Jay Baldwyn

Der Fluch von Capatineni


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dem Burginnenhof von Harild, der ältesten und treuesten Dienerin der Gräfin, ausgesucht wurde. Zwei weitere wurden ebenfalls auserkoren, Dakaria war nicht darunter. Harild hatte sie mehrmals prüfend gemustert, dann aber das Gesicht verzogen, als habe sie etwas Schlechtes gerochen, und sich abgewandt.

      Die anderen wurden für die Küche, die Wäscherei oder zum Putzen eingeteilt. Am Abend trafen sich alle in der Küche zum Essen wieder und stellten danach fest, dass die meisten gemeinsam dieselbe Unterkunft erhalten hatten. Ein karger, kalter Raum mit einfachen Betten, in dem es furchtbar zog. Die Matratzen bestanden aus einfachen Strohsäcken wie auch das Kopfkissen. Als Zudecke dienten grobwollene Decken, die schrecklich kratzten.

      Die wenigen Kerzen waren längst gelöscht worden, als einige Mädchen noch Gesprächsbedarf verspürten.

      »Dagegen schlafe ich ja zu Hause beinahe luxuriös«, sagte Valea, eine rotgesichtige Vierzehnjährige mit verfilzten, blonden Haaren.

      »Hast du gedacht, du schläfst am Fußende der Gräfin oder beim Grafen auf dem Schoß?«, fragte Aurelia, die ihre ebenholzfarbenen Haare in dicken Zöpfen trug.

      »Sicher nicht, du dumme Kuh. Aber dazwischen gibt es wohl noch etwas anderes.«

      »Kinder, zankt euch nicht«, meinte die blasse und sehr dünne Sharai, »es kommen harte Zeiten auf uns zu. Die überstehen wir nur, wenn wir zusammenhalten.«

      »Ein Glück, dass ich noch Wurst und Käse dabei habe«, sagte die etwas rundliche Ionela kauend, »von der Wassersuppe heute Abend konnte man ja kaum satt werden.«

      »Kinder, hier ist es ja arschkalt«, gab Anyana ihren Kommentar ab, »wenn ich nicht meine dicken Wollsocken dabei hätte, würde ich mir glatt Frostbeulen holen.«

      »Scht, ich glaube, da kommt einer.«

      Später, als alle schliefen, erhob sich Dakaria, warf ihr Tuch aus dicker Wolle über, zog sich ebensolche Socken an und schlich lautlos durch die Gänge ihrer neuen Heimat. Dabei achtete sie peinlich darauf, von keiner der Wachen entdeckt zu werden. Schließlich hatte sie sich total verlaufen und landete in der Nähe der Gemächer der Fürstin. Als sie einen Schatten sah, der vom Licht der Fackeln auf die Wände geworfen wurde, erschrak sie zunächst, atmete aber erleichtert auf, als sie Mitica erkannte.

      »Du bist es! Kannst du auch keinen Schlaf finden?«

      »Nein, ich schlafe schon länger nicht mehr.«

      »Dann bist du wie ich. Das habe ich gleich gespürt.«

      »Was meinst du damit?«

      »Na, du bist auch ein Wiedergänger. Wann hat man dich begraben?«

      »Vor zwei Monaten. Sechs Wochen später bin ich zu meiner Familie zurückgekehrt.«

      »Und wie hat man dich aufgenommen?«

      »Mit großer Liebe und Herzlichkeit. Nur tata war ich wohl etwas unheimlich.«

      »Wie bei mir. Er wollte mich zuerst gar nicht reinlassen. Dann wollte er mich wieder wegschicken. Er hat Angst, dass ich ihn und die Familie verhexe.«

      »Das hat man mir nicht unterstellt«, sagte Mitica, »obwohl sie allen Grund dazu gehabt hätten, aber ich bin freiwillig gegangen. Irgendwie passe ich nicht mehr zu ihnen.«

      »Glaubst du, dass es hier noch mehr von uns gibt?«

      »Bestimmt. Bei zwei oder drei habe ich es in den Augen gesehen.«

      »Dann müssen die in einem anderen Raum schlafen. In meinem war nur ich wach. Apropos schlafen. Ich hoffe, ihr wohnt besser als wir. Immerhin gehört ihr jetzt zum Umkreis der Gräfin.«

      »Darauf hätte ich gerne verzichtet. Uns hat man einen Nebenraum zugewiesen, damit wir jederzeit für die Gräfin erreichbar sind. Da gibt es weiche, aber ziemlich muffige Betten. Zuerst mussten wir baden, und dann hat man unsere Kleider ins Feuer geworfen und uns neue gegeben. Was heißt neue? Ich möchte nicht wissen, wer die schon alles vor uns getragen hat. Und vom Schnitt her mehr als einfach. Wahrscheinlich sollen wir der Gräfin und ihrem Gefolge nicht den Rang ablaufen.«

      »Und, wie ist sie so?«

      »Viel schöner als ich dachte. Aber wenn du mich fragst: Aus ihren Augen leuchtet der Wahnsinn. Und diese Harild würde für sie töten. Wie mancher Diener wohl auch. Die Zofen tun mir leid. Sie dürfen sich keinen Fehler erlauben, sonst hagelt es Schläge und schlimmste Grausamkeiten. Die Gräfin beißt sogar zu und reißt ganze Hautfetzen von ihren Opfern.«

      »Das sind ja keine guten Aussichten für dich.«

      »Bis jetzt darf ich ihr noch nicht zunahe kommen. Wenn es so weit ist, werde ich sie mit Magie in Schach halten.«

      »Dann bist du also auch eine Hexe?«

      »Ja, und zwar so schwarz wie die Nacht.«

      »Ich würde mich eher als eine weiße bezeichnen. Wie ist es dir gelungen, dass diese Harild dich ausgesucht hat?«

      »Das fragst du noch? Bei meiner Schönheit? Nein, Quatsch. Ich habe da so meine Methoden.«

      »Bei mir hat sie sofort gemerkt, dass ich ein Wiedergänger bin. Sie tat, als stinke ich nach faulen Eiern.«

      »Tust du nicht?« Mitica lachte, als sie Dakarias entsetztes Gesicht sah. »Ich mache nur Spaß. Bei mir hat sie nichts gemerkt, weil ich einen Schutzzauber trug. Für sie duftete ich nach Rosen, statt nach Schwefel.«

      »Ach so, und warum wolltest du unbedingt in die Nähe der Gräfin?«

      »Damit ich ihr endlich das Handwerk legen kann beziehungsweise neue Schandtaten verhüten. Aber ich muss jetzt zurück, damit keiner was merkt. Wir sehen uns. Und pass auf dich auf!«

      Kapitel 2

      Gegenwart

      Die Dörfer Capatineni und Cheiani gab es schon lange nicht mehr, einzig das Dorf Poenari existierte noch. Die Gegend unterhalb der Burg gehörte jetzt zur Gemeinde Arefu im Kreis Argeş und bestand in der Hauptsache aus den Dörfern: Arefu, Căpăţânenii Pământeni und Căpăţânenii Ungureni. Von ihnen war es kaum weiter als zehn Minuten mit dem Auto über die Transfogarastraße – rum. Transfăgăraşan, einer früher strategisch wichtigen Passage zwischen Siebenbürgen und der Großen Walachei, die Anfang der 1970er Jahre unter Ceauscescu’s Regime gebaut worden war. Zu Fuß brauchte man eine knappe Stunde.

      Die befreundeten jungen Leute und Studienkollegen, Violet Jenkins, Taylor Eliot, Melvin Stevenson und Joel Ward aus Albany im Bundesstaat New York, die ihren Bachelor of Arts in Art History, History und Women’s Studies machen wollten, waren durch den Hype, der noch immer um den angeblichen Vampirgrafen Dracula alias Vlad III. Drăculea gemacht wurde, besonders an Halloween, nach Transsylvanien gereist, um etwas von der Atmosphäre an den Originalschauplätzen mitzubekommen. Es hatte sich auch in Amerika herumgesprochen, dass die Burg Poenari das wahre Dracula-Schloss war, denn hier hatte Vlad III. zumindest eine Zeitlang gelebt. Und die Legende besagte, dass sich seine erste Frau sogar dort von den Zinnen gestürzt hatte.

      Erst in den 70er Jahren, als das Land Devisen brauchte, hatte Ceauscescu Schloss Bran zu Draculas Burg erkoren, damit mehr Touristen angelockt werden konnten. Nachweislich hatte Vlad „ţepeş“ Drăculea jedoch nie auf der Burg gelebt, und sie war auch nie in seinem Besitz gewesen. Auch die Behauptung, Drăculea sei für eine Nacht auf Bran gefangen gehalten worden, konnte historisch nicht belegt werden. Wahrscheinlich hat er nur den unterhalb der Burg verlaufenden Pass hin und wieder genutzt.

      Die vier jungen Studenten waren im Haus Edelweiß im Arefu Dorf untergekommen. Jeder hatte sein eigenes Doppelzimmer, und das gemeinsame Wohnzimmer mit Ausgang zur Terrasse verfügte sogar über einen Fernseher. Außerdem gab es eine voll ausgestattete Küche und draußen einen kleinen Pavillon, Grill und Parkplatz.

      Violet kam frisch geduscht aus dem Badezimmer. Ihre kastanienbraunen Haare glänzten wie Seide. Mit ihrer kurzen Frisur wirkte sie sehr knabenhaft. Vielleicht wurde sie deshalb