Limbo Donut

Krustenbraten-Casanova


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Trottel! Ich bin längst ausgestorben, aber so blöd wie du, in einem Schlauchboot zu pennen, war ich zu Lebzeiten nie.“

      Um mich der kuriosen Situation nicht sofort stellen zu müssen, lege ich mich wieder auf den Rücken. Die Arme presse ich dabei an meinen Körper. Er ist unbekleidet, wie ich mit einem Blick nach unten feststellen muss. Gänzlich unbekleidet. Das einzige, was sich neben meinem von der ibizenkischen Sonne gebräunten Körper – Ausnahme der weiße Streifen zwischen Hüfte und Oberschenkel – in dem Drachen-Schlauchboot befindet, sind ein blaues Feuerzeug und eine Schachtel Lucky Strike. Ich schließe die Augen und versuche, das Schwanken des Bootes den Nachwirkungen des vorabendlichen Alkohols zuzuschreiben. Das klappt solange, bis ein Plätschern an mein Ohr dringt. Plitschplatsch, plitschplatsch, plitschplatsch. Seufzend richte ich mich wieder auf.

      An den Luftkammern meines Schlafgemachs lecken kleine, hellblaue Wellen. Immer, wenn sie an der dünnen Gummihaut brechen, bilden sich ganz kurz kleine weiße Schaumkronen, die in Zusammenarbeit mit der Sonne nach wenigen Sekunden dafür sorgen, dass ich das dringende Bedürfnis habe, meine Augen hinter der dicksten Rayban, die die Welt je gesehen hat, zu verstecken. Weil sich ein solcher Gebrauchsgegenstand nicht in Reichweite befindet, lege ich meine rechte Hand über die Stirn und tauche mein Gesicht in wohltuenden Schatten. Ich drehe den Kopf noch einmal nach links und rechts, dann habe ich endgültig oder vielmehr leider Gewissheit. Ich sitze fernab der Küste in einem babyblauen Schlauchboot, bin nackt und mein Proviant besteht aus einem Feuerzeug und einer halbvollen Packung Zigaretten. Da mir vor Durst die Kehle wehtut, verzichte ich auf eine Kippe, so dass mein Frühstück folgendes beinhaltet: Nichts.

      Zehn Minuten lang starre ich entgeistert den Horizont an und suche verzweifelt nach den Umrissen eines Schiffs, einer Hafenmole oder zumindest einer Palme. Den Gefallen, etwas zu entdecken, tut mir das Schicksal nicht. Die Wellen, die ununterbrochen gegen das Plastik klatschen, rufen mir den Trockenheitszustand meiner Kehle wieder in den Sinn. Durst! Das blaue Salzwasser wirkt verlockend. Kann man bestimmt machen.

      Kann man nicht, muss ich nach einem beherzten Griff ins Meer feststellen. Angewidert verziehe ich das Gesicht. Ein unterarmlanger Fisch sieht mir verwirrt dabei zu. Seine trüben Augen glotzen mich an, die graue Schwanzspitze wedelt. „Arschloch!“, beschimpfe ich meinen Beobachter und hebe drohend die Faust. Grußlos verabschiedet sich das Tier in Richtung Meeresgrund.

      Meine Knie ziehe ich an meinen Körper und massiere stöhnend meine mittlerweile pochenden Schläfen. Es reicht nicht, dass ich einen monströsen Kater habe. Es reicht auch nicht, dass ich meinen Brand nicht mit Wasser, Saftschorle oder einem Konterbier bekämpfen kann. Nein, ich muss ja den Vogel abschießen und nackt in einem Schlauchboot irgendwo im Mittelmeer aufwachen. „Verflucht“, murmele ich und schließe die Augen.

      Sechs Wochen zuvor: Von Kellerasseln und Dosenfischen

      Der Öffner der billigen Haustüre mit den beiden Milchglasscheiben im feinsten 70er-Jahre-Schick summte. Ich drückte mich gegen die Tür und betrat das Treppenhaus des dreistöckigen Gebäudes, in dem Pascals Großeltern leben und in dessen Keller er wohnt. Oder vielmehr haust.

      Nachdem seine Eltern des Berufs wegen nach Brasilien ausgewandert waren und seinen jüngeren Bruder wegen der bei ihm noch bestehenden Schulpflicht mitgenommen hatten, war Pascal in Pettstadt geblieben, einem kleinen Dorf südlich von Bamberg. Er steckte mitten in seiner Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann in einem hiesigen Möbelhaus. Eine nachvollziehbare Entscheidung, Krustenbraten und Bier, denn dafür ist Bamberg mehr als bekannt, nicht gegen Copa Cabana und Caipirinha einzutauschen.

      Also nistete sich mein bester Freund im Keller seiner Großeltern ein. Ein großes Zimmer nutzte er als Schlaf- und Wohnraum, eine kleine Nasszelle am anderen Ende des kahlen, nicht tapezierten Ganges, den ich gerade durchschritt, als Bad. Wir gaben Pascal den liebevollen Spitznamen „Kellerassel“ wegen seiner bescheidenen Behausung, wohl wissend, dass er sich darüber furchtbar ärgerte.

      „Kellerassel“, rief ich mit rauer Stimme der verschlossenen Tür entgegen, unter der Licht schimmerte.

      Eine weitere Begebenheit seiner wahnwitzigen Wohnsituation ist, dass diverse Einrichtungsgegenstände eher den Status eines Provisoriums haben, da Pascal seine Freunde überredet hatte, ihm beim Umzug in seine Bleibe und der Ausstattung Selbiger behilflich zu sein. Die vom Sperrmüll geklaute Türe war folglich zwei Zentimeter zu kurz, dem gläsernen Couchtisch fehlte einem Geplänkel beim Verladen wegen eine Ecke und der Deckel des Schranks ist längst Feuerholz – die Zimmerdecke war einfach zu niedrig.

      Den Gipfel der Umzugsunbeholfenheit erklomm jedoch unser gemeinsamer Freund Bert, ein gelernter Maler und Verputzer. „Ich mach dir a Wischdechnigg o die Wänd, des schaud geil aus“, hatte er in dem für ihn typischen Dorf-Oberfränkisch getönt.

      Die Wischtechnik sah tatsächlich großartig aus. Auf Terrakotta tupfte und wischte Bert mit Weiß und Orange, was das Zeug hielt. Dummerweise hatte er in seinem Elan vergessen, die Tapete zuvor für diese Spezialtechnik passend zu grundieren. Deshalb sollte es bis heute jeder Besucher von Pascals Zimmer meiden, sich gegen die Wand zu lehnen. Die Farbe ist nie getrocknet und laut Bert würde sie es auch nie.

      „Selbst, wennst drei Dooch mitm Fön die Wänd beärberst“, hatte er konsterniert festgestellt.

      Pascal saß auf seiner Couch, gebeugt über einen Fetzen Papier. Sein schwarzes Haar, das er üblicherweise mit viel Gel zu einem topfförmigen Helm formte, stand büschelweise ab. Es sah aus, als würde er ein Vogelnest tragen, das ein panischer Tintenfisch dunkel eingefärbt hatte. Grinsend erblickte er mich, während ich versuchte, unfallfrei über einen Berg Klamotten zu steigen. Pascals Mund nimmt, wenn er sich so amüsiert, die Form einer Sichel an. Die Mundwinkel reichen fast von Ohr zu Ohr. Der Joker!

      „Fit?“, fragte er.

      Das Dröhnen seiner Stimme in meinem Kopf machte mir bewusst, dass seiner Frage nur ein Nein folgen konnte. Es war früher Sonntagabend und ich litt an heftigen Nachwehen.

      „Nein“, lautete meine knappe Antwort.

      „Kannst du dich detailliert an die Ereignisse der gestrigen Nacht erinnern, Toni?“, setzte Pascal seine allsonntägliche Inquisition fort.

      Ich schüttelte vehement den Kopf, während ich mich zu ihm auf das blaue Sofa fallen ließ. Die Quittung für derlei heftige Bewegung erhielt ich sofort in Form von erneut dumpf pochendem Schmerz zwischen meinen Ohren.

      „Ich weiß nur noch, dass wir von Anjas Party aus ins Vamos gefahren sind“, erklärte ich.

      „So so, ins Vamos“, jokerte Pascal grinsend. Er hatte das Interesse an seinem Gekritzel auf dem Zettel verloren, schob das Papier von sich und stand auf. „Stimmt, Vamos.“ Er schlurfte langsam zum Minikühlschrank in der Ecke und holte zwei große Flaschen Wasser. Dankend nahm ich eine entgegen, während er sich wieder setzte.

      Das Vamos ist eine grenzwertige Großraumdisco in einem Gewerbegebiet in der Nähe von Bamberg. Grenzwertig deshalb, weil sich die Gästeliste größtenteils aus Möchtegern-Gangstern aus den umliegenden Dörfern mit viel zu großen Hosen und noch größeren sprachlichen Defiziten und deren weiblicher Anhängsel zusammensetzt. Was – aus der Sicht des betrunkenen Besuchers, der sich auf die Beobachtung dort vorherrschender Riten verlegt – durchaus amüsant sein kann:

      „Boah, die miese Schlampe, haste gesehen. Die hat disch voll angetanzt!“

      „Ey, Babe. Du bis' die Einzige für misch, Ischschwör.“

      Als stünde der Autor einer RTL II-Dokusoap an einem Schaltpult und würde mittels Knopfdruck den Gästen seine sinnfreien Dialoge ins unterentwickelte Gehirn katapultieren.

      Da aber zwischen Anjas Party und dem Tanzschuppen gute 40 Kilometer liegen, mussten wir ein Taxi genommen haben, woran ich mich dunkel erinnern konnte.

      „Lukas war doch dabei“, fiel mir ein.

      „Lass uns den mal anrufen“, schlug Pascal vor, um unsere detektivische Abendrekonstruktion voranzutreiben.

      Ich zückte mein Handy