasste den Hammer fester, um den Fremden notfalls damit außer Gefecht zu setzen. „Wollt Ihr mich aushorchen, ob es was zu holen gibt?“ fragte er mit kerkerfinstrem Blick.

      „Wo denkt Ihr hin?“ Die Kraft eines Ochsen, die sich unter der Haut der nackten Arme widerspiegelte, mahnte den Fremden zur Vorsicht. Er erkannte, dass er durch seine Neugierde Gefahr herauf beschwor. „Entschuldigt meine Frage“, sagte er in freundlichem Ton. „Es ist vielmehr, dass Gebäude im Dorf gewöhnlich aus Flechtwerk und Lehm gebaut sind. Ein solch massives Haus wie dieses habe ich noch nie gesehen.“

      John hob das glühende Hufeisen in die Luft und betrachtete es, indem er es nach allen Seiten drehte. „Dies ist eine Schmiede“, sagte er, „und in einer Schmiede arbeitet man mit Feuer. Bei Lehmhütten würde schnell der rote Hahn auf dem Dach krähen.“

      „Ich komme aus dem Süden“, erklärte der Fremde, „und da sind die Schmieden im Freien, nur mit Schiefer überdacht. Und die Häuser sind aus Flechtwerk und Lehm.“

      John drehte sich erneut dem Fremden zu. „Ihr habt noch nie eine Schmiede im Haus gesehen?“ fragte er zweifelnd.

      „Nein.“

      John hob die Schultern und widmete seine Aufmerksamkeit dem Blasebalg, um das Eisen wieder zum Glühen zu bringen. In das Fauchen und Knacken des Feuers hinein hörte er den Fremden fragen: „Habt Ihr Ale im Ausschank?“

      John Duncan nickte, formte das Eisen mit ein paar weiteren Schlägen und tauchte es in kaltes Wasser. Dann legte er den Hammer ab und ging zur Tür. „Mary, bring Ale“, rief er und ging wieder an den Amboss zurück.

      „Wann könnt Ihr mein Pferd beschlagen?“ fragte der Fremde.

      „In einer Stunde ist es fertig.“

      „Und was kostet es?“

      John nahm das Hufeisen erneut auf. Zufrieden schob er die Unterlippe vor und nickte. Er legte es zu einem Stapel vorgefertigter Stücke und schaute den Besucher an. „Das kann ich nicht sagen. Der Preis richtet sich in erster Linie nach den Neuigkeiten, die Ihr mitbringt. Habt Ihr etwas zu vermelden?“

      „Oh ja.“

      Mary Duncan trat wortlos mit einem großen Krug in der Hand ein und füllte einen hölzernen Becher, den sie dem Fremden reichte. Dieser rieb sich die Hände und nahm den Becher, um ihn in einem Zug zu leeren. Er wischte sich das Bier aus dem Bart, stieß kräftig auf und reichte ihn der Frau, die ihn erneut füllte. Der Fremde nahm noch einen Zug, dann begann er zu berichten.

      „Das wohl scheußlichste Verbrechen, von dem ich jemals gehört habe, ist mir in Royal Tunbridge Wells zu Ohren gekommen. Es hat sich über Jahre hinweg im Rose Inn zugetragen. Die Herberge gehörte Landlord Richard Greendale und seiner Lady Elizabeth. Dieses geldgierige Ehepaar hatte im ersten Stock ein Bett zu einer perfekten Falle umgebaut. Das Nachtlager war auf einer Falltür befestigt. Kam ein betuchter Gast, dann wurde ihm dieses Zimmer vermietet, und wenn der Arme in der Nacht fest schlief, ließ man die Tür herunter. Der Schlafende fiel in die Küche unter dem Zimmer und fand sich unversehens in einem Bottich kochenden Wassers wieder, den die beiden mit einem schweren Deckel verschlossen und sich drauf setzten, bis das Opfer in dem heißen Wasser zu Tode gekommen war. Ob die Bemitleidenswerten durch Verbrühungen starben, oder ob sie qualvoll ertranken, weiß man nicht. Wie dem auch sei: Die Leichen wurden zerstückelt und in der Nacht in einer Grube hinter dem Haus verscharrt. Lord und Lady Greendale brachten Hab und Gut der Ermordeten an sich und behaupteten, dass sie einem Zechpreller aufgesessen seien. Niemand schöpfte Verdacht, bis die Greendales an den Falschen gerieten. Ein kräftiger Mann mit Kleidern aus feinsten Stoffen stieg im Rose Inn ab. Wie es hieß, war er auf dem Weg zu seiner Geliebten in London, um sie zu ehelichen. Es ist wohl der Vorfreude zuzuschreiben, dass der Mann in jener Nacht nicht schlafen konnte, und als sein Bett kippte, krallte er sich geistesgegenwärtig am Rahmen fest, so dass er nicht in das Wasser fiel. Vielmehr konnte er dem Landlord einen gezielten Tritt verpassen, als dieser den Gast an den Beinen packen wollte, um ihn in den Bottich zu ziehen. Greendale wurde so gut getroffen, dass er das Bewusstsein verlor. So konnte der Mann in die Küche springen und das mörderische Ehepaar fesseln. Darauf verständigte er den Sheriff. Das Ehepaar wurde einem peinlichen Verhör unterzogen und gestand unter Schmerzen über sechzig Morde an Reisenden. Vor