Limbo Donut

Krustenbraten-Casanova


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und ein bereits heftig lallender Hannes hatten sich mit bunten Berentzen-Flaschen eingedeckt. Das roch, und zwar nach einem gekotzten Regenbogen.

      Zweieinhalb Stunden später war von Hannes' Trunk nichts mehr übrig. Und von Hannes selbst ebensowenig. Nachdem der Kapitän uns sicher auf ibizenkischen Boden gebracht und das Klatschen der Passagiere über sich hatte ergehen lassen – ich bin mir im Übrigen sicher, jeder Pilot, der etwas auf sich hält, schämt sich für den frenetischen Applaus nach geglückter Landung – entgurteten wir Hannes' Reste von Sitz 21 A. Lukas und Bert hängten seine Arme über ihre Schultern und zogen ihn aus dem Flieger. Seine nackten Zehen schleiften erst über den rauen Teppich im Gang der Boeing, dann über die blechernen Stufen der Treppe und schließlich über die kalten Fliesen am Aeropuerto Eivissa. Den sabbernden Hannes störte diese Tortur wenig.

      Während Lukas und Bert ihn unter Stöhnen zum Gepäckband zerrten, musste ich an Anasthasia denken. Was würde ich mich hier ausvögeln! Und dann ausgevögelt vor ihr stehen, wenn die „Grederin vom Studiern“ wiederkam, um sich in den Semesterferien wieder etwas nebenbei zu verdienen. Und dann?

      Sollte ich ihr sagen: „Hey, ich hab mich ausgevögelt!“ Oder: „Jetzt bin ich bereit für dich!“

      Das klang beides wenig charmant und wurde einer Frau wie ihr nicht gerecht. Ich musste mir eingestehen, dass mein Plan diesbezüglich noch Schwächen hatte. Ich musste subtiler vorgehen. Und ich wusste auch schon, wie ich das anstellen sollte.

      „Hehehe“, vergnügt rieb ich mir die Hände.

      Unterdessen kam Pascal um die Ecke. Er hatte fix einen Gepäckwagen besorgt, denn die ersten Koffer von Flug 5627-DE rollten bereits an.

      Da ich meine braune, abgewetzte Adidas-Ledertasche noch nicht unter den Reise-Trolleys auf dem schwarzen Gepäckband entdeckte, beschloss ich, meinem gredischen Masterplan ein weiteres, geniales Mosaiksteinchen hinzuzufügen. Ich packte Pablo, der mir am nächsten stand, am Arm. „Pablo!“

      „Ja?“ Seine blauen Augen blickten mich fragend an. Fast schon unverschämt stechend hoben sie sich von seiner halbkolumbianischen, perfekt gebräunten Haut ab.

      Ich nestelte mein Handy aus der Tasche, zeigte auf ein Schild neben dem Band, auf dem „Bienvenidos a Eivissa“ stand, und sagte: „Mach mal ein Foto von mir neben dem Schild.“

      Lässig lehnte ich mich an das gelbe Plastik, hob den Touristen-Daumen und grinste in die Kamera meines Handys. Klick. Pablo reichte mir das Telefon. Ich sah mir das Bild an. Wunderbar! Noch während ich in den Optionen nach „Bild als MMS senden“ suchte, drängte schon wieder ein unangenehmer Gedanke in mein von scheinbar bestialischer Genialität besoffenes Gehirn.

      Jetzt, nach Wochen des Aus-dem-Weg-Gehens ein Foto aus Ibiza an Anasthasia zu schicken – wie würde sie das aufnehmen? Als Provokation? Amüsiert? Nein. Sie würde es sofort als verzweifelten und stümperhaften Versuch enttarnen, sie eifersüchtig zu machen. Wieder meldete sich mein Gehirn: Dann schick es doch an dein ganzes Telefonbuch und schreib so nen Satz wie „Grüße an euch alle“. Dann denkt sie, dass du ganz einfach Urlaubsgrüße an deine kompletten Mobilkontakte geschickt hast. Sie würde es für Zufall halten, dass auch sie das Foto bekommen hat.

      Ich grinste. Was war ich nicht für ein toller Hecht! Gehirn 1, Dummheit 0. Endlich würde sich mein viel zu teurer Handytarif, der es mir erlaubte, Multi-Media-Mitteilungen für schlappe 19 Cent zu verschicken, rentieren. Die paar Kröten kann man schon mal in seine große Liebe investieren.

      Ich tippte noch ein „Saludos de Eivissa! Grüße an euch alle von der Sonneninsel Ibiza“ in das Textfeld. Option „an alle“. „Senden.“ Ein kleines Briefchen schloss sich langsam auf meinem Display.

      Pablo, der mir die ganze Zeit über die Schulter geschaut hatte, stieß ein langgezogenes „Pfffffff“ aus.

      Fragend blickte ich ihn an.

      „Du weißt schon, was eine MMS kostet?“

      „Ich hab nen supergünstigen MMS-Tarif. 19 Cent.“

      „Auch im Ausland?“

      „Macht das einen Unterschied?“

      Statt einer Antwort erntete ich nur einen mitleidigen Blick. Langsam begriff ich. Vorsichtig fragte ich: „Was kostet denn so eine MMS normalerweise? Also, aus dem Ausland, meine ich.“

      „Naja“, druckste er herum. „Normalerweise 1,59 Euro. Aber aus dem Ausland wird das bestimmt teurer. So 2,50 oder 3 Euro bestimmt.“

      Er hatte das ganz lapidar gesagt, doch in meinem Kopf sprang der Taschenrechner an. Auf meinem Handy befanden sich gut und gerne 250 Kontakte. Inklusive ADAC-Pannendienst, Mailbox, diversen Hotlines, und, und, und. Die würden sich jetzt wahrscheinlich ebenso sehr über meine unerwarteten Urlaubsgrüße wundern, wie sich meine Verwandtschaft freuen würde. Grob überschlug ich: 2,50 mal 250. Macht 625 Euro.

      „Glückwunsch“, murmelte ich. Gehirn 0, Mobilfunkanbieter 1, Geldbeutel minus 625.

      Noch bevor ich mein erstes, ibizenkisches Bier aufgemacht hatte, hatte ich im Prinzip mein komplettes Budget aufgebraucht. Und das nicht für eine großartige Party, sondern für eine völlig dämliche Massen-MMS. Ich drückte mit roher Gewalt den Aus-Knopf meines Mobiltelefons und die Bildschirmleuchte erlosch. Ich hatte keine Lust mehr, an diesen Fehlschlag erinnert zu werden. Das mit dem Geld würde ich irgendwie zuhause klären müssen, notfalls durch Sonderschichten im Shooters.

      „Hey, deine Tasche!“ Lukas weckte mich aus meinem Schockzustand. Er pfefferte mir das Lederteil in die Seite. Auf dem Gepäckwagen hatten Bert, Pascal und er bereits einen ansehnlichen Berg aus Taschen, Koffern und Trolleys gestapelt. Oben drauf lag Hannes, der alle Viere von sich streckte. Ich wuchtete meine Tasche neben ihn, was ihn weckte.

      Hannes deutete mit seinem rechten Zeigefinger auf das Band. „Hol-ma-einä-mein-Koffä-runtä“, lallte er.

      Lukas tat, wie ihm befohlen und stellte Hannes' Gepäck ächzend auf den letzten, freien Fleck des Wagens. Wir schoben den hoffnungslos überladenen Roller Richtung Ausgang. Ganz oben räuselte Hannes schon wieder. Wie eine nach Schnaps stinkende, schnarchende Cocktailkirsche thronte er auf unseren Klamotten.

      Fünf Tage zuvor, Tag eins: Rasterfahndung

      „Club Punta Arabi“ prangte in retro-90er Neongrün auf dem gelben Bus, der etwa 50 Meter rechts von der Ankunftshalle des Flughafen Eivissa stand und stark an einen ausrangierten US-Schulbus erinnerte. Die Farben der Buchstaben stachen so grell hervor, dass sie wahrscheinlich auch ein an grauem Star erkrankter Greis in einem Seesturm der Stärke zehn auf 100 Meter hätte entziffern können. Komplettiert wurde die Unauffälligkeit in Gelb von blinkenden Lichterketten in den Seitenfenstern und bunten Papierschlangen am oberen Rand des Fahrergehäuses. Als ich mir Hannes' Zustand vor Augen führte, begriff ich den Sinn, der hinter diesem fast schon karnevalesken Auftritt steckte: Offenbar kamen nicht wenige Punta-Gäste dermaßen verstrahlt auf der Insel an, so dass sie mehr als deutliche Wegweiser benötigten, um nicht in das falsche Transportmittel zu steigen.

      Glücklicherweise nahmen wir Hannes die Navigation ab. Er schnarchte ziemlich laut, als wir ihn mitsamt Gepäck unsanft über die Fahrbahn schoben. Über die „topes“, die verkehrsberuhigenden Bodenwellen auf der Straße, wuchteten wir ihn immer mit ein bisschen Anlauf, so dass Hannes auf unseren Koffern hüpfte. Einige Passanten zeigten mit dem Finger auf unseren Wagen. Zurecht, wie ich fand. Wir waren noch nicht einmal im Club angekommen, und Hannes machte schon schlapp.

      „Das kann so nicht weitergehen.“ Kopfschüttelnd wendete ich mich Pascal zu. Er nickte. Ich drehte mich um und bedeutete ihm, meinen Rucksack zu öffnen. Pascal zog eine gelbe und eine rote Berentzen-Flasche heraus, beide halbvoll. Wir schraubten die Deckel ab, prosteten uns zu und tranken.

      Nur noch ein „tope“, dann hatte es Hannes zu unserem Bus geschafft. Pablo und Bert schoben unsere Koffer-Schnapsleichen-Pyramide weiter, während Lukas sie immer wieder zur Vorsicht mahnte: „Achtung. Passt doch auf! Wenn der runterfällt.

      Das