Marlin Schenk

Die Straße der Ritter


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Land er angeschwemmt wurde.“

      „Und wo hält er sich auf?“

      „Zuletzt ward er irgendwo in Sussex gesehen. Ich vermute, dass er auf dem Weg nach London ist. Vielleicht sucht er Arbeit als Söldner im Lande. Aber woher kommt Euer Interesse an dieser Ausgeburt der Hölle?“

      John winkte ab. „Es ist nichts, Fremder. Wollt Ihr jetzt Euer Pferd hereinführen, damit ich es beschlagen kann?“

      Der Mann erhob sich und stellte fest, dass er sich abstützen musste. Sieben Pints warmen Ales hatten seinen Kopf in ein Bienennest verwandelt. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen und schwankte nach draußen, um sein Pferd zu holen. Sicher führte er es in die Schmiede, wo John ein vorgefertigtes Hufeisen von der Wand nahm und dem Pferd anpasste.

      Das Tier ließ den Schmied geduldig walten. Es hatte schlanke Fesseln und kleine Hufe, so dass das Eisen noch nachgearbeitet werden musste. John brachte es zum Glühen und formte es mit dem Hammer, schreckte ab, passte erneut an, brachte es noch einmal zum Glühen und drückte es dem Pferd auf den Huf. Zischend fraß sich das heiße Metall in den Horn. Es qualmte und verbreitete den Geruch verbrannter Haare.

      Der Fremde schaute John Duncan zufrieden an. „Danke, das war Maßarbeit.“

      John nickte stumm. Er war daran gewöhnt, dass ihn seine Kunden für sein Handwerk lobten. Er wandte sich an Mary. „Ruf die Kinder, Frau. Sie sollen sich um das Pferd kümmern.“

      Mary verschwand.

      John ergriff den großen Krug mit Ale. Er hielt ihn hoch und zeigte ihn dem Fremden. „Wollt Ihr noch einen Becher voll? Es geht auf meine Rechnung.“

      Der Gast setzte sich schwerfällig. „Gerne.“

      John füllte zwei Becher. Seine Söhne, zwei hochgewachsene, schlanke Burschen von etwa zwölf und dreizehn Jahren, traten ein. Sie verbeugten sich und führten dann das Pferd hinaus, um es zu striegeln und mit Heu und Rüben zu füttern.

      Der Durst des Fremden war inzwischen weitestgehend gelöscht, so dass er nur noch an dem Becher nippte. „Woher bezieht Ihr dieses Ale?“

      John schaute sich den Becher an, als ob die Antwort darauf zu lesen sei. „Wir haben einen Brauer hier in Seven Oaks“, sagte er.

      Der Fremde nahm einen weiteren Schluck und kaute darauf herum. „Das Bier ist nicht gehopft. So mag ich es. Wer sein Bier hopft, der will nur vertuschen, dass er mit Gerste knausert. So einer gehört auf den Tauchstuhl.“

      „Ich mag das bittere gehopfte Bier“, sagte John. „Aber man bekommt es ja hier nicht. Dazu muss man schon nach London reisen. Es ist eben so wie Ihr sagt: Die Leute glauben, dass es dem gehopften Bier an Gerste fehlt. Blanker Unsinn. Wozu gibt es denn Ale-Conner? Sie sorgen schon dafür, dass das Bier Qualität hat.“

      „Mit recht zweifelhaften Methoden“, antwortete der Fremde. „Ich war unten in Eastbourne mit dabei, als die Gerichtstage für Brot und Ale stattfanden. Neue geeichte Tankards wurden vorgestellt, und ein Ale-Conner überprüfte den Ausschank eines Alehouses. Der Mann hatte lederne Hosen angehabt. Damit setzte er sich in eine Bierpfütze auf einer Holzbank. Als er nach einer Weile wieder aufstehen wollte, klebte er auf der Bank fest, und der Ale-Conner befand, dass das Bier gut war. Was haltet Ihr davon, Schmied? Würde ein solcher Test die Qualität des Bieres beweisen?“

      John Duncan lachte.

      „Ich sage Euch, Euer Ale ist gut. Es ist offenbar mit Honig im Geschmack verfeinert. Andere nehmen Salbei, wieder andere kochen Brennnesseln mit. Das alles lasse ich mir noch angehen. Aber manch zweifelhafter Brauer setzt dem Sud Ruß bei, damit das Ale eine dunkle Farbe bekommt. Andere zerreiben getrocknete Schnecken oder Eierschalen, weil sie glauben, dass Kalk das Ale bekömmlicher macht. Aber wenn sie auf den Tauchstuhl müssen, dann ist das Wehgeschrei groß. Immerhin ist in Canterbury ein Brauer dabei ertrunken. Er hatte ein wenig Pech gehabt.“

      „Wessen hatte man ihn beschuldigt?“

      „Er hatte dem Sud Hühnerkot beigesetzt. Das sollte den Brauvorgang beschleunigen. Außerdem war der Kerl der Meinung gewesen, dass sein Ale dadurch besser schäumte.“

      John nahm einen kräftigen Schluck. „Das war Pech für ihn, in der Tat.“ Die Ausführungen des Fremden hatten seinen Appetit auf sein sauberes Ale geweckt.

      „Es kommt aber auch auf das Wasser an“, erklärte der Gast. „Ein Brauer sollte eigene saubere Wasservorräte besitzen. Nicht selten wird das Brauwasser aus dem Bach geschöpft, in den die Leute am Morgen das Nachtgeschäft hineinkippen. Und was auch schon vorgekommen ist: Man hat Wasser aus einem Brunnen verwendet, in dem ein Schaf verrottete. Würde das Bier nicht gekocht werden, es hätte schlimme Folgen haben können.“

      John betrachtete seinen Becher nachdenklich und spie aus. Plötzlich war er nicht mehr überzeugt von der Reinheit seines Ausschanks.“

      „Habt keine Sorge, Schmied“, sagte der Fremde lachend. „Ihr versteht Euer Handwerk wie kein anderer, und auch ich bin ein Meister meines Fachs. Ich bin Bierbrauer und weiß, wie Ale schmecken muss. Ich hätte weiß Gott keine sieben Pints getrunken, wenn Euer Bier irgendwie verunreinigt wäre.“

      „Ihr seid Brauer?“ fragte John verwundert.

      „Ja, Brauer auf dem Weg nach London, um neue Ideen zu sammeln. Ich habe das Bestreben, das beste Ale im Königreich zu brauen. Eine Idee habe ich bereits hier bei Euch aufgeschnappt. Der Zusatz von Honig, wenn er in Maßen geschieht, ist keine schlechte Sache. Darauf bin ich noch nicht gekommen.“

      „Dann hat sich Eure Reise schon gelohnt, nicht wahr? Möchtet Ihr noch etwas trinken?“

      Der Braumeister kehrte seinen Becher um und schüttelte den Kopf. „Man dankt.“

      „Dann entschuldigt mich. Ich habe noch zu tun.“ John erhob sich und trat wieder den Blasebalg, wobei ihn sein Gast interessiert beobachtete. Doch der Alkohol füllte seine Augen mit schweren Tränen. Er versuchte noch einmal, die bleiernen Lider hoch zu drücken, aber die Gewalt aus dem Innern siegte, und er nickte auf dem Schemel ein. Auch das Klingen des Amboss und das Fauchen des Feuers konnten ihn nicht wecken. Erst als zwei Stunden später Mary Duncan wieder in die Schmiede kam, wachte der Mann auf. „Darf ich Euch zum Essen einladen?“ fragte sie. „Es gibt Hühnchen und dazu Butter und Brot.“

      „George Smith nimmt dankend an, gnädige Frau.“

      Sie erhoben sich und gingen in eine geräumige Küche, wo über offenem Feuer drei Hühner brieten. Mary nahm sie herunter, teilte sie und legte jedem eine Hälfte auf einen blechernen Teller. Die Kinder sprachen das Dankgebet, dann aßen sie schweigsam.

      Als er gegessen hatte, lobte George Marys Kochkunst und wischte sich die fettigen Finger an seinen langen Haaren ab.

      „Kinder, nehmt Heu aus dem Stall und richtet Mr. Smith ein Nachtlager in der Schmiede“, befahl Mary.

      Die Kinder gehorchten. Als sie zurückkamen, empfahl sich George. Er hatte viel getrunken und freute sich auf ein weiches Lager.

      Mary und John lagen schweigsam auf mit Heu gefüllten Leinensäcken. Eine Kerze brannte auf einer grob gezimmerten Truhe aus Eichenholz und spendete karges Licht. Schafsfelle schützten sie gegen die kalte Feuchtigkeit im Zimmer.

      John lag auf dem Rücken und hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt. Er dachte über die seltsamen Geschichten des Brauers nach.

      „Warum bist du so schweigsam?“ fragte Mary.

      „Glaubst du an Hexen, Frau?“

      „Sicher glaube ich daran. Du etwa nicht?“

      „Nein.“

      Mary drehte sich zu John hin. „Denk doch nur einmal an Victoria Blackmore, die man letztes Jahr verbrannte“, sagte sie. „Sie war des Bundes mit dem Teufel angeklagt und hat dies auch gestanden. Sie war beschuldigt, das Vieh verhext zu haben. Die Bauern hatten schwer an der Rinderseuche zu tragen. Und nachdem man sie verbrannt hatte, war alles vorbei. Nicht ein einziges Tier erkrankte mehr.“