Dagny Kraas

Dämonentreue


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die Araora so heftig zur Seite, dass Cridan sich schon anschickte, sie aus dem Wind zu drehen, um der Gewalt des Sturms zu entgehen. Doch dann ließ der Winddruck nach, und das Schiff rauschte zurück in die alte Lage.

      Dennoch – jetzt war die Zeit gekommen, das Segel einzuholen, auch wenn das bedeutete, dass sie nicht mehr manövrieren konnten.

      »Tiko, übernimm das Steuer!« schrie Cridan, um den heulenden Wind zu übertönen.

      Er wartete, bis Tiko sich zu ihm herangearbeitet hatte und die Hände fest um das Steuerrad geschlossen hatte, bevor er an der Reling entlang nach vorne kletterte.

      Er hatte das Seil schon in der Hand und wollte eben den Schlag lösen, als Tikos Warnruf ertönte: »Halt dich fest!«

      Eine mächtige Welle traf die Araora seitlich und riss ihren Bug herum, ließ sie unkontrolliert in das nächste Wellental taumeln und überschüttete das Deck mit Unmengen von Wasser.

      Cridan hatte gerade noch rechtzeitig mit der anderen Hand eins der Taue zu packen bekommen und ließ die Woge über sich hinweg rollen, als er plötzlich einen dunklen Schatten an sich vorbei fliegen sah: Mert hatte das Gleichgewicht verloren und rutschte haltlos über das Deck.

      Cridan dachte nicht mehr nach. Er ließ los und hechtete hinter dem Mann her.

      Mert traf eine Stütze der Reling, drehte sich um seine eigene Achse und verschwand in den tosenden Wellen. Im selben Moment prallte Cridan gegen die Reling. Er hatte sich so breit gemacht wie möglich, um nicht unter dem Holz hindurch zu rutschen, tauchte mit dem halben Oberkörper und dem Kopf in die sturmgepeitschten Wellen, hielt sich mit der Linken an der Reling fest und griff mit rechts blindlings zu. Irgendwie bekam er Merts Oberarm zu packen und zerrte ihn mit sich nach oben.

      Die nächste Welle spülte über sie hinweg, nahm ihm für einen Moment Sehen, Hören und Atem, doch er hielt Merts Arm eisern fest, bis das Wasser sie wieder freigab.

      Er nutzte den Augenblick, in dem sich die Araora zwischen zwei Böen aufrichtete, spannte alle Muskeln an und schob Mert aufs Deck hinauf, bevor die nächste Woge ihn wieder ins Wasser tauchen ließ. Geistesgegenwärtig klammerte Mert sich an der Verankerung des Steuerrads fest.

      Cridan stemmte sich in die Höhe, griff nach einem Tau und zog sich hinauf. Mit fliegenden Fingern löste er das Seil, mit dem das Segel festgemacht war, und wollte es eben freigeben, da traf die nächste Welle das Schiff und riss ihn von den Füßen.

      Er schlitterte über das nasse Deck auf die Reling und das dahinter liegende, vom Sturm aufgewühlte Meer zu – und dann spannte sich das Seil, das er noch immer in den Händen hielt, ruckartig. Im gleichen Augenblick kippte die Araora aus ihrer Schräglage zurück.

      Er prallte schmerzhaft mit beiden Knien auf das Deck. Fluchend ließ er das Seil los, um dem Segel Luft zu geben, kam wieder auf die Füße – und vergaß seine Schmerzen: Seine Blicke hingen am Hauptsegel, das längst hätte in sich zusammenfallen müssen, doch es stand weiterhin straff gespannt am Mast!

      Und dann sah er den Grund: Eine Schlinge hatte sich im Seil gebildet, verhinderte das Durchrutschen auf der Rolle und barg damit die Gefahr, dass ein weiterer Windstoß ins Segel sie kentern lassen würde, wenn die Araora dem Druck nicht mehr ausweichen konnte.

      »Tiko«, brüllte er, während er mit aller Kraft versuchte, den Knoten aus der Rolle zu ziehen, »dreh sie in den Wind!«

      »Was glaubst du, was ich versuche?« schrie Tiko zurück. »Bei der Schräglage hat das Steuer keinen…«

      Seine nächsten Worte gingen im Tosen des Sturms unter, doch Cridan wusste auch so, was er sagen wollte: Das Ruder hatte keinen Wasserdruck, und damit waren sie manövrierunfähig.

      Die nächste Welle ließ ihn erneut das schräge Deck hinunter rutschen bis an die Reling. Entschlossen kämpfte er sich, das Seil um den Unterarm geschlungen, die steile Wand des Decks wieder hinauf. Er musste das Segel losmachen, koste es, was es wolle!

      Sein Blick ging über die hohen Wogen, suchte nach Zeichen für einen vielleicht etwas ruhigeren Moment, der ihm erlauben würde, das hoffnungslos verklemmte Seil aus der Rolle zu lösen.

      Er sah die Sturmböe auf sie zukommen. Sie peitschte die Schaumkronen vor sich her, ließ die Wasseroberfläche matt und grau werden und näherte sich ihnen pfeilschnell.

      »Festhalten!« brüllte Cridan, warf sich nach vorne und griff mit der zweiten Hand nach der Reling, verfehlte sie jedoch.

      Im nächsten Augenblick traf eine gigantische, unsichtbare Hand die Araora mit aller Gewalt und schmetterte sie auf die Seite. Ihr Deck machte geradezu einen Satz in die Senkrechte, als der Sturm ins Segel fiel, es bis zum Zerreißen spannte und den Mast unter der enormen Belastung ächzen ließ.

      Für Cridan schien die Zeit stehenzubleiben. Er hing mit einer Hand am Seil, das sich schmerzhaft um seinen Arm spannte, und baumelte frei schwebend über den tobenden Wellen. Er sah Tiko, der immer noch am Steuerrad stand, beide Füße gegen die Bank gestemmt, und er sah auch Mert, der sich verzweifelt am Fuß des Steuerrads festklammerte, um auf dem nahezu senkrecht gen Himmel ragenden Deck nicht den Halt zu verlieren.

      Cridan war lange genug zur See gefahren, um zu wissen, in welcher Gefahr sie sich befanden: Jetzt zählte jeder Augenblick.

      Mit der freien Hand packte er das Seil über sich und zog sich, so schnell er konnte, eine Hand über die andere setzend, nach oben, bis er die Rolle, in der sich der Knoten fest verklemmt hatte, mit ausgestrecktem Arm erreichen konnte. Dann löste er die rechte Hand vom Seil und tastete nach dem gebogenen Messer in seinem Gürtel. Es würde scharf genug sein, um das straff gespannte Seil zu durchtrennen.

      Er fand den Griff der schmalen Waffe, zog sie aus dem Gürtel und wappnete sich innerlich gegen den Sturz. Dann stieß seine Hand mit dem Messer vor und kappte das Seil direkt hinter der Rolle.

      Mit einem peitschenden Geräusch schnellte das Tau davon. Schlagartig gab das Großsegel dem Winddruck nach und fiel klatschend und knallend in sich zusammen – und der Knoten, nun nicht mehr durch den Halt von der anderen Seite in die Rolle eingekeilt, rutschte unter Cridans Gewicht heraus und gab ihn dem freien Fall preis.

      Cridan war darauf gefasst gewesen, und so überraschte es ihn nicht, als er dem aufgewühlten Meer entgegen stürzte.

      Doch die Araora rettete ihn: In dem Moment, in dem das Segel freikam und sie nicht mehr auf die Wasseroberfläche gedrückt wurden, tat das hervorragende Schiff genau das, was sein Erbauer beabsichtigt hatte: Es schnellte zurück und brachte Cridan so wieder Boden unter die Füße – allerdings in der Geschwindigkeit eines durchgehenden Pferdes.

      Die Planken trafen ihn mit der Wucht eines Hammerschlages, schleuderten ihn quer übers Deck und warfen ihn auf der anderen Seite gegen die Reling. Der Aufprall schien ihm schier alle Knochen im Leib brechen zu wollen, trieb ihm die Luft aus den Lungen und ließ ihn aufstöhnen. Das Messer war ihm aus der Hand geschlagen worden, Cridan merkte es jedoch kaum: Sterne tanzten vor seinen Augen, in seinen Ohren rauschte es, und eine Ohnmacht drohte ihn zu überwältigen.

      Mit letzter Kraft drängte er die Schwärze zurück, umklammerte das Holz der Reling und presste sich dagegen.

      Doch der Schlag, den er erwartet hatte, blieb aus. Ohne den sie prügelnden Wind rollte und stampfte die Araora zwar im hohen Wellengang von einer auf die andere Seite, aber sie hatte sich deutlich beruhigt.

      Cridan blieb keuchend auf dem Rücken liegen, sah in den grauen, sturmbewölkten Himmel, in dem das lose Segel über ihren Köpfen knatterte und knallte, und war für ein paar Herzschläge trotz der Schmerzen, die ihn mühsam nach Luft schnappen ließen, einfach nur dankbar.

      Dann kam er auf die Füße und wartete einen Moment, bis der Schmerz in seinen Rippen verebbte und er sich an das neue Rollen des Schiffes gewöhnt hatte.

      Vorsichtig kletterte er aufs Vorschiff hinauf – sehr genau darauf achtend, mit mindestens einer Hand Halt am Schiff zu finden. Er knotete sich eins der nun frei gewordenen Seile um die Hüfte, suchte breitbeinig festeren Stand und machte sich an die anstrengende Arbeit, das durchnässte Segel