Jo Caminos

Tempus Z


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niemand auf unsere Funksprüche. Es irritierte uns auch, dass keiner der Crew auf dem Rollfeld erschienen war, um uns zu begrüßen, nachdem wir gelandet waren. Das war atypisch. Die Besatzungen von exponierten Außenstationen waren immer froh, wenn jemand zu Besuch kam, und standen in der Regel Spalier. Viele freuten sich normalerweise auf ein Schwätzchen oder auf eine Runde Whisky oder was auch immer. Aber hier war alles anders. Nur der kalte Wind begrüßte uns und peitschte eisige Schneewehen über die Ebene, huschte um die Wohnkomplexe und Forschungseinrichtungen. Der moderne Bohrturm, der in einiger Entfernung zum Hauptkomplex hochgezogen worden war, glitzerte Chromfarben in der Morgensonne, die Schneemobile standen ordentlich in Reih und Glied.

      In geschlossener Formation drangen wir zur Schleuse vor, die Waffen im Anschlag, die Techniker, die für die Bohrproben verantwortlich waren, hinter uns.

      Wir wussten nicht, womit wir zu rechnen hatten. Zudem waren die Techniker und Wissenschaftler, die uns begleiteten, nicht unbedingt von unserer militärischen Vorgehensweise begeistert. Offen gestanden erschien es auch mir etwas übertrieben, hier in der menschenleeren Antarktis mit der Waffe im Anschlag in einen zivilen Forschungskomplex einzudringen. Aber wir lebten in Zeiten des Öko-Terrorismus. In dieser Welt des Wahnsinns musste man heute wohl mit allem rechnen - auch an den unmöglichsten Orten.

      Wir kannten die Blaupausen der Station und waren ordentlich gebrieft worden. Es dauerte nicht lange, dann standen wir im Verteilerraum, der zu den Labors und den Wohntrakten führte. Noch immer hatte sich keiner der Besatzung blicken lassen. Es herrschte Stille, niemand reagierte auf unsere Rufe. Die technischen Einrichtungen schienen das Einzige zu sein, was hier noch lebte. Irgendwo blinkten LEDs, dann rauschte irgendwo Wasser in den Leitungen und ein Lüfter schaltet sich ein.

      Kein Lebenszeichen, nichts.

      Der Chief gab uns kurz Zeichen, uns aufzuteilen und auszuschwärmen. Die Crew musste hier irgendwo sein. Niemand geht in der Antarktis einfach mal so raus zum Pinkeln, abgesehen davon waren die Schneemobile vollzählig vorhanden gewesen.

      Plötzlich zerriss ein Schrei die Stille. Jackson, der neu im Team war, war ans Ende des Flurs gegangen und an einer Tür mit einer großen, runden Glasscheibe stehen geblieben, durch die er in den dahinter liegenden Raum sehen konnte. Es war der Gemeinschaftsraum. „Mein Gott“, stieß er hervor. Wir eilten zu ihm, die Waffen im Anschlag. Die Techniker blieben abwartend stehen.

      Ich hatte schon vieles gesehen. Aber selbst die von einer Mine zerfetzten Leiber im Irak waren nichts gegen das, was hier am Boden lag. Es konnte sich nur um die Wissenschaftler und Techniker der Besatzung handeln, das bezweifelte ich keinen Moment. Aber ich hatte noch nie Menschen gesehen, die aussahen, als hätte jemand an ihnen herumgefressen. Blut, unglaublich viel Blut. Gedärme, Innereien. Es war unglaublich.

      Der Chief machte über Satellitentelefon Meldung an die Basis. Wir anderen mussten uns wohl oder übel an die Arbeit machen und die Leichen bergen. Einer von uns, ich weiß nicht mehr, wer es war, meinte, wir sollten die Leichen draußen im Eis beerdigen, doch der Chief lehnte ab. Zum einen war der Boden knüppelhart durchgefroren, zum anderen sollten die Leichen, oder das, was von den Menschen übrig war, zur Autopsie nach Spitzbergen mitgebracht werden. So lautete die Anweisung der Leitstelle.

      Leichensäcke wurden von Bord geholt, und irgendwann waren wir mit der Arbeit fertig. Unglaubliche Mengen an Desinfektions- und Reinigungsmitteln waren aufgebraucht worden, aber wenigstens stank es nicht mehr so eklig nach Leichengeruch und Fäkalien. Unsere Stimmung war gedrückt. Die elektronischen Logbücher gaben keinen Rückschluss darüber, was sich hier ereignet hatte. Es gab einen letzten Eintrag des Stationsleiters, der jedoch auch nicht weiterhalf. Der Mann lächelte in die Kamera und berichtete von einer Party, die am Wochenende stattfinden sollte: Einer aus der Mannschaft hatte Geburtstag. Er würde 50. Das Ereignis sollte groß gefeiert werden. Der Rest waren Routineeinträge: Tageslogbücher, Hinweise zu den letzten Bohrungen, Wetterstatistiken, andere Auswertungen - aber nichts, was darauf hinwies, dass sehr bald eine Katastrophe über die Besatzung hereinbrechen sollte.

      Die Techniker machten sich an die Arbeit, die gewonnenen Bohrkerne für den Transport vorzubereiten. In vier Wochen hätte eine neue Mannschaft nach Antarktika III eingeflogen werden sollen. Ich bezweifelte zu diesem Moment, dass es dazu kommen sollte.

      Gegen 21:00 Uhr versammelten wir uns im gereinigten und desinfizierten Gemeinschaftsraum. Die Stimmung war nicht nur gedrückt, sie war gelinde gesagt mies. Und sie sackte noch um einige Grade nach unten, als der Chief durchblicken ließ, dass wir alle in Quarantäne sollten, bis der Zwischenfall hier geklärt sei.

      Unsere Einheit bestand aus verschiedenen Freiwilligen verschiedener Nationen, und ich fragte mich, wohin sie uns bringen würden. Alles, was der Chief durchblicken ließ, war, dass es auf Ramstein Air Force Base einen Zwischenstopp geben würde. Wahrscheinlich würde man uns dort trennen. Wir Amerikaner würden in die USA umgeleitet werden, die Jungs aus Norwegen und Finnland in ihre entsprechenden Länder. Wir konnten nur ahnen, was danach kam.

      Einige der Männer murrten. Keiner ging gerne in Quarantäne. Und nach Kampfstoffen, Toxinen oder Ähnlichem sah das hier auch nicht aus - eher nach dem gewaltigsten Lagerkoller aller Zeiten mit extrem blutigem Ende.

      Es wurden Luftanalysen durchgeführt, uns wurden Blutproben entnommen, doch auch all dies ergab im Endeffekt nur eines - nämlich nichts. Wir atmeten die reinste Luft, die man sich nur vorstellen konnte, und unsere Fitnesswerte lagen weit über der Norm.

      Die Leitstelle wollte, dass wir zwei Tage warteten und uns dann auf den Rückweg machten. An diesem Abend hatten die Jungs noch nicht einmal Lust auf den vom Chief spendierten Whisky. Bald legten wir uns aufs Ohr.

       Eintrag V - Ice Core Scientific Facility Antarktika III

      21:00 Uhr Ortszeit

       Wie hatten wir das nur übersehen können?

      Ich greife vor, aber ich bin innerlich aufgewühlt. Und das ist noch gelinde ausgedrückt. Die Männer und Frauen der Station, diese zerstückelten, zerfressen wirkenden Menschenleiber, waren nicht alle tot gewesen.

      Ich kann es einfach nicht begreifen.

      Jackson war am frühen Morgen im Flugzeug gewesen. Er sollte im Laderaum einige Werkzeuge holen. Als er zurückkam, sollte sich unser Weltbild von einem Moment auf den anderen für immer ändern.

      Jackson war am Arm verletzt. Irgendetwas hatte ihn gebissen. Die Wunde war tief und blutete stark. Einer der mitgeflogenen Ärzte kümmerte sich sofort um ihn. Jackson stand unter Schock. Er stammelte wirres Zeug, und kurz darauf brach das Chaos aus, als eine der Leichen aus dem Flugzeug unbemerkt durch die Schleuse trat, die Jackson in seiner Panik wohl hatte offenstehen lassen. Das Ding schlurfte durch den Verteilerraum und gab grunzende, stöhnende Laute von sich. Schreie ertönten. Es schien sich um eine Frau der alten Stammbesatzung zu handeln, aber so ganz sicher war ich mir nicht, als ich sie - oder es - erblickte. Rodriguez, der Senior im Team packte die Frau an den verstümmelten Armen und warf sie zur Seite. Der Kiefer dieses Dings schnappte wie wild. Ihr Kopf ruckte giftig nach vorne.

      Sie will beißen!, durchfuhr es mich.

      Das Ding rappelte sich auf und schwankte auf Rodriguez zu, der seine Waffe zog, doch der Chief kam ihm zuvor. Er war schneller und schoss der Frau in das linke, mehrfach gebrochene Bein. Doch das Ding reagierte überhaupt nicht. Das Etwas grunzte und krallte die seltsam verformten Hände zu Klauen. Der Kiefer schnappte wilder, die seltsamen Laute klangen wütender.

      Rodriguez zielte auf ihre Stirn. Er warf dem Chief einen schnellen Blick zu, der zustimmend nickte - und Rodriguez drückte ab. Der Schuss riss den Kopf der Frau nach hinten. Blut und Hirnmasse spritzten gegen die Wand. Dann endlich sank das Ding zu Boden und blieb regungslos liegen. Und auch der Kiefer hatte endlich aufgehört, sich zu bewegen. Das seltsame Schnappen war vorbei.

      Wir standen schweigend und ratlos um den Korpus der Frau, die wir alle nur noch als Ding betrachteten. Ich konnte am Blick der Gefährten erkennen, dass sie genauso dachten ...

      „Fast als wäre sie tollwütig ...“,