Limbo Donut

Krustenbraten-Casanova


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Idee, kurz einen Abstecher in den Bungalow zu machen, um zu checken, ob die „Grrederin“ vielleicht sogar geantwortet hatte. Ich hatte Lust auf Schnaps.

      Und der floss während der Show der Animateure ordentlich. Während der Sonnengott und seine Kollegen sich beinahe zwei Stunden lang die Seele aus dem Leib spielten und sangen, tranken Bert, Pablo, Lukas, Hannes und ich – Pascal war scheinbar noch auf/unter/hinter/neben Kerstin – uns die Zellen aus dem Gehirn. Die Folge war, dass wir gegen 22.30 Uhr tatsächlich die Gesichtszüge des „Phantoms der Oper“ angenommen hatten – ohne Maske, versteht sich.

      Schwer angestrengt und mit zugekniffenem, linken Auge, versuchte ich, dem Geschehen zu folgen. Der Sonnengott und Konsorten hatten sich unter stehenden Ovationen verabschiedet. Nun erklomm ein massiger und ziemlich großer Enddreißiger die Bühne. Sein unweigerlich komischer, weil für die dürren Stelzenbeine viel zu breiter Körper steckte in einem ungebügelten Hawaiihemd. Den blondierten Haarschopf hatte er mit einem Pfund Gel zum Nachbau eines klobigen Bügeleisens geformt. Die fleischigen Unterarme und sein Gesicht reflektierten die Scheinwerfer der Bühne – der Typ war krebsrot. Er musste mit Uli Hoeneß verwandt sein oder indianische Vorfahren haben. Nachts konnte er unmöglich an einer Straße entlanglaufen. Er würde Massenkarambolagen verursachen, weil die Autofahrer sein sonnengegerbtes Haupt aus der Ferne für eine rote Ampel halten würden.

      Seine Haut legte noch ein paar Farbnuancen drauf, denn er holte tief Luft und grölte: „Liiieeebe Punta-Gästeeeee! Willkooooommeeeeeen beim allabendlichen Waaaaaaahnsiiiiinn hier im Club-Punta-Araaaaabiiiiiii!“ Betrunken-amüsiert verfolgte ich, wie er die Menge ein ums andere Mal be-michaelbufferte. Beispielsweise mit Meinungsforschung zum „Phantom der Oper“ ­– „Wir sind der Meinung, das war spiiitzeeeee“. Oder mit seiner Erklärung, was in dieser Woche im Club an Parties und sonstigen Events anstand ­– „In drei Tagen heißen wir euch herzlich Willkommen zu unserer Piiiraaaaatenfaaaaahrt.“ Oder einfach nur ­– „Apppllllaaaauuuuuuusssssss!“ Martin, der Ani-Chef, so stellte er sich zwischen seinen Ansagen vor, hielt die Leute bei Laune. Und wenn ihm ein paar Tische stimmungsmäßig doch einmal zu entgleiten drohten, so half der Klassiker: Animation zum Trinken durch dämliche Trinksprüche. „Wir trampeln durchs Getreide, wir trampeln durch die Saat, hurra, wir verblöden, für uns bezahlt der Staat“ aus „Werner. Beinhart“ war noch der beste. An unserem Tisch kamen seine Kalauer trotzdem gut an.

      Nachdem er sich von Zinnoberrot in ein ungesundes Pink gegrölt hatte, fiel ihm offenbar noch etwas Wichtiges ein: „Sooooo, liiiieeebeeee Puntaaaaaas! Bevor die Party im Punta Paaaaalace weitergeeeeeeht, kommen wir noch zur Siegerehrung unseres Volleyyyyyybaaaaaaall-Tuuuurniiiiieeeers!“ Hintereinander bat der blondierte Ani-Chef die Teilnehmer des nachmittäglichen Turniers nach oben und überreichte ihnen Urkunden, Getränkegutscheine für die Clubdisco „Punta Palace“ und was sonst noch so auf der Prämienliste stand. Bis er zum Siegerteam kam. Bereits zum zweiten Mal rief er: „Wo sind unseeeeeeere Gewinneeeeeeeeer? Das Team Siiiiiiiixpaaaaaack!“ Keiner erhob sich. Martin, mittlerweile schweißüberströmt und mit speckig glänzender Stirn, setzte erneut an: „Zweihundert Euuuuroooo für unsere Gewinneeeeeer im Punta Pala...“

      „Hier, hier bin ich!“ Hannes unterbrach Martin, stand auf und wackelte auf die Bühne. Irritiert sah ich zu Pablo, doch der zuckte nur mit den Schultern.

      Hannes schwankte auf Martin zu und klatschte mit ihm ab. Der Ani-Chef schien ungläubig. „Wo sind denn deine Mitspieler?“

      „Die sind noch in Ibiza-Stadt. Ich habe ihnen ja gesagt, dass sie es nicht mehr rechtzeitig zur Siegerehrung schaffen, wenn sie noch auf Sightseeing-Tour gehen. Aber naja, wollten ja nicht hören, die Nasen.“ Augenscheinlich froh, dass er nicht weiter nach den Gewinnern suchen musste, sparte sich Martin weitere Nachfragen. Hannes' Bluff funktionierte. Ich war bereits voller Vorfreude auf eine erste Gratis-Party-Nacht im Punta Palace.

      „Für unsere Volleyball-Craaaaaacks, ein Zweihundert-Euro-Gutschein für unsereeeee Club-Diiiiiscoooooo“, brüllte Martin ins Mikro und überreichte Hannes ein weißes Briefchen.

      „Hey, der Arsch klaut unsere Kohle!“ Ein schmieriger Typ mit Pilzkopf-Frisur unterbrach den Applaus für den unrechtmäßigen Sieger des Punta-Arabi-Volleyball-Turniers. Er und vier weitere Kerle vom Typ BWL-Student standen kopfschüttelnd neben der Bühne.

      Martin blinzelte: „Wie?“

      „Na, wir sind Sixpack. Das ist unser Gutschein“, protestierte der Pilzkopf. Seine Studienfreunde, die er bestimmt in einem Tutorium für EU-Vertragsrecht kennengelernt hatte, nickten heftig.

      „Und der da gehört nicht zu euch?“

      „Nein, der doch nicht“, antwortete der Pilz und die künftige mittlere Verwaltungsebene von Pricewaterhouse-Coopers schüttelte die Köpfe. Verdammt! Das hatte ja schiefgehen müssen. Die vielen, schönen Gratis-Drinks...

      Der Pilzkopf und sein Gefolge kletterten auf die Bühne, holten sich ihren Gutschein samt Urkunde ab und verschwanden. Hannes dagegen versuchte, sich unbemerkt aus dem Rampenlicht zu stehlen. Vorsichtig tippelte er rückwärts Richtung Vorhang. Doch Martin ließ ihn nicht entwischen.

      „Moment, hiiieeeergebliiiiieeeeeben.“ Der Ani-Chef packte Hannes am Unterarm. „Netter Versuch“, grinste er. Hannes zuckte nur entschuldigend die Achseln.

      Treudoof blickte er Martin an und schwieg. Der wandte sich ans Publikum. „Was meint iiiihhhhr, Puuuuntaaaaas? Hat er nicht eine Strafe veeeeerdiiiiieeeeeent?“

      „Jaaaaaa“, johlten die Zuschauer.

      „Uuuuund welche Straaaaaafe solls denn seeeeeeiiiiiin?“

      Ich erwartete Unschlüssigkeit beim Publikum. Musste Hannes nun einen Schnaps trinken? Oder würde er des Clubs verwiesen? Eine Lokalrunde? An den Eiern aufhängen? Im Augenwinkel sah ich, dass dort, wo gerade eben noch der BWL-Pilzkopf gestanden hatte, Pascal das Spektakel mit Kerstin im Schlepptau beobachtete. Jokernd suchte er nach uns. Als er uns erspähte, blickte er fragend. Ich schüttelte den Kopf und verbarg gespielt beschämt mein Gesicht hinter den Händen.

      Zwei Tische rechts von uns stimmte ein kahlrasierter Bodybuilder in tiefstem Sächsisch an: „Näiked Wolk! Näiked Wolk!“

      Das sollte wohl „naked walk“ heißen – und wurde sofort von der Menge im Stakkato übernommen.

      „Na-ked-walk-na-ked-walk“, dröhnte es.

      Der arme Hannes. Martin, dessen Hautfarbe sich inzwischen wieder zu einem halbwegs menschlichen Rosa verändert hatte, legte den Kopf schief und presste die Lippen zu schmalen Schlitzen aufeinander, als wolle er sagen: „Tja, du weißt, was du zu tun hast.“ In Hannes' bangem Blick erkannte ich, dass es ihm tatsächlich bewusst wurde.

      Langsam und bedächtig, fast wie ein Magier, öffnete mein Kumpel die Knöpfe seiner Hose. Ein ausgesprochen hässliches, aus der Mode gekommenes Stück mit vorne Jeans und hinten hellem Cordstoff. Grässliches Ding. Er ließ die Hosenbeine betont lasziv sinken und offenbarte einen weißen Schlüpfer. Keine Boxershorts, nein. Einen weißen Feinripp-Liebestöter. Mit Seiteneingriff! Da er das Johlen der Zuschauer offenbar richtig deutete, riss er die Unterhose wesentlich schneller nach unten, als das Cord-Jeans-Massaker zuvor. Hannes ging in die Hocke, dann watschelte er los.

      Sein Penis baumelte über seiner in den Knien hängenden Hose. Das etwas zu lange violette Knitterhemd gab immer nur dann, wenn er einen Fuß hob, freies Sichtgeleit auf... naja... Das Publikum tobte! War das nachgespielte Phantom der Oper schon ein Erfolg gewesen, so toppte die Zugabe das noch deutlich: Der watschelnde Exhibitionist. Ein Brüller.

      Als Hannes bereits einmal quer über die Bühne gelaufen war, passierte es. Er zollte unserem exorbitanten Durst des ersten Tages Tribut, verlor das Gleichgewicht und kippte nach hinten. Da lag er nun. Rücklings. Mit gespreizten Beinen, einem Grinsen auf den Lippen und nackt. Der Applaus war unerträglich laut.

      Binnen zwölf Stunden im Club hatten wir es geschafft: Nach unserem Polonaise-Auftritt am Pool, dem Versuch, einen Gutschein für das Punta Palace unrechtmäßig zu erhalten und Hannes' unfreiwilligem Strip waren die Bamberger Jungs clubbekannt.

      Das