Marlin Schenk

Die Straße der Ritter


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Du meinst, dass das Duell überflüssig wäre, weil du glaubst, ich sei dein Freund, dann irrst du. Ich sagte bereits, dass mir an den Johannitern nichts mehr liegt. Von mir aus kann Sultan Mehmet II. Rhodos haben. Die Kreuzzüge sind vorbei. Unserem Herrn Jesus kann ich auch in England dienen. Du siehst, ich fahre nur aus einem einzigen Grund mit.“

      „Unsere Schwerter werden sich eines Tages kreuzen?“

      „Das werden sie.“

      In der Ferne sahen sie die Insel Wright vor Englands Küste, und William wurde sich immer mehr bewusst, dass er seine Heimat nie wiedersehen würde. Selbst wenn die Osmanen ihn verschonen sollten, Francis Townsend würde es nicht.

      Am Abend erreichten sie Le Havre, und am dritten Tag ruderten sie auf der Seine nach Paris, um drei französische und zwei deutsche Ordensritter aufzunehmen. Der Proviant wurde aufgestockt, und einen Tag später erreichten sie wieder Le Havre, von wo aus sie die Reise nach Rhodos fortsetzten.

      6. Von L'Havre nach Brest

      Bei Sonnenaufgang des nächsten Tages verließen die Galeeren L’Havre und nahmen Kurs auf den Atlantik. Die erste Galeere hatte in Paris ein paar Reisende aufgenommen. Auf Geheiß des Kapitäns fuhren die fünf neuen Ritter zusammen mit den Engländern auf dem zweiten Schiff mit. Mit dieser Anweisung verfolgte der Generalkapitän zwei Ziele. Erstens verteilte er so die Lasten besser, und zweitens sollten sich die Ritter schon einmal miteinander bekannt machen oder gar Freundschaft schließen, wenn dieser Wunsch auch wegen der Querelen unter den Nationen ein Wunsch bleiben sollte.

      Die Ruderer tauchten rhythmisch ihre Hölzer ein und schoben die Galeeren auf den Kanal hinaus. William stand an Deck und ließ seinen Blick über das Meer wandern, während Tomas auf der ihm zugewiesenen Pritsche lag und ruhte. Der Kapitän stand auf seiner Plattform und unterhielt sich mit einem Offizier. Ansonsten war das Deck menschenleer, und William genoss die Ruhe und den frischen Wind, der flau über das Schiff blies. Seine Gedanken ließen England in seinem Geist lebendig werden. Er sah seine Eltern, das Kloster, Freunde. Er freute sich aber auch auf Rhodos, die Roseninsel. Die Erinnerungen an das warme Eiland und das blaue Meer waren so wach, als hätte er dort gestern noch Hasen gejagt. William sah die engen Gassen der Stadt, den Palast und den Großmeister, für den er als Pagen gearbeitet hatte, er sah die wuchtigen Stadtmauern mit den diensttuenden Rittern. Doch dann kam ein junger Mann ins Bild, der ihn auf den hölzernen Boden der Wirklichkeit zurückholte. Es war einer der Ritter, die in Paris an Bord gekommen waren. Der Mann hatte ein kühnes, forsches Auftreten. Er war noch sehr jung, vielleicht achtzehn, und er war im Begriff, einen großen Fehler zu begehen. William erkannte, dass er schnurstracks auf den Kapitän zulief. Mit schnellem Schritt hielt er auf das Heck zu. Noch zwei, drei Schritte, und er würde es erreichen und - betreten. Der Padrone war viel zu sehr mit dem Offizier beschäftigt, um den Ritter zu bemerken. William musste den Burschen warnen.

      „He, Halt!!!“

      Der junge Ritter bremste seinen Schritt und drehte auf dem Absatz um. Er ging auf William zu und sagte in gutem Englisch: „Was heißt hier 'he, Halt'? Hat ein Engländer einem Franzosen was zu befehlen? Sei froh, dass ich mich so gut in der Gewalt habe, sonst würde ich dich über Bord werfen.“

      William schaute den Jungen ungläubig an. Er hatte ihn warnen wollen und erntete dafür Verachtung. Er deutete auf das Heck. „Ich glaube, du weißt nicht...“

      „Halt die Schnauze“, zischte der Franzose. „Die Tatsache, dass der Hundertjährige Krieg vorbei ist, bedeutet noch lange nicht, dass ein Inselaffe wie du einem Franzosen etwas befehlen darf. Vor allem nicht in diesem Ton.“

      William amüsierte sich innerlich. Der Hundertjährige Krieg war länger vorbei als der Knabe alt war, und trotzdem zog er sich daran hoch, offensichtlich um einen Grund zu haben, die Engländer hassen zu können. William sah zwar, dass der junge Ritter ein kühner Mann war, aber er erkannte auch, dass aus ihm nur jugendliches Draufgängertum sprudelte. So versuchte er, beruhigend auf ihn einzureden, um die Situation zu klären.

      „Nun halte aber ein, Bruder. Ich glaube nicht, dass du die Bestimmungen auf den Galeeren kennst, sonst würdest du nicht eine solche Lippe riskieren. Ich wollte dir nur helfen.“

      „Ein de Lastic braucht keine Hilfe, Engländer. Merk dir das. Und pass das nächste Mal auf, wie du deine Mitbrüder ansprichst. Wenn du mich irgendwann noch einmal anreden solltest - was ich nicht hoffen will - dann nenne mich gefälligst Bruder Robert. Solche Sachen wie 'he' oder Ähnliches will ich in Zukunft vermieden wissen, sonst könnte es leicht passieren, dass du dich im Staub der Planken wiederfindest.“ Robert de Lastic drehte sich wütend um und wollte wieder auf das Heck zugehen, um mit dem Kapitän zu reden, doch William hielt ihn erneut auf.

      „Warte, Robert de Lastic. Du kannst nicht zum Kapitän. Er würde...“

      Robert hatte seinen Schritt erneut gebremst und sich wieder William zugewandt. Diesmal hatte er sichtbar Mühe, seinen Zorn unter Kontrolle zu halten. Seine Gesichtsfarbe verdunkelte sich und seine Fäuste zitterten. Er musste die Engländer hassen wie die Osmanen. „Hör zu, du verdammter Schweinehund. Ich habe dich gewarnt. Sprich mich noch mal an, und ich schlag dich so, dass kein Helm mehr auf deinen englischen Schädel passt.“

      Als habe ihn ein riesiger Adler mit dem Greif an der Gurgel gepackt, verstummte de Lastic. Ein würgender Laut blubberte aus seiner Kehle. Er zog die Schultern hoch und wollte sich aus dem eisernen Griff befreien, der ihn am Nacken hielt, aber er hatte keine Chance. Francis' Griff war wie eine stählerne Halskrause, aus der es kein Entrinnen gab.

      „Du Zwerg bist ganz schön mutig“, sagte Francis. „Du gehörst zu der Sorte, die jeden Morgen die Geißel auf dem Buckel spüren sollten. Gibt es irgendeinen Grund, warum du Bruder William beleidigst?“

      „Ich kann mich selbst verteidigen, Francis“, sagte William.

      „Du gehörst dem Orden an, und deshalb kannst du dich nicht angemessen gegen diesen Zwerg verteidigen“, erklärte Francis. Sein Griff wurde fester, und Robert wurde es schwummrig. „Also: Warum beleidigst du deine Brüder, Kleiner?“

      „Ich, ich - er hat mich nicht - er hat mich belästigt. Er will nicht, dass ich zum Padrone gehe.“

      „So. Er will nicht, dass du zum Padrone gehst. Weißt du, was passiert, wenn du ungefragt das Heck betrittst? Weißt du das, ja? Oder haben dir das deine französischen Brüder im Kloster verschwiegen? Kennst du überhaupt die Bestimmungen, die auf den Galeeren herrschen?“

      „Äh - Bestimmungen? Was denn für...“

      Francis entließ den Franzosen aus seinem Griff und packte ihn am Umhang. „Hör zu, du erbärmlicher Wicht. Wer ungefragt das Heck betritt, der lernt die Galeere von unten kennen. Schon mancher ist beim Betrachten des Kiels ertrunken oder von Haien angeknabbert worden. William hat dir vielleicht das Leben gerettet. Und dafür wirst du aufmüpfig, junger Freund. Du hast einen Bruder beschimpft und beleidigt. Dafür stehen auf der Galeere strengste Strafen. Ich möchte nicht in deiner Haut stecken, Wicht.“

      Francis schleppte den Burschen vor das Heck, wo sich der Kapitän immer noch mit dem Offizier unterhielt. Der Schwarze Ritter drückte Robert zu Boden und ließ ihn niederknien. Dann wartete er geduldig, bis der Kapitän das Gespräch beendet hatte und den Offizier entließ.

      „Entschuldigung, Padrone, Sir.“

      „Was ist der Grund deines Besuchs, Ritter?“

      „Dieses kleine Früchtchen ist erst seit wenigen Stunden auf der Galeere und hat schon eine Menge Ärger am Hals. In Anbetracht der Tatsache, dass unsere Reise noch ein paar Monate dauert, schlage ich deshalb eine geeignete Bestrafung vor, damit der Kerl lernt, wie er sich zu benehmen hat. Das macht die Fahrt für uns alle erträglicher.

      „Du hast hier nichts vorzuschlagen, Ritter“, antwortete der Padrone grimmig. „Aber gut, ich höre. Was ist sein Vergehen?“

      Francis holte zufrieden Luft. „Er wollte unerlaubt die Plattform betreten und beleidigte einen Mitbruder, der ihn zu seinem