Franjo Franjkovic

Sommerberg


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Lächeln, dem ich noch nie einen Wunsch abschlagen konnte.

      „Komm schon. Lass es mich sehen.“

       3

      Mein Atelier ist ein heilloses Durcheinander. Auf den Arbeitsflächen türmen sich Pinsel, Leinwände, Mischpaletten mit eingetrockneten Farbresten. Gegenüber der breiten Fensterfront steht die Staffelei mit dem Bild, an dem ich jetzt bereits seit Monaten arbeite.

      Marion hält davor inne, ihre Augen weiten sich, ihr Mund steht offen. „Es... es ist wunderschön.“

      Das Bild zeigt einen ruhigen Gebirgsbach, der sich in jahrtausendelanger Arbeit ein flaches Bett in den Wald gegraben hat. Er schlängelt sich träge um einen großen Felsen herum, in dessen Schatten wilde Blumen wachsen. Sattes Gras am Ufer. Myriaden kleiner, glitzernder Sterne auf der Wasseroberfläche, Reflexionen des durch die Bäume scheinenden Sonnenlichtes. Das hohe Gras ist an einigen Stellen etwas eingedrückt, Spuren eines Tieres vielleicht.

      Marion geht näher heran, betrachtet jedes Detail. Ihre Augen leuchten vor kindlicher Freude, während ich nur mit vor der Brust verschränkten Armen dastehen kann. Das ungute Gefühl, das ich jedes Mal beim Betrachten des Bildes habe, holt mich auch jetzt wieder ein.

      „Irgendetwas ist nicht richtig. Ich kann es fühlen.“

      Aber Marion schüttelt den Kopf.

      „Nein. Es ist perfekt. Glaub mir.“

      Sie dreht sich zu mir herum, küsst mich auf die Stirn.

      „Absolut perfekt.“

      Sie nimmt mich in den Arm, aber ich kann die Umarmung nicht erwidern, das ungute Gefühl hält mich gefangen. Marion spürt, wie unangenehm mir die Situation ist und dreht sich wieder zu dem Bild um, als ihr plötzlich etwas aufzufallen scheint.

      „Warte mal.“ Sie betrachtet ein winziges Detail.

      „Was ist das denn? Soll das ein Fisch sein? Oder ein Blatt?“

      Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, wovon sie redet.

      „Hier. Im Wasser des Bachs.“

      Sie deutet auf einen kleinen roten Flecken im Wasser und ich zucke zusammen, einen leisen Fluch auf den Lippen.

      „Verdammt, verdammt, verdammt!“

      Ich gehe sofort zu der an der Wand angebrachten Arbeitsfläche, auf der schmutzige Pinsel, kleine Schälchen mit trübem Wasser und einige Tuben mit Farbe wild durcheinander liegen. In dem heillosen Durcheinander eine kleine, lächelnde Buddhafigur, eine kleine Porzellankatze. Nippes. Ich greife mir einen der Pinsel, eine der Farbdosen, ein beruhigendes Azurblau im Inneren. Sofort beginne ich, den roten Fleck zu übertünchen.

      „Sarah, was ist denn los?“

      Ich fluche lautlos, den kleinen Fleck bekämpfend.

      „Das gehört da nicht hin. Bist Du vielleicht aus Versehen mit Deiner Hand dran gekommen?“

      Marion hebt entschuldigend die Hand, aber ihre Wunde ist sauber verarztet, kein Tropfen Blut zu sehen.

      „Ich habe es nicht angerührt. Aber man sieht den Fleck ja schon nicht mehr.“

      Sie zieht mich an sich heran, ich zittere am ganzen Körper, kann mir selber nicht erklären, weshalb dieser kleine Schmutzfleck mich so aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Marion sieht mir in die Augen.

      „Hey, beruhig´ Dich. Das kann doch immer mal passieren. Eine kurze Schrecksekunde, nichts weiter.“

      Ich atme tief durch, versuche meinen Puls und meine vibrierenden Nerven zu beruhigen.

      „Es ist perfekt, Sarah. Es fehlt bestimmt nichts.“

      Sie lächelt mich an. Strahlend und versöhnlich. Ich versuche, das Lächeln zu erwidern, aber es mag mir nicht gelingen.

      „Ja. Vielleicht hast Du recht.“

      Sie drückt meine Hand, küsst mich kurz auf die Wange.

      „Warte hier.“, flüstert sie mir ins Ohr.

      Sie verlässt das Zimmer, ich höre sie in der Küche die Schranktüren öffnen, aber ich kann nichts anderes tun, als stumm das Bild anzustarren. Marion hat nicht recht. Es ist nicht perfekt. Es ist noch nicht einmal fertig. Und die Angst, es niemals wirklich vollenden zu können, kriecht langsam meine Wirbelsäule hinauf, macht mir eine Gänsehaut und lässt mich schaudern.

      Marion kommt zurück, eine Flasche Sekt und zwei Gläser unter den Arm geklemmt. Ihre Augen strahlen vor Freude. „Bist Du soweit?“

      Ich nicke, obwohl ich es nicht bin. Aber sie braucht es nicht zu wissen.

      „Ja.“

      Mit zitternder Hand beuge ich mich zu dem Bild hinab und hinterlasse mit dem Pinsel feine Linien in der rechten unteren Ecke meiner Arbeit.

      Ein geschwungenes „S“, ein stilisiertes „B“.

      Marion lässt den Sektkorken knallen und beginnt sofort die Gläser zu füllen, reicht eines an mich weiter, hebt ihr eigenes.

      „Auf die beste Künstlerin der Welt!“

      Sie grinst über das ganze Gesicht. Ich zögere einen Moment, proste ihr dann aber auch zu.

      „Auf die beste Frau der Welt.“

      Sie küsst mich, presst ihre Lippen auf meine, ich spüre ihre Hand um meine Taille. Das „Ich liebe Dich“, das sie mir ins Ohr haucht, verfliegt im Raum, bevor es mein Gehirn erreicht. Sie wandert mit ihren Lippen langsam nach unten, meinen Hals hinab, ich stöhne ganz leise, denn ich habe wieder eine Gänsehaut, nur dieses Mal aus anderen Gründen.

      Sanft drückt sie mich gegen die Arbeitsfläche, ihre Lippen wandern weiter meinen Körper hinab, sie zieht mein Shirt nach oben, küsst zärtlich meinen Bauch.

      Sie weiß, wie sie meine singenden Nerven beruhigen kann, hat es schon immer gewusst und ich bin ihr unendlich dankbar dafür, dass ich nicht mehr an das Bild denken muss. Das unvollendete.

      Ich spüre, wie ihre Hände die Knöpfe meiner Jeans öffnen, ihre Zunge meinen Bauchnabel umspielt und ich lehne mich lächelnd zurück, wissend, dass ich so hart kommen werde, wie seit Monaten nicht mehr.

       4

      Ich schlüpfe gerade noch durch die sich schließende Haustür hinein, vollbepackt mit Einkaufstüten und stolpere beinahe in den Flur. Jemand packt mich am Arm und verhindert so einen Sturz. Ich blicke auf, sehe in ein freundliches Augenpaar.

      „In meinem Job erlebt man ja so einiges, aber dass jemand so scharf auf seine Post ist, habe ich auch noch nicht gesehen.“

      Mein Postbote. Ende 20, wirres Haar, ein gutaussehender Bursche.

      Ich stelle die Tüten ab und lächele ihn verlegen an. „Sie schickt der Himmel...“, ich senke die Stimme, flüstere ihm verschwörerisch zu.

      „...ich habe nämlich meinen Briefkastenschlüssel verloren.“

      Er grinst breit. „Schon wieder?“

      Ich lächele ertappt und er greift ohne Umschweife in seinen Umhängebeutel, zieht einen kleinen Stoß Briefe heraus und drückt ihn mir in die Hand.

      „Ich war sowieso noch nicht so weit. Weiß denn Ihr Hausmeister Schmidt schon von dem Missgeschick?“

      Ich schüttele heftig den Kopf und lege sofort mit einer übertrieben theatralischen Geste den Zeigefinger vor den Mund.

      „Psst! Er kennt die Version der Wahrheit, die ich ihm erzählt habe. Könnte aber sein, dass die gar nicht wahr, sondern ein bisschen gelogen war.“

      Er nickt wissend. „Na dann, viel Glück bei der Suche. Ich möchte auf jeden Fall nicht in Ihrer Haut stecken, falls der Schlüssel nicht