Franjo Franjkovic

Sommerberg


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genau, dass er nicht übertreibt. Typisch Schmidt.

      „Dann sollten Sie das lieber tun. Ihren Vorgänger hat er mit siedendem Öl übergossen, weil er es gewagt hat, ein Päckchen im Hausflur abzustellen.“

      „Ich werd’s mir merken.“

      Er zwinkert mir zu und wendet sich wieder den Briefkästen an der Wand zu. Ich stecke mir die Briefe zwischen die Zähne, packe meine Einkaufstüten und schleppe sie die Treppe nach oben.

      Ich schließe die Tür hinter mir und stelle die Einkaufstüten im Flur ab. Mit schnellen Fingern gehe ich die Post durch und zucke zusammen, als ich zwei vergilbte Postkarten aus dem Stoß hervorziehe.

      Beide haben frappierende Ähnlichkeit mit jenen, die ich gestern bereits erhalten habe.

      Das Tal. Der Berg. Das große Haus auf der Kuppe des Berges. Auch diese Postkarten sind schwarzweiß. Die Ränder gezackt. Dasselbe Motiv, nur aufgenommen aus einer anderen Perspektive. Erneut keine Nachricht. Keine Anschrift. Auf der Rückseite nur der aufgedruckte Hinweis „Fotohaus v. Schönebeck“.

      Ein merkwürdiges Gefühl überkommt mich. Einer dieser Momente, an denen eine diffuse Erinnerung an den Nervenenden zupft, aber man keine Verbindung herstellen kann.

      Ich lege die Postkarten beiseite und packe mir meine Einkäufe, die sich nicht von alleine in den Kühlschrank bringen werden. Auf dem Weg in die Küche muss ich durch das Atelier, an meinem Bild vorbei und ich versuche, es nicht direkt anzusehen. Aber etwas drängt sich aus meinem Augenwinkel in mein Blickfeld und ich lasse meine Einkäufe zu Boden fallen.

      Mein Herz macht einen Sprung, verdoppelt seine Schlagfrequenz, ich kann es unter meiner Zunge pochen spüren.

      Meine Einkäufe rollen in alle Richtungen über den dunklen Parkettfußboden, aber ich habe nur Augen für mein Bild. Ich gehe etwas näher heran, kneife die Augen zusammen.

      An der Stelle, an der ich die Ausbesserung vorgenommen habe, prangt wieder ein kleiner roter Fleck.

      „Nicht schon wieder!“

      Und wieder greife ich zum Pinsel und übertünche den Fleck mit dem Blau des Wassers.

       5

      Ich stehe vor der verschlossenen Wohnungstür meiner Nachbarin und klopfe, etwas verhalten, an. Kein Geräusch dringt aus der Wohnung, ich warte einen kurzen Augenblick, klopfe erneut, dieses Mal lauter.

      Ruckartig öffnet sich die Tür, ich habe die sich nähernden Schritte nicht einmal gehört. Frau Bucksch, eine mürrische, ältere Dame, steht misstrauisch im Türrahmen. Sie trägt nur einen Morgenmantel. Aber es ist schon nach Mittag durch.

      „Ja?“

      „Guten Tag, Frau Bucksch. Mein Name ist Sarah Bürger, ich wohne auch hier im Haus. Ich habe die Wohnung über Ihnen.“

      „Die Künstlerin, was?“

      „Ja. Genau.“

      Ich hätte mir denken können, dass sie über so ziemlich alles und jeden in diesem Haus Bescheid weiß. Ich frage mich, ob sie Marion und mich gestern Nacht wohl gehört hat.

      „Und was wollen Sie? Soll ich für Sie Porträt stehen?“

      Heiser lacht sie in sich hinein. Sie ist ein paar Zentimeter größer als ich, trotz ihres vom Alter gebeugten Rückens. Sie hat volles, strahlend weißes Haar und ich versuche sie mir sechzig Jahre jünger vorzustellen. Sie ist in Würde gealtert, wurde aber auch von der Natur begünstigt. Sie hat kaum Falten und die Schwerkraft meint es noch nicht böse mit ihr. Ich stelle sie mir als Jugendliche mit knallbunten Bändern, in all meinen Lieblingsfarben, im Haar vor.

      „Ich komme wegen dieser Postkarten. Jemand hat sie wohl versehentlich bei mir eingeworfen.“

      Ich strecke sie ihr entgegen, ernte aber nur einen skeptischen Blick.

      „Und? Was soll ich jetzt damit?“

      Ich druckse herum, frage mich, ob es wirklich eine so gute Idee war, Frau Bucksch zu fragen.

      „Nun ja... ich dachte, dass sie vielleicht für Sie bestimmt gewesen wären und ich...“

      Sie unterbricht mich.

      „Und Sie haben sich also gedacht: Mensch, diese antiken Dinger sind bestimmt für die alte Schachtel.

      Der Geruch, der aus ihrer Wohnung dringt, ist eine Mischung aus Mittagessen auf dem Herd und einer Seife, wie sie nur alte Menschen benutzen. Nervös verlagere ich mein Gewicht von einem Bein auf das andere.

      „So habe ich das nicht gemeint.“

      Sie verzieht eine etwas mürrische Miene, aber sie scheint mir nicht böse zu sein.

      „Zeigen Sie mal her.“ Ihr kritischer Blick spricht Bände. „Aber da steht ja gar nichts drauf.“

      „Nein, deswegen wusste ich auch nicht, für wen sie bestimmt sind.“

      Sie wirft mir einen Blick zu, den ich nicht deuten kann. Vorsicht? Skepsis? Wissen?

      „Versuchen Sie es mal bei Herrn Schmidt. Der fährt regelmäßig in den Schwarzwald. Hat da wohl mal eine kleine Freundin gehabt, von der seine Frau nichts wissen sollte.“

      Diese lapidar hingeworfene Information überfordert mich. Unser Herr Schmidt? Der Hausmeister? Mit einer heimlichen Affäre?

      „Schauen Sie nicht verdutzt drein, früher war er mal eine recht ansehnliche Partie gewesen.“

      „Das kann ich kaum glauben.“

      „Ich weiß. Aber er war nicht immer wie jetzt. Sie werden ja sehen, wie das ist, wenn man älter wird. Dann sind die Zeiten vorbei, in denen Sie sich mit Ihrem Freund durch die Laken wühlen...“

      Sie hält inne.

      „Oh. Verzeihen Sie. Sie wissen ja, wie ich das gemeint habe. Die Zeiten ändern sich und ich denke mir immer „Leben und leben lassen“. Es ist mir ziemlich egal, mit wem Sie ihre Freizeit verbringen. Freund, Freundin. Das geht mich eigentlich auch nichts an.“

      Sollten jemals Zweifel daran bestanden haben, ob meine Nachbarin uns beim Sex gehört hat, sind sie jetzt ausgeräumt. Ich bin ihr dankbar, dass sie diesen kurzen, peinlichen Moment einfach übergeht.

      „Aber klopfen Sie einfach mal bei Herrn Schmidt. Sicher sind die Postkarten für ihn bestimmt.“

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