Franjo Franjkovic

Sommerberg


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haben doch nicht etwa Ihre Briefkastenschlüssel verloren, Fräulein Bürger? Schon wieder?“

      Das Blut schießt mir in den Kopf, ich versuche mich herauszuwinden, aber mehr als eine etwas hilflose Geste in Richtung der Treppe bekomme ich nicht zustande. „Die Schlüssel sind bestimmt irgendwo oben in der Wohnung.“

      Schmidt winkt ungeduldig ab und zieht einen schweren Schlüsselbund hervor. Er lässt einige Schlüssel durch seine wurstdicken Finger wandern, bis sich seine Miene etwas aufhellt. Er schließt den Briefkasten auf, nimmt die Post heraus und gibt sie mir. Ich greife nach dem kleinen Bündel und will es in meiner Tasche verstauen, aber Schmidt hält die Post noch immer fest.

      „Sollten Ihre Schlüssel nicht auftauchen, haben Sie mir das unverzüglich zu melden.“

      Ein verlegenes Lächeln. „Sicher...“

      Aber er lässt noch immer nicht los.

      „Und dieses Mal lasse ich Sie für alle Kosten aufkommen. Ich werde Ihretwegen nicht noch einmal die Schließanlage im ganzen Haus wechseln. Nur damit das klar ist!“

      Ich weiche seinem Blick aus, meine Augen haften auf seinen wulstigen, haarigen Fingern, die noch immer meine Post umklammern. Er beugt sich etwas hinab und sucht meinen Blick. Ich kann seinen Atem riechen. Eine Mischung aus Kohl und Bier.

      „Haben Sie das verstanden?“

      Ich nicke langsam, sehe ihn an. Zusammengekniffene kleine Augen, die sich unter den buschigen Augenbrauen zu verstecken scheinen. „Ja, verstanden. Aber die Schlüssel tauchen bestimmt wieder auf.“

       2

      Ich werfe die Post auf den niedrigen Wohnzimmertisch, schäle mich aus meiner Jacke, die ich achtlos auf den Boden werfe. Marion beäugt kritisch den Schnitt in ihren Fingern. Das Ergebnis scheint sie nicht sonderlich zu beunruhigen. Sie deutet mit dem Kinn in Richtung der Haustür.

      „Der ist ja noch schlimmer als in Deinen Erzählungen.“

      „Blockwart Schmidt? Wer Gralshüter eines so mächtigen Schlüsselbundes ist, der muss zu niederen Fräuleins wie uns nicht nett sein...“

      Auch Marion zieht ihre Jacke aus, legt sie aber, im Gegensatz zu mir, sorgfältig auf das Sofa. Einer der kleinen Unterschiede zwischen uns, die unser Leben nie haben langweilig werden lassen.

      Ich gehe in das Badezimmer, suche irgendetwas, womit ich Marions Wunde verarzten kann.

      „Weißt Du, wo ich meinen Verbandskasten hingetan habe?“

      „In das kleine Unterschränkchen.“

      Natürlich hat sie recht. Wie immer, wenn ich mal wieder irgendetwas in meiner Wohnung suche. Und das, obwohl wir noch immer nicht zusammengezogen sind, auch wenn wir schon ein paar Mal darüber gesprochen haben. Wahrscheinlich gefallen uns unsere eigenen kleinen Nester viel zu gut, um sie aufzugeben.

      Zurück im Wohnzimmer setze ich mich neben Marion, die sich bereits auf meine Couch gesetzt hat, und nach dem kleinen Stapel Post greift. Sie zieht etwas von unten heraus, zieht die Augenbrauen fragend zusammen.

      „Was ist das denn?“

      Ein Foto? Sie sieht es sich genauer an. Eine Postkarte. Sie dreht sie herum, die Falten auf ihrer Stirn werden etwas tiefer. Ungläubig sucht sie weiter und fördert eine zweite Postkarte zu Tage.

      „Willst du in den Schwarzwald?“

      Schwarzwald? „Nein. Wieso fragst Du?“

      Marion hält die Postkarten in die Höhe. Schwarzweiß. Unmöglich, das genaue Alter zu bestimmen, aber bestimmt schon an die 50 oder 60 Jahre alt. Verblichene Aufnahmen, die Ränder vergilbt und abgenutzt.

      „Wo hast Du die denn her?“

      Ein ungefähres Winken Richtung Couchtisch.

      „Waren in Deiner Post.“

      „Von wem sind die denn?“

      Marion dreht die Postkarten herum. Kein Text. Kein Absender.

      „Komisch. Gib mal her.“

      Ein großes Haus auf einem dicht bewaldeten Berg. Auf der Rückseite nur ein Aufdruck in der linken unteren Ecke. „Fotohaus v. Schönebeck“. Ansonsten ist die Postkarte leer.

      Die zweite Postkarte zeigt das Tal am Fuße des Berges. Winter. Meterhoher Schnee überzieht die Landschaft. In der Mitte ein Kirchturm, der die übrigen Gebäude und umstehenden Bäume weit überragt. Auch diese Postkarte ist unbeschriftet: kein Absender, keine Anschrift, keine Nachricht. Nur ein kleiner Aufdruck am unteren Bildrand: „Wildbad/Schwarzwald“.

      Ich werfe die Postkarten kopfschüttelnd zurück zu den restlichen Briefen. „Bestimmt hat die nur jemand aus Versehen bei mir eingeworfen. Die sind bestimmt für Frau Bucksch aus dem Dritten. Und jetzt zeig mal Deine Hand.“

      Marion hält mir die Hand hin und ich säubere mit ein paar geschickten Handgriffen die Wunde. Marion gluckst mädchenhaft.

      „Bestimmt sind die Postkarten die Einladung eines heimlichen Verehrers.“

      Ich versuche, das genervte Augenrollen in meiner Stimme hörbar zu machen. „Dessen fesches Schwarzwaldmädel ich werden soll? Verlockende Idee, wo mir Bollenhüte doch so gut stehen.“

      „Ach komm. Eine Woche Schwarzwald wäre doch mal eine willkommene Abwechslung.“

      Ich klebe noch einige Pflaster auf die kleinen Wunden. Sollte genügen.

      „Vielleicht. Aber nur, wenn Du dabei bist.“

      „Oh, Du bist so süß...“ Sie zieht mich an sich heran und küsst mich. „... genau das wollte ich hören. Aber vielleicht hat die gute Frau Bucksch ja einen alten Kurschatten, der sich auf diesem Weg mal wieder bei ihr meldet.“

      „Das kann ich mir bei der zwar kaum vorstellen, aber wer weiß? Sie war auch mal jung.“

      Ich überprüfe noch einmal Marions Hand. Alles sauber. Alles verarztet.

      „Bitte sehr, so gut wie neu.“

      Sie hält mit einem übertrieben treuherzigen Gesicht die Hand in die Höhe.

      „Pusten und Kussi geben?“

      Mit Schwachsinn dieser Art bringt sie mich jedes Mal zum Lachen. Auch dieses Mal. Ich puste ganz leicht über ihre Finger und küsse sanft ihre Fingerspitzen.

      „Besser?“

      „Viel besser!“

      Entschlossen nimmt sie mir das Verbandszeug aus der Hand und legt es auf dem Tisch ab.

      „So, fertig mit den Doktorspielchen. Du weißt doch, warum ich hier bin.“

      Ich verdrehe mit gespieltem Ärger die Augen.

      „Fang nicht schon wieder an...“

      Aber Marion lässt sich nicht so leicht von mir abwimmeln. „Komm schon. Zeig es mir.“

      Ich seufze theatralisch. Einer dieser Seufzer, der eine Frau um zwei Leben älter wirken lässt.

      „Es ist noch nicht fertig.“

      Sie nimmt meine Hände in ihre, zieht mich ein wenig an sich heran und küsst mich auf die Stirn. Ernst sieht sie mir in die Augen. Ich kenne den Blick. Sie benutzt ihn nur, wenn sie sich wirklich Sorgen um etwas, oder jemanden, macht.

      „Du hast seit zwei Monaten nicht mehr daran gearbeitet. Das ist sonst nicht Deine Art. Es ist bestimmt fertig, Du findest es einfach nur nicht gut, oder?“

      Ich löse mich vorsichtig ein wenig von ihr. Mein Körper verkrampft, man muss keine feinen Antennen haben, um zu spüren, wie unwohl ich mich bei diesem Thema fühle.

      „Ach, ich weiß auch nicht. Irgendetwas fehlt. Ich kann den Finger nicht genau auf die