Marlin Schenk

Die Straße der Ritter


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      Robert de Lastic schüttelte den Kopf.

      „Nun, das ist die Regel. Ich würde es gerne tun, denn bockige Welpen wie du gehören nicht zu unserer Bruderschaft. Aber da du noch lernen musst und auf Rhodos jeder Mann gebraucht wird, will ich eine Ausnahme machen. Als Sühne für die Beleidigungen halte ich fünfzig Schläge für angebracht.“

      Robert bekam einen weinerlichen Gesichtsausdruck.

      Die Stimme des Kapitäns dröhnte über das Schiff, als er nach dem Offizier rief. Mit durchdringender Stimme donnerte er: „Bindet diesen Mann an den mittleren Mast. Er bekommt fünfzig Schläge.“

      Williams Kopf flog herum, als er das hörte. Entschlossen trat er vor den Kapitän. „Padrone, Sir, ich vergebe meinem Bruder. Würde das ausreichen, die Strafe zu mildern oder gar auszusetzen?“

      „Du bittest um Gnade für den Mann, der dich beleidigt hat?“

      „Ja.“

      „Ich brauche keinen Fürsprecher“, sagte de Lastic.

      „Da hört Ihr's. An den Mast mit ihm.

      „Bitte“, sagte William.

      „Entschuldige dich bei Bruder William“, sagte der Kapitän scharf zu Robert, „oder ich lasse dir nicht fünfzig, sondern einhundert Peitschenhiebe angedeihen.“

      William bückte sich und reichte Robert die Hand. Dieser schaute in eine andere Richtung. Widerwillig kehrte sein Blick zu William zurück. Dann endlich schlug er zögernd ein. „Entschuldigung“, sagte er leise. „Aber euch Inselaffen mag ich trotzdem nicht.“ Dann erhob er sich und verschwand für den Rest des Tages unter Deck. Er tauchte erst wieder auf, als die Galeeren die Insel Guernsey anliefen.

      Als sie an Land gingen, war Robert in Begleitung der beiden anderen Franzosen Jean de Valois und Pierre de Villaret. Sie waren beide älter als er und wirkten besonnen und ruhig. Als Robert William sah, schenkte er ihm einen gezwungen freundlichen Blick.

      Tomas, der den ganzen Tag auf seiner Pritsche gedöst hatte und von dem Vorfall nichts wusste, war verwundert, wie schnell sein Freund neue Bekanntschaften schloss. „Wer war denn das?“ fragte er neugierig.

      „Robert de Lastic“, antwortete William. „Er gehört der Französischen Zunge an.“

      Tomas schob die Unterlippe vor und nickte. „Ein netter Kerl. Wie hast du ihn denn kennengelernt?“

      „Wir hatten ein aufschlussreiches Gespräch geführt“, erklärte William grinsend.

      „Hast du auch unsere deutschen Brüder schon gesehen?“

      William verneinte.

      Am nächsten Tag stachen sie wieder früh in See, um die Hafenstadt Brest in der Bretagne anzufahren. Hier nahmen sie keine Ritter auf. Die Bretagne war ein selbständiger Staat und hatte keine Herberge auf Rhodos. Brest diente nur als Station auf dem weiteren Weg nach Spanien.

      7. Aufbruch nach Süden

      Am Morgen des nächsten Tages glich der Hafen von Brest einem Käse voller Maden. Unzählige Händler drängten an die Galeeren, und Hunderte von Schaulustigen versperrten ihnen den Weg, so dass sie mit ihren vollgeladenen Wagen fast nicht an die Schiffe herankamen. Die Schreiber standen mit ihren Schiefertafeln vor den Gangways und brüllten in die Menge, um den Weg für die lebensnotwendigen Waren freizumachen. Bäcker, Metzger, Fischer, Weinhändler und Meier drängten sich an die Schiffe.

      William, Tomas und Francis standen am Kai und beobachteten das Treiben von der Mauer aus, ein Posten, der sie alles überblicken lies.

      „Die Wagen sind berstend voll“, sagte Tomas. „Die Esel können das Gewicht kaum ziehen.“

      „Wisst ihr, was das bedeutet?“ fragte Francis.

      Die beiden Ritter schüttelten den Kopf.

      „Wir haben eine längere Tour ohne Pause vor uns“, erklärte er. „Den Padrones muss es sehr wichtig sein, möglichst schnell nach Rhodos zu kommen. Würde mich nicht wundern, wenn die Ungläubigen schon an der Stadtmauer lagerten.“

      „Ihr meint, wir fahren jetzt ohne Pause nach Spanien?“ fragte Tomas.

      „Ja, leider. Es wird nicht einfach werden.“

      „Warum?“ fragte William.

      „So eine Fahrt hab' ich schon einmal erlebt, Freunde. Es ist kein Zuckerschlecken und sehr gefährlich. Ich kann nur hoffen, dass die Winde uns nicht im Stich lassen, sonst...“

      „Was, sonst..?“ wollte Tomas wissen.

      Francis wollte erklären, dass die Ruderer sich dabei bis zum letzten Tropfen Blut verausgaben würden, dass sie mit jedem Ruderschlag ihren Hass verdoppelten und diesen nicht selten bei einem Aufstand mit unglaublicher Brutalität entluden. Aber dann besann er sich und sagte einfach: „Es ist nichts, Freunde.“

      Die Schreiber schrien sich die Lunge aus dem Hals, um die Menge zu übertönen, aber sie konnten es kaum schaffen. Die Wagen kamen nur langsam voran, weil die Menschen die Wege versperrten. Aus dem Gewühl von Leibern drängten nun zerlumpte Gestalten an die Händler. Es waren verarmte Bauern, Krüppel und heruntergekommene Söldner, die nach den Wagen zu grapschen versuchten, um einen Laib Brot oder ein Stück Käse zu erhaschen. Der Armen wurden immer mehr, und bald wurden die Händler umwimmelt wie eine Kerze von Motten. Die Männer saßen hilflos auf den Böcken und schlugen mit Peitschen um sich.

      „Das sieht nicht gut aus“, sagte William. „Es könnte sich zu einem Aufstand entwickeln.“

      Plötzlich schrillte ein Schrei durch die Luft. Ein Mann mit Lederkappe und Lederwams war von der drückenden Kraft im Rücken gegen einen Wagen gepresst worden. Er rutschte und geriet mit den Beinen unter das Wagenrad. Der Karren mit seiner tonnenschweren Last aus Weinfässern rollte langsam weiter und knickte die Unterschenkel des Mannes wie morsche Hölzer. Der Morgendunst sog ein heißeres Kreischen auf, als die Knochen splitterten. Der Wagen stand noch auf den Beinen des Mannes, weil es nicht weiterging, und der Weinhändler schaute vom Bock herab und grinste. „He, Bettler, liegst du bequem?“

      Ein paar Leute lachten, aber das Schreien des Söldners ließ die Menschen zurückdrängen. Sie wollten nicht das gleiche Schicksal erleiden wie er.

      Plötzlich öffnete sich eine Gasse vor den Wagen, die daraufhin schneller an die Galeeren herankamen.

      „Da ist was passiert“, sagte William und deutete in die Menge.

      „Tatsächlich, da liegt jemand“, sagte Francis.

      „Er hat einen Unfall gehabt.“ William sprang von der Mauer, um sich zu dem Mann vorzukämpfen.

      „Was hast du vor?“ rief Tomas ihm nach.

      „Ich werde ihm helfen.“ Damit verschwand William im Gewühl.

      „Du kannst doch nicht...“ Tomas stampfte mit dem Fuß auf. „Dieser Einfaltspinsel.“

      „Aber er hat Mumm“, sagte Francis.

      Tomas sprang von der Mauer und folgte William.

      William boxte sich mit Gewalt durch die Menge hindurch, bis er den wimmernden Mann erreicht hatte. Er bückte sich zu ihm und strich ihm über den Kopf. „Ich helfe dir“, sagte er ruhig. Dann tastete er die Unterbeine ab und erkannte, dass sie gebrochen waren. William nahm seinen Dolch und schnitt die Lumpen auseinander, unter denen eine blutige Masse frei wurde. „Das sieht nicht gut aus, Soldat.“

      „Ich werde sterben müssen“, sagte der Mann mit schmerzverzerrtem Gesicht. „Mit diesen Beinen bin ich nicht mehr lebensfähig. Es gibt schon zu viele Bettler hier.“

      „Wie heißt du?“

      „Ich bin Albrecht von Hohenstetten.“

      „Ein Adliger?“

      Der