Marlin Schenk

Die Straße der Ritter


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hielt darauf zu, passierte das Steintor und sah sich sogleich zwei Lanzen gegenüber, deren grimmige Träger ihm aus heiseren Kehlen ein donnerndes „Halt!“ entgegen brüllten.

      Erschrocken riss George an der Zügel, so dass es dem Pferd fast den Kiefer ausrenkte und das Tier mit einem schmerzlichen Wiehern stehen blieb. „Was ist?“ fragte George ängstlich. „Kostet die Passage Geld?“

      Einer der Wächter lachte hart. „Du bringst uns auf eine gute Idee, Fremder. Bis jetzt ist sie noch frei. Aber du siehst doch, dass die Brücke hochgezogen ist, oder bist du blind?“

      George schaute an den Männern vorbei, nickte und machte eine Verbeugung. „Entschuldigung. Wird es lange dauern?“

      Die beiden Wächter nahmen die Lanzen weg. „Du wirst nicht mal pissen müssen zwischendurch“, sagte einer.

      George stieg ab und lehnte sich über die aus Bruchstein gemauerte Brüstung. Langsam ließ er seine Spucke ins Wasser fallen, als es knirschte und splitterte, als würde ein Balken brechen. Gleich darauf vernahm er drei oder vier Stimmen, die gegeneinander anbrüllten. Er wollte sehen, was da los war, aber einer der Wächter rief ihn barsch zurück. „He, weg da. Du kannst aufsteigen. Wir lassen gleich die Brücke herunter.“

      George gehorchte, und wenig später senkte sich rasselnd die Brücke. „Könnt Ihr mir ein Pub empfehlen?“ fragte Smith schüchtern.

      Als ob die beiden Männer inzwischen ausgetauscht worden wären, antworteten sie zu Georges Verwunderung freundlich und erschöpfend. Sie deuteten mit ihren Lanzen über den Fluss und erklärten: „An der ersten Kreuzung hinter der Brücke reitest du nach links. Das ist das Stokfisshmongerowe auf der Thames Street. Nach etwa 15 Ketten erreichst Du die Derkelane am Queenhithe. Sie führt zum Wasser hin. In dieser Lane hat Peter Carpenter sein Alehouse. Es ist empfehlenswert. Gutes Essen gibt es dort auch.“

      „Habt Dank für die freundliche Auskunft“, sagte George. Er trieb sein Pferd an, passierte das Zugbrückentor und kam zur Kapelle des heiligen Thomas, die sich auf der Mitte der Brücke befand. George stieg ab, kniete nieder und dankte für den reibungslosen Ablauf seiner Reise. Als er wieder aufstieg, hörte er Peitschenhiebe und das Jammern eines Unglücklichen.

      George fand anhand der Beschreibung recht schnell die Stokfisshmongerowe und die Thames Street. Als er über einen unbebauten Platz zur Themse blickte, sah er etwas, das ihn zum Augenreiben reizte. Aber auch als er ein zweites Mal zum Fluss hinblickte, blieb die Vision: Galeeren der Johanniter. George erkannte nun auch, warum jemand gepeitscht wurde. Das war eine Neuigkeit, die er unbedingt loswerden musste. Sicher würde man ihm dafür ein oder zwei Tankards voll Ale bezahlen. Er hieb dem Pferd die Hacken in die Seite.

      Wenig später saß er in Peter Carpenters Alehouse. Es gab keine Theke, dafür aber ein dickes Eichenbrett an der Wand, auf dem man sein Bier abstellen konnte. Hier standen ein paar Dockarbeiter und genossen eine Pause, bevor es wieder an die harte Arbeit ging.

      „Ale“, rief George

      Peter nickte. Wenig später kam der Landlord mit einem Tankard, den er dem Gast hinstellte. Der Tankard war nicht aus Holz, wie der Becher in Duncans Schmiede, sondern aus Blei. George nahm ihn an die Lippen, kostete das Getränk und nickte wohlwollend. Dann deutete er auf die Bank auf der anderen Seite des Tisches und sagte fast in befehlshaberischem Ton: „Setzt Euch zu mir, Wirt.“

      Carpenter hob bedauernd die Hände. „Keine Zeit, Sir.“

      „Aber ich bringe Neuigkeiten, von denen Ihr noch nichts wissen könnt. Es hat sich gerade erst auf dem Fluss zugetragen.“

      Der Landlord, schon im Gehen begriffen, flog herum. Nachrichten waren immer gut fürs Geschäft. Er setzte sich. „Erzählt.“

      „Ich bin schon an vielen Plätzen gewesen, und überall bekomme ich ein oder zwei Tankards voll Ale für meine Neuigkeiten“, sagte Smith.

      Nach einer kleinen Denkpause nickte Carpenter. „Mir soll’s recht sein, Sir. Erzählt, was Ihr wisst.“

      George holte Luft. „Stellt Euch vor: In den Docks liegen zwei Galeeren. Sie tragen das Banner der Johanniter. Ich weiß, dass diese Galeeren im Mittelmeer und der Ägäis liegen, um Rhodos und die Pilgerrouten nach Jerusalem zu schützen. Deshalb frage ich mich, was diese Schiffe hier zu suchen haben.“

      Peter grinste. „Das sollen Neuigkeiten sein? Ihr stellt mir ja mehr Fragen, als dass Ihr Kunde bringt. Was die Galeeren hier suchen, kann ich Euch verraten, denn es kommt des Öfteren vor, dass diese Schiffe hier anlegen. Sie werden wohl Ritter des Ordens abholen, die in Rhodos stationiert werden sollen. Das ist des Rätsels Lösung.“

      „Aha“, sagte George Smith beschämt. Doch zugleich fügte er voller Begeisterung hinzu: „Was Ihr aber nicht wisst: Bei der Durchfahrt der Brücke haben ein paar Unglückliche ihr Ruder nicht schnell genug eingezogen. Sie zerbrachen am Brückenpfeiler. Ich stand gerade auf der Brücke und hörte das Holz bersten. Die Bestrafung folgte sofort.“

      „Und?“

      „Das war's.“

      „Wie viel Ale soll denn diese Neuigkeit wert sein, Sir?“

      „Wartet. Ich heiße Smith. George Smith. Und ich habe noch mehr zu berichten. Zum Beispiel ist ein Mörder nach London unterwegs. Man nennt ihn den Schwarzen Ritter, und der Kerl ist...“

      „...mit Vorsicht zu genießen. Er ist bereits hier.“

      George schaute betrübt auf seinen Tankard, der sich langsam leerte. Die Geschichte vom Mörderbett kannte Carpenter bestimmt auch schon, und die Neuigkeit von der Hexe aus Kilndown würde wohl auch keinen Tankard bringen. „Vergesst das freie Ale, Landlord. Erzählt mir lieber etwas über Bier. Ich bin Brauer und auf der Suche nach guten Ideen, denn ich bin bestrebt, das beste und reinste Bier im Königreich zu brauen. Euer Ale hat einen würzigen Nachgeschmack. Was ist es, das diesem Bräu die besondere Note gibt?“

      Zu einer Antwort kam es nicht. Ein paar Hafenarbeiter hämmerten mit ihren Tankards auf dem Eichenbrett herum. „He, my Lord, mach uns Bier, aber schnell“, riefen sie.

      „Ich habe zu tun, Mr. Smith. Ihr seht es selbst. Entschuldigt mich bitte. Vielleicht später.“ Damit entzog sich Peter Carpenter einer für ihn langweiligen Unterhaltung.

      Zu fortgeschrittener Stunde passierten zwei Ritter Carpenters Alehouse. Sie kamen gerade von Queenhithe, wo die Galeeren vor Anker lagen. William und Tomas hatten sie sich angesehen. Diese Schiffe sollten in den nächsten drei Monaten ihr Zuhause sein, denn die beiden jungen Männer waren vom Orden dazu bestimmt worden, Rhodos zu verstärken. Sie mussten sich für eine lange Zeit, wenn nicht gar für immer, von England trennen, und es war keine Frage, dass man sich gebührend von der Heimat verabschiedete.

      Sie passierten Carpenters Pub, wo an einem Eichenbrett mehrere Hafenarbeiter standen und ihr Ale tranken, und wo ein Mann mit Lederhut und Lederumhang einsam und verlassen an einem Tisch saß und an seinem Becher nippte. „Lass uns hier hineingehen, Bruder Tomas“, sagte William.

      „Aber das ist ein Alehouse“, fuhr Tomas auf. „Es ist unser nicht würdig. Der Ordensrat würde es gewiss nicht gern sehen, wenn wir uns unter die Bürger mischen. Wir sollten eine Taverne aufsuchen, wo wir unter Adligen sind, mein Freund.“

      Williams Kettenhemd rasselte leise, als er den Kopf schüttelte. „Mich reizt das Verbotene, und ich war noch nie in einem Alehouse. Ich würde gerne sehen, wie die Bürger sich vergnügen. Was kann daran so schlimm sein, dass der Ordensrat es verbieten würde?“

      „Bitte, Bruder William. Ich bin erschüttert über deine Worte. Wenn du sagst, dass das Verbotene dich reizt, dann verleugnest du damit unseren Orden.“

      „Ich verleugne ihn nicht, und ich liebe die Gemeinschaft des Heiligen Johannes genauso wie du, Tomas. Aber warum glaubst du, dass uns eine Taverne gegönnt ist, während ein Alehouse tabu sein soll? Macht das etwa Sinn?“

      Tomas' Hand fuhr an den Schwertknauf, als wolle er die Waffe ziehen, doch ließ er sie nur darauf ruhen. Stattdessen legte er die andere Hand auf Williams