Marlin Schenk

Die Straße der Ritter


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William wusste, dass er keine Erfahrung im harten Zweikampf hatte, bei dem es um Leben und Tod ging. Er kannte nur die gespielten Duelle hinter Klostermauern. Er hatte keine Chance gegen Francis, und er würde niemals so gut werden können, um das Duell zu gewinnen. Francis war ein Bär und hatte damit schon einen Pluspunkt, den William nie erreichen würde. Mit dieser Gewissheit musste er leben.

      12. Erkenntnisse

      Beladen mit frischen Lebensmitteln und Wasser, stachen die Galeeren am nächsten Morgen erneut in See. In den folgenden Tagen sollte der Anblick der portugiesischen Küste den Reisenden vertraut werden, denn die Schiffe entfernten sich nur um ein paar Kabellängen von festem Land, bis die Iberische Halbinsel umsegelt sein würde. Für William war diese Etappe noch zermürbender als die endlos scheinende Fahrt durch den Golf von Biscaya, denn hier war von morgens bis abends die Küste zu sehen, so dass er ständig meinte, die Galeeren müssten jeden Moment anlegen. Aber nicht nur er, auch seine Brüder, die Matrosen, ja sogar der Kapitän litten unter dem gleichen nervenaufreibenden Küstenkoller.

      Ab und zu brachte das Beobachten der Lotsen ein wenig Abwechslung. Sie befassten sich mit ihrem magnetisierten Nagel, der an einer Schnur über einer Windrose baumelte. Sie lasen daraus die Fahrtrichtung ab, obwohl die Küste ihren Weg leitete. Sie würden ihr treu bleiben, bis sie eines Tages Cartagena im Mittelmeer erreichten, um Ritter aus Kastilien und Aragonien aufzunehmen. Während einer der Lotsen den Nagel betrachtete, warf ein zweiter eine Schnur vom Heck und erfasste die Geschwindigkeit, und hin und wieder ließ er ein Lot herab, um die Wassertiefe zu messen. Sie notierten alle Werte auf Schiefertafeln und übergaben diese am Abend dem Kapitän, der sie in das portulans, das Lotsenbuch eintrug.

      William kümmerte sich weiterhin um Albrecht von Hohenstetten. Der Unfall lag nun schon mehr als eine Woche zurück, und die Fleischwunden um die Brüche waren gut verheilt, ohne dass Komplikationen aufgetreten wären. Die Schmerzen waren erträglich, und wenn William die Beine abtastete, erkannte er, dass die Brüche gut zusammenwachsen würden.

      Albrecht nahm zu. Sein Lederwams, das ihm in Brest noch lose um den mageren Körper geflattert war, lag nun stramm an. Er hatte einen gesegneten Appetit, und William erkannte, dass er den Mann kaum von der Hälfte seiner Portion hätte ernähren können. Selbst eine ganze Portion schien für den Genesenden zu wenig zu sein.

      Wenn der Schiffschirurg auftauchte, bat William ihn immer wieder, nach seinem Patienten zu sehen. Der Arzt tat es, wenn er auch anfangs nur widerwillig folgte und meinte, für freie Kost und 22 Scudi im Jahr nicht für verunglückte Wegelagerer zuständig zu sein. Später aber setzte er sogar durch, dass der ehemalige Raubritter verköstigt wurde. Die Kosten für die Krankenverpflegung wurden dem Re mitgeteilt und würden später in Rhodos ersetzt werden.

      William saß bei Albrecht, der sich seit zwei Tagen aufrichten konnte, ohne unter den Schmerzen in den Beinen zu stöhnen. Er hatte sich auf einen Ellbogen gestützt und hielt Williams Hand.

      „Ich habe über deine Ansichten über das Töten nachgedacht“, sagte William. „Es lässt mir keine Ruhe mehr. Jede Nacht träume ich davon.“

      „Darüber hätten wir uns gar nicht unterhalten sollen“, antwortete Albrecht. „Es war dumm von mir.“

      „Eine harte Welt bringt harte Männer hervor, Albrecht, und was du bist, das hat die Gesellschaft aus dir gemacht. Ich beneide dich darum.“

      „Du beneidest mich, einen Mörder?“

      „Ich beneide nicht Albrecht, den Mörder, sondern Albrecht, den Kämpfer. Ich bin Ritter und dazu auserwählt, unseren Glauben in Rhodos zu verteidigen. Dabei weiß ich gar nicht, ob ich dazu tauge. Ich bin in keiner harten Welt aufgewachsen, sondern in einer friedlichen, hinter Klostermauern, wo ich mich nur beim Training wehren musste. Ich habe noch niemanden verletzt und noch keiner Hinrichtung beigewohnt. Ich habe immer nur gehorcht, zuerst meinen Eltern, dann dem Großmeister, schließlich dem Orden, und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Ich bin kein harter Mann, Albrecht, auch wenn ich ein Ritter bin.“

      Der Deutsche lächelte. „Kämpfen heißt nicht töten um jeden Preis“, erklärte er. „Man kann auch andere Feinde besiegen, die nicht aus Fleisch und Blut sind und an Allah glauben. Das hast du bewiesen. Du hast um mich gekämpft, William, um mein Leben, und es war kein einfacher Kampf, den du gewonnen hast. Du siehst, es gibt auch lebenserhaltende Kämpfe.“

      William wollte noch etwas sagen, wurde jedoch von Schritten unterbrochen, die seine Aufmerksamkeit weckten. Als er sich umdrehte, sah er Franz von Waldderdorff und Karl Berenger. Sie kamen auf ihn zu und begrüßten ihn ritterlich. „Wir sind gekommen, um unseren Landsmann zu sehen“, sagte Karl. „Ist es gestattet?“

      „Natürlich.“ William erhob sich von der Pritsche. „Das ist mein Patient, Albrecht von Hohenstetten.“ Er hatte dem Kranken den Rücken zugewandt und konnte die Augen seines Schützlings nicht sehen. Sie waren weit aufgerissen. Albrecht machte den Eindruck, als wollte er sich durch die Bordwand verdrücken.

      Die beiden Deutschen knieten sich vor das Krankenlager. „Du bist also ein Landsmann“, sagte Franz.

      Albrecht nickte. Schweißperlen schmückten seine Stirn.

      „Und woher?“

      „Aus Süddeutschland. Hört man das nicht?“

      „Hast du's nicht ein wenig genauer, Bruder? Das ist auch unsere Ecke. Wir sind aus Straßburg.“

      Albrecht räusperte sich nervös. „Zuletzt habe ich mich in Bayern aufgehalten. Überall und nirgends. Ich war Söldner.“

      „Im Dienste Albrechts IV. von Bayern-München?“ fragte Karl neugierig.

      Der Verletzte hob die Schultern.

      „Er hat viel Gutes für unser Land getan, indem er das Raubritternest der Böckler ausgebrannt hat wie eine wuchernde Warze. Du kannst stolz sein, dabei gewesen zu sein, Bruder.“

      „Ja“, krächzte Albrecht.

      „Was machen die Beine?“ fragte Franz mit echtem Interesse.

      „Ich habe Schwierigkeiten, in einem Steigbügel Halt zu finden“, flüsterte Albrecht.

      Karl lachte und tätschelte Albrecht den Bauch. „Großartig. Wir wünschen dir gute Besserung, denn in Rhodos können wir jeden Mann gebrauchen.“ Die Deutschen erhoben sich. „Pass gut auf ihn auf, William.“ Damit verschwanden sie.

      Albrecht sank aufatmend in die Felle zurück.

      „Du siehst gar nicht gut aus“, sagte William. „Fehlt dir was?“

      „Jetzt nicht mehr“, knurrte Albrecht.

      „Du kennst die beiden, nicht wahr?“

      Er lächelte. „Ja. Aber sie haben mich nicht erkannt, sonst hätten sie dein Lager mit meinem Blut getränkt.“

      „Was ist denn zwischen euch?“ fragte William. „Hat es etwas mit den Böcklern zu tun?“

      Albrecht nickte schwach. „Du sagtest: 'Eine harte Welt bringt harte Männer hervor.' Aber wie du siehst, bin ich alles andere als hart. Mir ist fast das Wams zu eng geworden. Ich dachte, es zerdrückt mir das Herz.“

      William hätte gern erfahren, was in Bayern vorgefallen war, aber aus Albrecht war nicht mehr herauszukriegen, so dass William aufgab. Ein anderes Ereignis fesselte jedoch schnell seine Aufmerksamkeit. Die Trompeter bliesen zum Aufmarsch an Deck. William kniete noch einmal nieder und erfasste Albrechts Hand. „Du bist kein Feigling, und für dein Schweigen wirst du Gründe haben, die ich akzeptiere. Ich muss jetzt gehen. Wir sehen uns später.“

      Alle Ritter der Zungen und 62 Marinesoldaten versammelten sich an Deck. Auch Francis war dabei, obwohl er nicht zu den Rittern gehörte, die unter Pflicht standen. Er wurde mehr als Reisender gehandhabt.

      Auf der Plattform am Heck stand der Padrone, davor der Offizier. Der Padrone hatte die Arme vor der Brust verschränkt und flüsterte dem Offizier etwas