Michael Stuhr

DIE NOVIZEN


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Birnchen gegen ein neues aus. "Nur zehn Grad", fuhr er im Plauerton fort, "winzige zehn Grad - dann brennt dir die Flamme ganz langsam das Fleisch vom Knochen."

      "Warum?" Irmi schrie die Frage fast heraus. "Warum tun Sie das? - Warum?"

      "Mach' ich doch gar nicht", lächelte der Mann auf sie herab. "Ich werde doch ein so hübsches Mädchen nicht zum Krüppel machen." Dann bückte er sich und drehte die Lötlampe ein Stück weit herum. Die Flamme streifte kurz Irmis Bein. Es knisterte leise und ein paar Härchen verschrumpelten zischend. Irmi stieß einen Schmerzlaut aus und das Bein ruckte von der Flamme fort. "Aber aber." Der Mann schüttelte den Kopf. "Warum die Aufregung? Das waren doch nur fünf Grad."

      Irmis Körper ruckte in den Fesseln. Die Lötlampe gab zischende Geräusche von sich und spuckte gelbliche Flammen aus. Irmi nutzte den letzten Spielraum, den die Fesseln ihr gaben, um von der Hitze fortzukommen, sie warf den Kopf zurück und ihr Gesicht war dabei vor Angst verzerrt. "Gut so", murmelte der Mann. "Sehr gut!" Er nahm die Kamera wieder hoch. "Wenn du hier raus willst, dann gesteh endlich! Was treibst du mit den Kerlen? Sind es nur die Leute aus dem Haus, oder triffst du sie auch an der Straßenecke?"

      "Ich mach' sowas doch gar nicht!", schrie Irmi ein letztes Mal. Sie war vor Angst halb wahnsinnig, aber als der Mann die Lötlampe um eine Winzigkeit verschob, begriff sie, dass sie irgendetwas gestehen musste.

      Der Mann war nicht sehr zufrieden mit Irmi. Obwohl ihr nach und nach doch noch so einiges einfiel, was sie mit den Männern aus der Nachbarschaft gemacht hatte, versuchte die kleine Nutte immer noch, ihm die Naive vorzuspielen - fast so, als habe sie wirklich keine Ahnung. Der Mann nahm ihr das natürlich nicht ab. - Er war ja kein Idiot. Er half ihr ein wenig auf die Sprünge und fotografierte ab und zu. Natürlich stellte sich schnell heraus, dass Irmi gar nicht so unschuldig und naiv war, wie sie zunächst getan hatte. - Wie viel Schmutz sich doch in ihrem kleinen, hübschen Köpfchen angestaut hatte, wie tierhaft sie war, wie unersättlich. - Einfach ekelhaft.

      Der Mann verbrauchte in dieser Nacht noch zwei weitere Filme, dann machte er der Sache ein Ende, verließ den Keller, und kam erst eine Stunde später wieder zurück. Er breitete ein Stück Maschendraht auf dem Boden aus und begann, Irmis Leiche darin einzupacken. Er zog den Draht eng um den schmalen Körper und verdrillte die Enden mit einer Kombizange. Als er fertig war, sah das Ganze aus, wie ein länglicher Kokon und war viel leichter zu transportieren als der schlaffe, tote Körper.

      Irmis Fluchtversuch war dem Mann eine Lehre, und schon am nächsten Tag wurde er, gleich nachdem er eine Birke an das Ufer des Teichs gepflanzt hatte, aktiv.

      In der Garage nahm er ein paar Werkzeuge mit zum Wagen und machte sich an der Innenseite der Beifahrertür zu schaffen.

      So etwas würde ihm nicht noch einmal passieren. Der Mann hatte sich nie für perfekt gehalten, aber er machte jeden Fehler nur einmal. Darauf war er stolz.

      Endlich war die Türverkleidung gelöst und das Stück steifen Drahtes entdeckt, das den inneren Türöffner mit dem eigentlichen Schließmechanismus verband. Ein kleiner Ruck mit der Kombizange und der Draht rutschte aus der Öse. - Fertig. Der Mann besah sich zufrieden sein Werk. "Schlechte Verarbeitung.", murmelte er mit einem nachsichtigen Lächeln. "In den Autofabriken werden sie auch immer schlampiger!" - Diese Tür würde jedenfalls niemand mehr von innen öffnen können, das war sicher. Sehr sorgfältig befestigte der Mann die Innenverkleidung wieder an der Tür. - Was er auf den Tod nicht leiden konnte, waren Autos, an denen irgendetwas klapperte.

       KAPITEL 4 - Juni 1994 - DAS HAUS

      Die Unterhaltung mit Sander war alles andere als angenehm für Julia und Gunther. Zeitweise schien der Alte verwirrt und gar nicht bei der Sache zu sein; dann wechselte er sprunghaft das Thema und ging auf das Gesagte überhaupt nicht ein. Das Schlimmste aber war, dass er bald schon wieder begann, bei jeder Gelegenheit seine schlüpfrigen Anspielungen abzusondern, von denen er wissen musste, dass sie die Gefühle der beiden verletzten.

      Besonders perfide war, dass er das alles mit dem Anschein der Naivität vorbrachte, und gänzlich verständnislos auf die Verstimmung seiner Gäste reagierte. Leutselig beugte er sich vor und gab sich den Anschein größter Besorgnis: "Wenn Sie richtig verheiratet wären - wäre dann nicht vieles einfacher? - Mit den Banken zum Beispiel. - Geben die denn Geld an solche Leute? Früher hat man solche - na ja - Liebesverhältnisse in keiner Weise unterstützt. Da konnte ein Mann seine Geliebte beschenken, ja, er durfte sich sogar für sie ruinieren; aber niemand wäre je auf die Idee gekommen, mit so einer Frau zusammenzuziehen. - Ist das heute denn anders? Denken die Leute nicht mehr so?"

      "Die Zeiten haben sich geändert", sagte Gunther spröde.

      Julia war verärgert, verschreckt und verlegen zugleich. Die Ruhe, die sie zuerst in diesem Zimmer empfunden hatte, war gestört, der Friede dahin. - Das war sie also in Sanders Augen: So eine Frau! Sie spürte, wie das Blut ihr ins Gesicht schoss. Sie war drauf und dran, aufzuspringen und aus dem Raum zu rennen, wie ein gedemütigtes Kind. - Nur weg von diesem ekelhaften, schmierigen Alten, der mit seinem kranken Gerede alles beschmutzte, aber Gunther legte ihr seine Hand auf den Arm. "Bleib!", sagte diese Geste. "Bleib, denn wir wollen das Haus!"

      Julia war sich zwar im Moment nicht so sicher, dass sie das Haus noch wollte. Ihr war heiß vor Scham und Wut, aber sie blieb trotzdem sitzen. Die Zeiten haben sich geändert! - War das alles, was Gunther zu ihrer Verteidigung vorzubringen hatte? Und wieso überhaupt Verteidigung? Hatten sie das nötig? Langsam beruhigte Julia sich wieder. Sander war steinalt, ein Überbleibsel aus einer vergangenen Epoche. Seine Maßstäbe stimmten nicht mehr mit der Realität überein. Das war alles.

      Plötzlich ging es Julia besser und sie konnte wieder freier atmen. Endlich hatte sie erkannt, dass man Sander einfach nicht ernst nehmen durfte. Sie nahm sich zusammen und durchbrach die Oberfläche dieses Tümpels von Erniedrigung, in dem sie fast versunken wäre.

      "...tut man nicht alles für ein Büschel Haare", faselte Sander gerade - und es war nur zu klar, was für ein Büschel Haare er meinte.

      "Hören Sie!" Gunther reichte es jetzt. Er richtete sich auf, sprach dann aber doch nicht weiter, sondern schaute Sander nur einen Moment lang mit zusammengekniffenen Augen an.

      Der Alte hielt diesem schwachen Aufflackern von Protest mühelos stand. Dennoch tat er so, als merke er jetzt erst, dass er seinen Besuchern zu nahe getreten war. "Ach", seufzte er schwer auf und ließ sich noch tiefer in die Polster sinken, "vergeben Sie einem alten Mann, der nur noch in der Erinnerung lebt." Er sagte das mit dem Ausdruck ehrlichsten Bedauerns, und Julia hätte ihm fast verziehen, aber da grinste er sie plötzlich von unten herauf an. "Tja", meinte er, "ich habe wenigstens noch so Einiges, woran ich mich erinnern kann!"

      Julia und Gunther hielten durch. Gunther wollte das Haus und Julia hielt zu ihm, weil sie es, wenn sie ehrlich mit sich war, auch wollte. Wenn der Vertrag erst zustande gekommen und der Alte von hier verschwunden war, konnten sie immer noch ihre Wunden lecken - aber jetzt galt es sich zu behaupten. Also hatten sie sich, als Sander einmal kurz zum 'Pissen' gegangen war, wie er sagte, abgesprochen, sich von ihm nicht provozieren zu lassen, da seine Ausfälle wahrscheinlich auf seine Verkalkung zurückzuführen seien.

      "Trotzdem ist er eine richtige Sau", hatte Julia Gunther schnell noch zugeflüstert, als die Schritte des Alten schon wieder auf der Deele zu hören waren.

      "Warum beleidigst du unschuldige Tiere?" wollte Gunther daraufhin von ihr wissen. - Altbekannt und nicht sehr lustig, aber die Anspannung fand endlich ein Ventil und als Sander die Tür öffnete, fand er seine Besucher nervös und schuldbewusst kichernd vor.

      Misstrauisch blieb der Alte in der Tür stehen. "Wenn Sie sich ausgealbert haben, können Sie sich jetzt Haus und Grundstück ansehen." Sofort standen Julia und Gunther brav auf und folgten ihm. Obwohl sie im Recht waren, fühlten sie sich wie Kinder, die ein strenger Lehrer beim Schwatzen erwischt hatte.

      Im Inneren hielt das Haus noch mehr, als es von außen schon versprochen hatte. Wenn auch keiner der Räume auch nur annähernd so groß war, wie das Kaminzimmer, so gab es doch eine Reihe einfach eingerichteter, aber gemütlich aussehender