Limbo Donut

Krustenbraten-Casanova


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nicht“, antwortete Lukas, den ich seit dem Kindergarten kenne und schätze. Ich stellte auf Lautsprecher.

      „Servus, Lukas“, hüstelte Pascal, der sich an seinem Wasser verschluckt hatte.

      „Dann will ich euch mal ein Update eurer Schandtaten liefern.“ Und Lukas erzählte.

      Nachdem wir am Vamos angekommen waren, schafften wir es trotz unseres feuchtfröhlichen Zustandes, von den Türstehern unbehelligt in den Club zu gelangen. Zwei Bier später äfften wir auf der Tanzfläche schlechtgekleidete junge Damen nach, die sich ziemlich schlecht zu noch schlechterer Musik bewegten. Das war nämlich neben den Dialogen das Tolle an dieser Discothek. Selbst, wenn man aufgrund seines Zustandes keinesfalls noch etwas abzuschleppen im Stande war, konnte man immer noch die Mädchen ob ihrer burschikosen Art oder ihrer Kleiderwahl, die an eine Mischung aus russischem Untergrund-Stripclub und der örtlichen Pimkie-Filiale erinnerte, auf den Arm nehmen. Wir hatten dies am gestrigen Abend übertrieben, zumindest nach Lukas' Ausführungen. Denn eine junge Dame fühlte sich so provoziert, dass sie Pascal ihren halbvollen Wodka-Energy ins Gesicht kippte. Dies nahmen wir zum Anlass, in die Steh-Pizzeria vor dem Vamos zu gehen und dort bei einem Bier zu dinieren. Lukas zufolge soll sich dort folgendes Gespräch zwischen Pascal und mir ereignet haben.

      Pascal: „Weißt du, was jetzt total überragend wär‘?“

      Toni: „Schnaps!“

      Pascal: „Ne, Nutten!“

      Toni: „Nutten?“

      Pascal: „Ja, Nutten!“

      Toni: „Und Schnaps?“

      Pascal: „Und Nutten!“

      Toni: „Ja! Schnaps und Nutten!“

      Pascal: „Weißt du, wo's Nutten gibt?“

      Toni: „Hier nicht. Aber Schnaps!“

      Pascal: „In Nürnberg!“

      Toni: „Ja. Und Schnaps?“

      Pascal: „Auch. Aber Nutten. Toni! Nutten!“

      „Ich war so frei, diese Konversation NICHT für die Nachwelt aufzunehmen.“ Lukas' Stimme, die belustigt aus meinem Handy bellte, riss mich aus meinem tranceartigen Zustand.

      „Lukas“, fragte ich vorsichtig. „Waren wir in Nürnberg?“

      „Jap.“

      Pascal knuffte mir jokernd in die Seite: „To-o-o-o-oni. To-o-o-o-oni“, wieherte er. Ich konnte es nicht glauben. Schnaps. Und Nutten.

      „Wir sind mit dem Taxi zum Bahnhof gefahren, dort hat euch der Fahrer rausgeschmissen. Und ich bin nach Hause gefahren“, ergänze Lukas.

      Fieberhaft durchwühlte ich meine Hosentaschen. Noch immer trug ich dasselbe Beinkleid wie gestern Abend. Zum Vorschein kamen mehrere blaue Pfandmarken, eine seltsam verbeulte Packung Kaugummis und – ein Bayernticket der Deutschen Bahn. Gelöst um 5:32 Uhr heute Morgen. Am Hauptbahnhof Bamberg. Ich hielt es Pascal vor die Augen, was ihn zu einem weiteren Knuffer veranlasste.

      „Seid ihr noch da?“, quäkte Lukas.

      „Ja, Lukas, ja“, sagte ich geistesabwesend. „Und ähm.“

      „Ja?“, fragte Lukas.

      „Du weißt nicht zufällig, wann wir wieder nach Hause gefahren sind?“

      „Oh doch, sehr gut sogar.“ Lukas ließ sich jedes Wort aus der Nase ziehen. Die Spannung in Pascals Feuchtzelle stieg. „Ich hab‘ euch abgeholt.“

      „In Nürnberg?“

      „In Zapfendorf!“

      Meine Gesichtszüge entgleisten und auch Pascals dämliches Jokergrinsen verwandelte sich in eine Fratze, die der eines grippekranken Orang-Utan mit Verdauungsproblemen ziemlich nahekam.

      Zapfendorf – für den geneigten Leser, der nicht aus der oberfränkischen Provinz stammt – liegt etwa 30 Kilometer nordöstlich von Bamberg, also etwa 90 Kilometer von Nürnberg entfernt.

      „Vor dem Gasthaus Jüngling!“

      „Jüngling?“

      „Ja, Jüngling!“ Lukas klang ziemlich sauer. „Dort habt ihr euch, eurem Gelalle zufolge, zum Frühschoppen niedergelassen. Und zwar, nachdem ihr im Zug von Nürnberg nach Bamberg eingepennt, am Bahnhof Zapfendorf aufgewacht seid und mich mehrfach angerufen habt.“

      Dunkel erinnerte ich mich an eine Begebenheit in einem gutbürgerlichen fränkischen Gasthaus, die ich nun leider nicht mehr ins Reich der Suffträume abschieben konnte. Langsam dämmerte es mir. Pascal und ich waren, ziemlich betrunken, an einem Tisch mit einer vierköpfigen Familie, die sich ihren Sonntagsausflug zum Mittagessen sicher anders vorgestellt hatte. Es mag Schöneres geben, als sich mit seinem 15-jährigen Sohn und seiner 18-jährigen Tochter einen Tisch mit zwei Zechern zu teilen, die, während der Kellner das Essen serviert, sich lauthals über die Vorzüge von apfelförmigen Hintern unterhalten.

      „Wie auch immer“, sagte ich mehr zu mir, als zu Pascal und Lukas.

      „Wie auch immer?“ bellte Lukas. „Wie auch immer habe ich euch abgeholt, nachdem ihr mich verdammt nochmal Dauerfeuer angerufen habt.“

      „Und das war auch wunderbar nett von dir“, bedankte sich Pascal. Offenbar hatte auch er sein Erinnerungsvermögen reanimiert, denn der Joker in ihm kam wieder mit breitem Grinsen zum Vorschein. „Kommst du vorbei?“, fragte er.

      „Ne, lass mal. Muss morgen früh raus.“

      „Alles klar. Dann danke nochmal fürs Abholen und mach's gut, Lukas“, verabschiedete ich mich.

      „Jaja“, grummelte Lukas, „ciao!“ Klack! Weg war Inspektor Columbo am anderen Ende der Leitung.

      Kurz stand ich auf, um mich direkt wieder fallen zu lassen. Eine Weile starrte ich schweigend die Wasserflasche auf dem Tisch an. Dann verlor ich an dem Etikett, das mir verriet, dass das Wasser einer Quelle in Bad Brambach entsprungen war, das Interesse. Meine Augen wanderten zu Pascals Zettel, über dem er vorhin so eifrig gekauert war.

      Während Pascal die Playstation hochfuhr und fluchend die beiden hellgrauen Controller aus dem Kabelsalat auf dem Tisch befreite, las ich: „Februar 2004: Nadine. Melli. März 2004: Dana. Mai 2004: Linda. Gabi. Juni 2004: Sina. Äh Pascal, was ist das?“ Ich glaubte, zu wissen, um was es sich bei dieser Liste handelte, wollte aber doch auf Nummer sicher gehen.

      „Das ist eine Liste.“

      „Das sehe ich.“

      „Lass mich ausreden. Eine Liste aller Frauen, die ...“

      Pascal musste nicht ausreden. Ich verfiel in schallendes Gelächter. „Warum?“ wollte ich glucksend wissen.

      „Na eben darum!“

      Kichernd las ich weiter, diesmal laut: „Juli 2004: Die Fette vom Burgebracher Parkplatz? Eine Adelige?“

      „Hä, warum?“ Wie so oft bemerkte Pascal den versteckten, grottenschlechten Witz nicht. Allein schon für diesen Scherz hatte ich es verdient, sechs Wochen später nackt in einem Schlauchboot irgendwo vor der Küste Ibizas zu treiben.

      „Na wegen dem von. Freifrau von. Du verstehst?“ Offenbar nicht.

      „Naja, die war halt fett und ich hab sie auf dem Parkplatz genagelt. Weißt schon, beim Sommerfest.“

      „Jaja.“ Ich verdrehte die Augen. Wie konnte man nur so eine lange Leitung und trotzdem so einen Erfolg bei Frauen haben? Ich las weiter. Im September 2004 begann ich zu stocken. Tanja, Sofie, Paula, Alina, Steffi. Ich deutete auf den Monat September. „Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen, Angeklagter?“ fragte ich gestellt schwülstig.

      „Hehe. Das“, griente Pascal. „Das war einzig und allein das Werk des Club Punta Arabi auf Ibiza.“

      „Wie, das Werk des Club Punta Arabi?“, hakte ich nach.