Marlin Schenk

Die Straße der Ritter


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so wichtig wie Wasser und Brot. Ohne Tod kein Leben, oder willst du dich von Steinen ernähren?“

      Albrecht stöhnte auf und versuchte, sich auf die Seite zu legen, aber er schaffte es nicht. William wollte ihm helfen, aber die Schmerzen waren zu groß. Tränen wässerten seine Augen, so dass er sie zusammenkniff. Wenig später entspannten sich seine Lider, und Albrecht schlief ein.

      William verließ die Pritsche und ging wieder an Deck, wo seine Freunde standen und sich unterhielten.

      10. Auf dem Atlantik

      Die Galeeren durchpflügten nun schon seit zwei Tagen den Atlantik. Sie befanden sich auf offenem Meer und nahmen Kurs nach Südwest. Frankreichs Küste und die seichten Wasser des Kanals hatten sie zwar schon weit hinter sich gelassen, aber bis nach La Coruna würden die Büge ihrer Schiffe mehr Wasser teilen müssen als Moses im Roten Meer. Dabei machte diese Stadt erst ein Fünftel der Gesamtstrecke aus. Die Strecke von Brest nach La Coruna war weit, und um genügend Trinkwasser aufnehmen zu können, waren weitere Behältnisse erforderlich gewesen, wofür der Fassbinder an Bord zwei Tage lang gearbeitet hatte.

      Ein kräftiger Wind kam plötzlich auf und bescherte den Sklaven eine willkommene Pause, die sich, als der Befehl zum Segel heißen kam, mit einem Aufschrei der Erleichterung von ihrem Ruder trennten.

      Der Padrone Federico di Giovanni stand auf seiner Plattform und ließ seine stechenden Augen über die See wandern. Er sah nach der Sonne, die aus einem blauen Himmel heraus die Schiffsplanken aufheizte und verglich deren Stand mit der Fahrtrichtung. Immer und immer wieder schaute er zwischen Sonne und Ziel hin und her. Dann füllte er seine Lungen mit Luft und brüllte: „Pilotas!“ Diese Anweisung hätte normal an den ersten Offizier gehen müssen, der nun unverständlich den Padrone ansah und sofort den Ruf wiederholte, wobei er noch lauter schrie als Federico di Giovanni. Einen Augenblick später standen die beiden Lotsen beim Kapitän. Ihre Haltung ließ Ehrfurcht erkennen.

      „Wie lautet der Kurs?“ brüllte der Padrone außer sich. „Und sagt mir nicht, wir halten fadengenau auf La Coruna zu. Wofür hab' ich euch an Bord? Macht euch an die Arbeit.“

      Die Lotsen verbeugten sich ergeben und verschwanden. Kurz darauf kamen sie mit ihrem Werkzeug wieder. Außer dem Offizier waren sie die einzigen an Bord, die unaufgefordert die Plattform betreten durften, und sie machten von diesem Privileg Gebrauch. Ihre Messinstrumente bestanden aus magnetisierten Nägeln, die an dünnen Schnüren aufgehängt waren. Daraus versuchten sie, den Norden abzulesen. Die in der See schaukelnde Galeere machte diese Aufgabe nicht einfach. Bald waren sie sich jedoch über den Kurs einig, und sie teilten ihn Federico di Giovanni mit.

      Der Padrone gab seine Befehle an den Segelmeister weiter und sagte: „Ich will nicht, dass so etwas noch einmal passiert.“ Dann deutete er auf die Schwestergaleere, die ein paar Kettenlängen vor ihnen ebenso auf Kollisionskurs mit der Küste ging. „Auf diesem Schiff sind verdammte Ketzer am Werk. Die erste Galeere sollte der Navigation eigentlich besondere Genauigkeit angedeihen lassen. Gebt ihnen ein Zeichen, damit sie ihren Kurs korrigieren.“ Dann bedeutete Federico mit einer Handbewegung, dass die Lotsen sich entfernen sollten.

      Nach mehreren Tagen in der nassen Wüste wurden Zeit und Datum bedeutungslos. Wenn das Wetter sich nicht änderte, dann war ein Tag wie der andere. Und es änderte sich nicht. Die Sonne brannte heiß und erbarmungslos auf die Schiffe und machte Sklaven und Ritter träge. Die unfreien Ruderer schmachteten angekettet auf ihren Bänken, während die Freiwilligen sich an Bord bewegen konnten.

      Bei diesem Wetter und der angenehmen Brise befanden sich auch die beiden Unteroffiziere an Deck. Nur der Agozzino stapfte müden Schritts durch die stickige Luft im Ruderraum. Er hatte die Aufsicht über die Sklaven. Diese dösten auf ihren Bänken, und manche schnarchten sogar leise. Doch plötzlich kam Leben in die Männer. Ein Sklave, der an der Bordwand saß, wurde von kühlem Nass geweckt, das ihm auf die nackten Füße spritzte. Als dieser erschrocken nach der Quelle suchte, machte er eine undichte Stelle in der Schiffswand aus. Die Abdichtung einer Fuge hatte sich gelöst, und die Fuge öffnete sich immer weiter. Das Wasser drang inzwischen literweise in den Rumpf ein.

      Die Augen des Mannes weiteten sich vor Schreck, und er überlegte krampfhaft, was er tun sollte. Würde das Schiff so volllaufen, dass es versank? Wäre es möglich, dass sie alle starben und von ihrem traurigen Los durch den Tod befreit wurden? Oder wollte er leben, trotz der Schmach und der täglichen Schmerzen durch die Peitsche? Dann musste er den verhassten Agozzino auf die Gefahr aufmerksam machen. Wenn er aber nichts sagte, würde dann die schmale Stelle ausreichen, um das Schiff zu versenken? Nein. Dazu musste er die Fuge vergrößern. Und selbst das würde nicht reichen, denn wenn die Galeere nur langsam volllief, würde man es früh genug merken. Vielleicht aber hatte er, Osman Salaiman, muslimischer Gefangener der Christen, die Möglichkeit, sich einen Stein im Brett zu verdienen, wenn er seine Feinde auf die Gefahr aufmerksam machte. Und so, wie es aussah, war dies die einzige Möglichkeit. Er wollte diese Gelegenheit wahrnehmen. „He, Agozzino.“

      Der Angesprochene zog grimmig die Augenbrauen tiefer. „Halt die Schnauze, du Sohn einer ungläubigen Hure“, giftete er.

      Osman Salaiman schluckte. Er hatte nicht verstanden, was der Mann zu ihm gesagt hatte, aber er hatte erkennen können, dass es keine Liebesschwüre waren. Trotzdem verdrängte er all seinen Hass aus der Seele und machte einen zweiten Versuch: „Da kommt Wasser durch die Bordwand.“

      Der Agozzino verstand die Sprache des Gefangenen nicht. Er verstand nur, dass ein erbärmlicher muslimischer Schweinebalg sich seinem Befehl widersetzte und trotz Aufforderung zum Schweigen sein verdammtes Maul nicht hielt. Der Aufseher entrollte seine Peitsche. „Du hast es nicht verstanden oder willst es nicht verstehen“, zischte er. Im nächsten Moment spaltete das Leder die Haut des Sklaven und fraß sich in sein Fleisch. Dreimal - viermal - fünfmal - zehnmal. Der Agozzino keuchte erregt. „Reicht das, du verdammter muslimischer Hund?“

      Durch den Vorfall hatten andere Sklaven voller Schreck erkannt, dass Wasser durch die Bordwand drang. „Wasser dringt ins Schiff ein“, rief einer seinen muslimischen Glaubensbrüdern zu. Ein Raunen ging durch die Reihen.

      „Seid ihr nun vollends verrückt?“ brüllte der Agozzino. „Ihr sollt meine Peitsche spüren, bis euch die Sinne verlassen. Ruhe!!“ Die Peitsche pfiff durch die Luft und klatschte auf nackte Rücken. Die Gefangenen zerrten an ihren Ketten und riefen unverständliche Worte. Sie konnten sich weder wehren noch verständigen. Und bis der Agozzino begriff, was man ihm mitteilen wollte, konnte er einen Mann tot geprügelt haben.

      Osman Salaiman wollte nicht, dass einer seiner Brüder zu Schaden kam. Er sah nur eine einzige Möglichkeit, den Agozzino auf die Gefahr aufmerksam zu machen. So bückte er sich, schöpfte Wasser mit seinen Händen und spritzte es dem Aufseher ins Gesicht.

      Die Peitsche, die in der Luft schwang, senkte sich, und der Aufseher wischte sich das Nass aus dem Bart. Wutentbrannt schaute er den Sklaven an. „Du verdammter...“

      „Nein, nein“, schrie Osman und deutete auf das Wasser, in dem seine Füße bereits bis zum Knöchel standen. Dann deutete er auf die Fuge, durch die das salzige Nass eindrang.

      Der Aufseher hielt inne, als er sah, was der Sklave ihm zeigen wollte, und als er an sich herab blickte, erkannte er, dass das Wasser bereits unter den Steg schwappte, auf dem er stand. Er rief so laut, dass seine Halsadern anschwollen, nach einem Gehilfen. Der Mann kam, und der Agozzino befahl im barsch, die Unteroffiziere unter Deck zu bitten.

      Als die beiden Peitschen bewehrten Männer auftauchten, stand auch der Agozzino schon im Wasser. Er deutete hinein. „Da, seht. Die Bordwand leckt. Wir müssen etwas tun.

      „Ich werde mit Erlaubnis des Padrone die beiden Kalfatern kommen lassen, damit sie die Fugen neu verstopfen und teeren“, sagte einer der beiden Unteroffiziere und verschwand, um die Männer zu holen.

      Inzwischen löste der Agozzino die Kette der Sklaven, die auf Bänken an der undichten Stelle saßen, und übergab sie dem anderen Unteroffizier. „Eine falsche Bewegung, und ich peitsche euch über Bord“, zischte der Unteroffizier.

      Die