Marlin Schenk

Die Straße der Ritter


Скачать книгу

die Hand des Mädchens. Ein seltsames Gefühl kroch durch seine Lenden, und sein Herz begann zu flattern. Am liebsten hätte er sich die süße Erscheinung geschnappt und auf seinen Schoß gezogen, aber er musste dagegen ankämpfen. Er durfte dieser Kraft nicht nachgeben, nicht jetzt, nicht morgen, niemals. Aber er genoss die Nähe einer schönen Frau, er genoss diesen ersten und winzigen Augenblick einer ihm unbekannten Art. Allein der Anblick gab ihm in diesem Moment Befriedigung.

      „Prost“, sagte Tomas hart. Das Wort trieb sich wie ein Keil zwischen William und die Carpenter-Tochter, die sich daraufhin erschrocken zu den Fässern zurückzog.

      William nahm den Tankard an seine Lippen und trank. Mit zwei großen Zügen leerte er ihn halb, stellte ihn jedoch schnell ab, als ihm einfiel, dass er das Alehouse verlassen musste, wenn der Becher leer war. Zugleich würde sein Gefühl für dieses Mädchen seinen Körper verlassen müssen.

      Tomas trank langsam und schweigend. William merkte, dass ihm der Ort nicht behagte. Er versuchte daher, seinen Freund in ein Gespräch zu verwickeln. „Warst du schon einmal in Rhodos, Tomas?“

      Er nickte. „Ja, als Page des Großmeisters. Aber das haben wir doch alle hinter uns, nicht wahr?“

      „Das stimmt. Das einjährige Noviziat in Rhodos ist eine harte Zeit, Bruder. Hast du es auch so empfunden?“

      „Es war nichts, was der Orden uns verschwiegen hätte, als wir eintraten. Im Gelübde heißt es...“

      William hob abwehrend die Hände. „Ich weiß, was uns bei der Aufnahme gesagt wurde, Tomas. Welchem Großmeister warst du denn zu Diensten?“

      Tomas blickte tief in den Tankard und schwenkte ihn. „Es war Frater Joannes de Lastic“, antwortete er wie geistesabwesend.

      William hob die Augenbrauen. „Aber er starb bereits 1454. Wie alt bist du denn, Bruder?“

      „34.“

      „Man sieht sie dir nicht an. Ich bin erst 23 und habe dem Großmeister Frater Petrus Zacosta als Page gedient. Das war 1467. Leider starb er in diesem Jahr. Seinem Nachfolger, Frater Joannes Bapi Orsini, diente ich acht Monate. Er war ein harter Mann, der einem nichts schenkte. Er hatte Rhodos voll im Griff. Nun bin ich gespannt, wie sein Nachfolger Frater Petrus D'Aubusson sich gibt.“

      Nun blickte Tomas auf. „Wir sind nicht Johanniter geworden, damit uns etwas geschenkt wird, Bruder William, und...“

      „Mein Vater stiftet Euch Ale, Sirs.“

      William schrak förmlich zusammen. Das kurze Gespräch mit Tomas hatte seine Gedanken von der Carpenter-Tochter abgeschirmt. Und nun plumpste sie wieder in sein Bewusstsein wie ein Stein in trübes Wasser, das sich daraufhin klärte. „Er verehrt die Johanniter als die Verteidiger des Glaubens unseres Herrn Jesus Christus. Nehmt ihr seine bescheidene Gabe an?“

      „Oh ja“, antwortete William spontan.

      Tomas klatschte beide Hände auf den Tisch. „Nein!“ Seine donnernde Stimme verschrak das Mädchen.

      William begriff nicht. „Aber Tomas. Warum willst du diesen Mann verärgern. Tut er es nicht für Jesus Christus, unseren Herrn, wenn er uns freies Ale angedeihen lässt? Ein Verschmähen wäre das gleiche, als ob Jesus sein Geschenk zurückweist. Hat er nicht auch...“

      Tomas sprang auf. „Schweig. Hüte dich davor, Gott zu lästern, William. Und hüte dich davor, mich zu versuchen.“

      William hob die Schultern und fragte so sanft wie möglich: „Was ist es, das du falsch verstehst, Bruder? Ich wollte dich nicht erzürnen, noch versuchen, geschweige denn Gott lästern. Noch vor hundert Jahren hatten die Ritter unseres Ordens die Aufgabe, Almosen zu sammeln. Es war in den Statuten festgelegt. Und es war nicht immer Geld, was gespendet wurde. Wieso nimmst du an, dass ausgerechnet dieses Ale...“

      „Bitte“, sagte das Mädchen. Sie schaute Tomas kurz an, bevor ihr Blick William suchte.

      Schwerfällig sank Tomas auf die Bank zurück.

      William ergriff die Hand des Mädchens. „Wie ist dein Name?“

      „Joanna.“

      „Joanna. Sag deinem Vater, wir nehmen dankend an. Gott wird euch dafür belohnen.“ Wieder konnte er sich nicht von ihrem wärmenden Blick losreißen. Er hatte das Gefühl, sein Kettenhemd müsse glühen, und er spürte den unwiderstehlichen Drang, Joanna auf seinen Schoß zu ziehen und zu küssen. Ihr weicher, feucht glänzender Mund forderte ihn geradezu auf. Doch dann fiel ihm wieder Tomas ein, und er spürte seinen stechenden Blick, so dass er Joannas Hand losließ und sagte: „Geh.“

      Das Mädchen drehte sich um und eilte zu ihrem Vater zurück, der William wohlwollend zunickte. Dann wandte sich der junge Ritter wieder seinem Glaubensbruder zu, und er erkannte erleichtert, dass Tomas von seinen Gefühlen nichts mitbekommen hatte. Er saß da, hatte den Tankard umklammert und stierte hinein. „Ich möchte kämpfen“, sagte er leise. Er stülpte das Bier in seine Kehle, stellte den Tankard ab und verbog den Bleibecher. „Ich muss kämpfen und freue mich auf Rhodos, William, wo wir den Glauben gegen die ungläubigen Osmanen verteidigen. Ich wünsche, dass mein Schwert möglichst viele dieser Kerle spaltet.“ Dann rief er: „My Landlord, bring Ale.“

      William schaute Tomas verdutzt an, und er begann zu begreifen, dass sein Bruder ein großes Problem hatte. Auf der einen Seite war es das Gelübde, das er regelrecht verehrte, und auf der anderen Seite standen seine Triebe, die ihn forderten. Es war nicht das Ale, das er verschmähte. Es war die Nähe einer Frau, die er nicht vertragen konnte. Joanna hatte seine Kampflust angestachelt, in der er sich abreagieren konnte. Tomas war seit zwanzig Jahren beim Orden, William erst seit elf Jahren. Würde es ihm eines Tages genauso ergehen? Er nickte in sich hinein. Ja, es würde.

      Joanna brachte mehr Ale, und beide tranken es sofort aus.

      „Jetzt will ich Wein“, sagte Tomas zu William. „Landlord, was hast du für Wein im Ausschank?“

      Peter Carpenter eilte herbei, legte die Fingerspitzen gegeneinander und sagte: „Ich habe englischen Wein, gewachsen in Cornwall, Sir. Er ist süß. Ich habe ihn selbst gekeltert.“

      Tomas blickte den Mann grimmig an. „Erzähl mir nichts vom Drachen, Landlord. Englischer Wein ist nicht süß, es sei denn, du hast ihn gezuckert.“

      Der Mann faltete nun die Hände und machte eine Verbeugung. „Zyprischer Zucker, Sir. Der beste, den es gibt. Aber Ihr habt Recht. Weine aus Bordeaux sind natürlich lieblicher. Wenn Ihr diesen bevorzugt...“

      „Bring Bordeaux, Landlord.“

      Vier Schweine kamen grunzend in das Alehouse und ließen sich zwischen den Gästen nieder, ohne dass jemand daran Anstoß nahm, und Joanna brachte den Wein. Sie wollte ihn den Rittern einschenken, aber Tomas legte seine Hand über den Tankard und sagte: „Stell den Krug ab und verschwinde.“

      Das Mädchen gehorchte.

      Tomas ergriff den Krug und schenkte hastig ein, so dass ein Teil des Weins überschwappte. Er schnappte sich seinen Becher, hob ihn an und sagte: „Auf den Orden des Heiligen Johannes des Täufers.“ Dann trank er ihn leer.

      William tat es ihm gleich, und als sie kurze Zeit darauf den Krug geleert hatten, bestellte Tomas einen neuen.

      Auch nach drei Krügen schien Tomas noch nüchtern zu sein, während der Alkohol an Williams Magen nagte. Die Fruchtsäure stieg in seine Kehle und ließ das Wasser in seinem Mund zusammenlaufen. William drückte sich von der Bank hoch und kippte damit um. Er rappelte sich auf, schwankte zum Ausgang, stützte sich an den Türrahmen. Seine Augen füllten sich mit Wasser. Er musste sie zusammenkneifen, rieb sie mit Fäusten, beugte sich vor und kotzte die saure Brühe im weiten Bogen von sich. Er hustete und wischte sich den Mund ab. Noch einmal rieb er die Augen, blickte auf und stierte in den Schlitz eines Visiers, aus dem ihn ein grimmiges Augenpaar musterte.

      Der Mann war ein Riese. Ein schwarzer Umhang bedeckte einen Plattenpanzer. Auf seinem Helm wehte ein schwarzer Federbusch. Die Brustplatte seines Panzers war vollgekotzt, und der Schleim tropfte auf