Marlin Schenk

Die Straße der Ritter


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bestätigte William.

      „Gott sei Dank, es gibt Arbeit“, sagte Franz von Waldderdorff.

      William schaute den Mann fragend an. „Ich verstehe nicht.“

      „Im Kloster würde ich versauern, Bruder“, erklärte der Ritter. „Tagein, tagaus der gleiche Trott. Aber nun gibt es Abwechslung. Lieber will ich im Kampf für eine gute Sache mein Leben lassen, als im Kloster dick und fett zu werden. Außerdem: Wo sonst haben wir Ritter noch einen Sinn? Rhodos ist der letzte Zufluchtsort für unseren Stand.“

      William schaute den Deutschen fragend an.

      „Wir sind ein aussterbendes Geschlecht, Bruder“, sagte Karl. „Aber da unten in der Ägäis werden wir noch gebraucht.“

      Franz und Karl sahen, dass William nicht begriff, was sie da sagten. Deshalb knüpften sie eine ausführliche Erklärung an. „Vielleicht ist es in England noch ein wenig anders“, folgerte Franz, „aber bei uns in Deutschland ist ein neues Zeitalter angebrochen, das uns Rittern den Garaus macht. Oder wie willst du dich mit Schwert und Rüstung gegen Kanonen wehren?“

      William runzelte die Stirn. „Übertreibst du nicht ein wenig?“

      Franz schien auf ein solches Gespräch gewartet zu haben. Ob er mit der deutschen Wirtschaft prahlen wollte, oder ob er sich nur seinen Schmerz über den Wandel der Zeiten von der Seele reden musste, William konnte es nicht ergründen. Aber er hörte ihm interessiert zu, denn was Franz und Karl zu sagen hatten, war sehr interessant und warf das Licht von einer anderen Seite auf seine Berufung als Ritter.

      „Die Technik schreitet immer weiter voran“, erklärte Franz, „und Deutschland erlebt den Wandel der Zeiten. Hast du, Bruder William, vor zwanzig Jahren Bücher in dieser Menge zu sehen bekommen, wie es sie heute gibt? Zwar gab es da schon den Buchdruck, aber das Setzen der Seiten war so schwierig und aufwändig, dass kaum eine lohnende Produktion möglich war. Weißt du, wie heute ein Buch gedruckt wird und wie viele Menschen an der Arbeit beteiligt sind?“

      William verneinte.

      „Ein Buch entsteht durch moderne Produktionsverfahren. Die Seiten werden aus beweglichen Buchstaben aus Metall gesetzt und dann gedruckt. Mehrere Berufe sind in diesen Herstellungsgang eingebunden. Da gibt es zunächst die Schriftgießer und die Schriftsetzer, die für den eigentlichen Text verantwortlich sind. Danach geht dann der Korrektor an die Arbeit und verbessert mögliche Fehler im Satz. Erst dann können die Seiten gedruckt werden. Den Umschlag gestaltet der Buchmaler, und der Binder fügt alles zu einem kompletten Werk zusammen. Das sind sieben Männer mit verschiedenen Berufen, und sie alle arbeiten unter einem Dach. Das berühmteste Werk ist wohl die Gutenbergbibel, die bei uns in Straßburg gedruckt wird.“

      „Ihr seid aus Straßburg?“

      „Oh ja“, antwortete Karl Berenger. „Warum?“

      „Auf meiner Pritsche liegt noch ein Straßburger. Er ist schwer verwundet. Ich pflege ihn, bis wir in Rhodos sind.“

      „Sieh einer an“, sagte Karl. „Kann man ihn besuchen?“

      William winkte ab. „Er schläft gerade. Vielleicht später. Erzählt mir lieber noch ein wenig mehr von Deutschland. Ihr redet so schlecht von der neueren Wirtschaft, und gleichzeitig lobt ihr die Fortschritte in der Buchdruckerkunst. Was habt ihr an den neuen Verfahren auszusetzen?“

      „Die Fortschritte in der Druckkunst in Ehren, aber uns geht es dadurch an die Rüstung“, schwor Franz.

      Das konnte William nicht begreifen. „Du willst behaupten, dass unser Stand durch Bücher bedroht ist?“ fragte er kopfschüttelnd.

      „Nein, du verstehst mich falsch, Bruder. Aber der Fortschritt im Buchdruck ist doch nur durch die beweglichen Metalllettern möglich. Und die Metalllettern gibt es nur durch die Vereinfachung in der Metallgewinnung und -verarbeitung. Schon seit 1465 entstehen ständig neue Verfahren, vor allem in Sachsen und bei uns am Rhein. Neue Fundstätten für Eisenerz sprießen aus dem Boden wie Barthaare aus dem Kinn, und seit die Wasserkraft zum Antrieb von Gebläsen eingesetzt wird, baut man an Ort und Stelle Hochöfen an die Flüsse, in denen das Erz sofort bearbeitet werden kann. Die Herstellungsmengen steigen damit immens. Schau dir nur den deutschen Fluss Rhein an. Er ist gespickt mit Hochöfen wie eine Hasenkeule mit Speck. Durch den gewaltigen Anstieg der Metallgewinnung ist es natürlich möglich, bessere Waffen zu bauen. Kanonen und Kugeln verlassen ungezählt die Fabriken, und nicht mehr Schwert und Schild. Was sollen da die Ritter? Über uns lacht man nur noch.“

      „Ist es wirklich so schlimm?“ fragte William, durch die Erzählungen sichtlich besorgt.

      „Nicht, solange wir noch in Rhodos gebraucht werden, Bruder“, antwortete Karl. „Aber nicht alle werden dort gebraucht.“

      „Und was machen die Ritter, die - nun ja...“

      „Sprich es nur aus. Sie gehören zum alten Eisen, wie wir es nennen, und sie ziehen sich durch ganz unterschiedliche Tricks aus der Zange. Am besten haben's natürlich die Mitglieder des hohen Adels. Sie unterstehen dem Kaiser und werden durch die riesigen Ländereien, die sie besitzen, zum Landesfürsten. Aber schon jetzt ist zu spüren, wie sie immer selbständiger werden und sich ihr kleines Reich aufbauen, unabhängig von der Krone. Der mittlere Adel, die Grafen und Herren also, bemühen sich ebenfalls darum, ihr eigener König zu sein. Das klappt natürlich nicht so reibungslos wie bei ihren großen Vorbildern, aber hier und da schafft es mal einer. Diese Fürsten und Grafen leben wie die Maden im Speck auf ihren Schlössern und pressen die Bauern aus. Zu diesem Stand gehöre ich, und ich schäme mich dafür, William.“

      „Noch mehr sollten wir uns für den niederen Adel schämen“, sagte Karl, „diesen Abschaum, der es nicht wert ist, Adel genannt zu werden. Am schlimmsten ist es im Westen und Süden unseres Landes. Ehemalige Söldner, die jetzt nicht mehr gebraucht werden, haben sich zusammengerauft und plündern Reisende und sogar Schiffe. Sie spannen schwere Ketten über den Rhein und schlachten die Schiffe aus, die daran hängen bleiben. Genauso überfallen sie Kutschen wohlhabender Leute. Viele lassen dabei ihr Leben.“

      „Und dagegen wird nichts unternommen?“ fragte William ungläubig.

      „Sicher wird immer wieder mal ein solches Raubritternest ausgehoben und vernichtet. Aber was bringt das? Für jedes zerstörte Nest entstehen zwei neue. Die Krone hat nicht genug Geld und außerdem größere Probleme, um gewaltig gegen diese Banditen vorgehen zu können.“

      „Das verstehe ich“, sagte William. „Und das ist alles dem wirtschaftlichen Gewinn zuzuschreiben?“

      „Ja“, sagte Karl knapp.

      „Ich freue mich auf Rhodos“, sagte William. „War nett, euch kennenzulernen.“ Damit verabschiedete er sich von den beiden, um zu Tomas und Francis zu gehen. Auf seinem Weg dorthin kam er an den Franzosen vorbei. „Bruder William“, sagte Robert de Lastic, und als William ihn anschaute, winkte er ihn herbei.

      „Ja bitte?“

      „Du hast dich lange mit den Deutschen unterhalten. Was ist denn an diesen Ärschen so interessant? Hör meinen Rat, Bruder: Halte dich von den Deutschen fern. Es sind Lügner und Ausbeuter. Wenn so einer 'Guten Morgen' sagt, musst du nachsehen, ob es draußen auch hell ist. Wir Johanniter sind ein heiliger, nützlicher Orden. Es ist nur schade, dass es die Deutsche Zunge gibt.“

      „Könnte es nicht auch sein, dass du dich irrst, Bruder Robert, oder kennst du die beiden persönlich?“

      „Ich kenne sie nicht persönlich, aber...“

      „Ich wünsche dir noch einen schönen Tag“, sagte William und ging zu seinen englischen Brüdern.

      9. Albrecht von Hohenstetten

      Als die Schatten an Deck kürzer wurden, ließ der erste Offizier die Rationen für das Mittagessen verteilen. William bekam nicht mehr als andere auch, obwohl jeder wusste, dass er einen Kranken pflegte. Er akzeptierte den Entschluss des Kapitäns und ging mit seiner Portion unter Deck, wo