Michaela Leicht

Dezember - Adventsgeschichte


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– was hat er ...?“ Jessica überlegte, was es für Mord gab. Oder Totschlag im Affekt – bei nervenden Arbeitskollegen.

      „Oh, entschuldige ... Ich verliere zurzeit öfters mal den Faden ... also ... er hat eine unglaublich berühmte Band eingeladen. Dazu noch ein Dutzend wichtiger Bänker, Industrielle und was weiß ich, noch alles. Weißt du was das heißt?“ Voller Vorfreude, mit erhitzten Wangen und hochrotem Gesicht stand sie so da und Jessica nahm ihre Mordgedanken etwas zurück.

      „Na sag schon ...“

      „Das heißt, wir lernen richtig wichtige Leute kennen! Wir treffen CEOs!“

      „Ah ja ... das ist wirklich fantastisch. Wow!“

      In Sabines Augen stand jetzt absoluter Unglauben.

      „Hast du mir nicht richtig zugehört? Wir treffen wichtige und absolut reiche M ä n n e r!“ Die freudige Erregung ersetzten die ungläubigen Blicke.

      Ein mitleidiges kleines Lächeln huschte über ihren Mund.

      „Männer ...“, für Frauen war doch eigentlich dieses eine Wort ausschlaggebend. „... wie nett.“

      „Oh, Mensch Jessica, nun freu dich schon. Du bekommst nicht nur einen gefüllten Nikolausstiefel, sondern auch noch einen Einblick beziehungsweise Ausblick auf Elitemänner!“

      Jessica konnte Sabrinas Laune nicht verderben. Sie war einfach zu berauscht, von der Vorstellung, wichtige Persönlichkeiten aus der Wirtschaft zu treffen. Na fein. Dann sollte sie doch darin schwelgen. Hoffentlich vergaß sie nicht – das die Männer in solchen Positionen niemals treu waren.

      Verflixt, sie musste damit aufhören sich darüber Gedanken zu machen. Sie brauchte eine grandiose Idee für ihr anderes Problem. Das da hieß Tanja und Wichtelpäckchen.

      

      2. Dezember - Luke

      Irgendwo in einer kleinen sehr ländlichen Stadt

      Die ergebnislose Auseinandersetzung mit seiner Mutter gestern, hatte ihn doch mehr mitgenommen, als gut für ihn war. Seine Flucht führte ihn zu seinem Großvater, der wie immer in der Stube auf seinem Schemel saß und an einem kleinen Holzstück schnitzte. Er brauchte nichts zu sagen, der alte Mann verstand ihn ganz ohne Worte, er wies auf den Stuhl neben sich, zeigte auf einen Stapel Hölzer und konzentrierte sich wieder auf seine Arbeit.

      Luke nahm sich sein Messer aus der Hosentasche, suchte sich ein sehr schön gemasertes Stück aus und begann in gleichmäßigen ruhigen Zügen, die Holzspäne nach einander abzuschälen. Bewegung für Bewegung wurde er ruhiger.

      „Lass gut sein – Junge“, wie sein Großvater so unverhofft das Wort an ihn richtete, ließ ihn zusammenzucken.

      „Wie soll ich denn dem gerecht werden? Sie gibt mir nur bis Weihnachten Zeit! Als ob sie gleich nach den Feiertagen sterben, wöllte!“ Er schnaufte.

      „Sie hat Angst!“ Er war wirklich ein weißer Mann, sein Großvater.

      „Natürlich hat sie Angst – hätte ich auch, aber muss sie mir solche Aufgaben aufzwingen?“ Er hielt in der Bewegung inne. Jammerte er? Beschwerte er sich? Er konnte es nicht fassen – er hörte sich an, wie ein nörgelnder Teenager an?

      „Junge – das ist ihr letzter Wunsch.“ Sachlich richtig. Sie hatte es sich gewünscht. Nicht befohlen. Aber wer schlägt schon einer Todkranken einen Wunsch ab? Er sicherlich nicht. Auch wenn er dafür .... ja, was? Wo sollte er bis Weihnachten eine Frau auftreiben, die ihn auch noch heiraten wollte?

      Freilich, er war nicht hässlich – aber mit den heutigen Vorstellungen, von einem attraktiven Mann, konnte er nicht mithalten. Groß – ja, breitschultrig – ja, na und da hörten die Vorzüge auch schon auf. Der Rest war eher Mittelklasse bis unscheinbar. Mit seinem kleinen Bauch hatte er sich mittlerweile angefreundet. Wenigstens der blieb treu. Weder seine körperliche Arbeit, noch hartes Training konnten in bezwingen. Also musste er bleiben.

      Durch die viele Arbeit im Freien hatte er auch keine glatte und zarte Haut – er trug einen Dreitagebart und „Creme a la Leder“. Da half auch keine noch so intensive Feuchtigkeitscreme. Und über seine Haare brauchte er gar nicht erst zu reden. Was er an Härte im Gesicht hatte, umso weicher waren seine Haare. Locken die ihn immer lausbubenhaft wirken ließen.

      Es mangelte ihn nicht an flüchtigen Bekanntschaften und hier und da eine kleine kurze Liebelei, mehr wollten die Frauen aber auch nicht von ihm. Und er hatte noch keine gefunden, die er für würdig hielt, sie darum zu bitten, bei ihm zu bleiben.

      Blöde Situation.

      Er hielt das Stück Holz in der Hand und betrachtete es ungläubig! Was um alles in der Welt hat er hier geschnitzt?

      Auf seinem großen Handteller lag ein wunderschöner kleiner Hund. Mit welligen Haar und einem entzückenden Halsband. Über sich selbst erstaunt schüttelte er nur den Kopf und steckte die zarte filigrane Figur in seine Jackentasche.

       3. Dezember - Jessica

      Irgendwo in einer mittleren Großstadt in Deutschland

      Sabine hatte ihr wirklich keine Freude mit der Tatsache gemacht, dass die Weihnachtsfeier eine Pflichtveranstaltung war. Schon gar nicht mit der Wichtelei.

      Zwei Stunden hatte sie dafür gestern Abend geopfert und sich durch verschiedene Seiten im Internet gekämpft. Manche Seiten haben sie beinahe zum Erbrechen gebracht – so viel Schnulzerei.

      Eine glorreiche Idee hatte sie natürlich nicht gefunden. Ärgerliche Zeitverschwendung.

      Sie hatte absolut keinen Plan, was sie in das Päckchen stecken sollte. So unangenehm, es war, sie musste unbedingt nochmal mit Sabine darüber sprechen.

      Für ihre Eltern gab es seit Ewigkeiten Standardweihnachtsgeschenke. Ihre Mutter bekam einen Online-Gutschein für ihren E-Book-Reader, Vater ein Gutschein für den Baumarkt nahe ihres Wohnortes und ihre Brüder jeweils die Verlängerung von den so geliebten Stadionkarten. Einzig und allein für ihre kleinen Lieblingszwerge kaufte sie individuelle, meist lehrreiche und teure Geschenke. Sie mochte ihre Nichten, Resi und ganz frisch Paula, und Neffen, Steffen und Max.

      Jetzt saß sie wieder hier in ihrem Büro und versuchte krampfhaft, sich auf die Blätter und Zahlen vor sich zu konzentrieren. Es war ihr erstes Jahr hier in der Firma, das hieß, in der Weihnachtszeit, Wochenenddienst. Zum Jahresende drehten die Firmen mit ihren Abrechnungen leicht am Rad. Es gab aber einen netten Bonus dafür, deshalb war das nicht unbedingt ein Problem.

      Ständig schlich sich jedoch dieses dumpfe Gefühl in ihren Kopf. Es machte sie auf unerklärliche Weise sehr traurig. Schwammige Gedankengänge, lose Fetzen, die nicht immer einen Sinn ergaben. Verschiedene Weihnachtsfeste liefen wie auf einer Kinoleinwand wieder und wieder ab. Ihre Familie fröhlich miteinander vereint. Einige Szenen aus ihrer Kindheit, wo die Welt um sie noch in Ordnung war, dann welche aus ihrer Jugend, wo sie ab und an leicht rebellierte. Und dann die Feste aus den letzten Jahren. Die, wo sie alleine am Tisch saß, wehmütig aus dem Fenster stierte und sich meilenweit wegwünschte.

      Tief atmete sie ein, auf so einen Scheiß hatte sie jetzt absolut keinen Bock.

      Energisch schüttelte sie den Kopf und hoffte so, all die unmöglichen Gedanken loszuwerden.

      „Ich hoffe, du schüttelst nicht über deine Abrechnungen den Kopf. Wir bekommen sonst echt Probleme, wenn die bis Nikolaus nicht stimmen!“ Ohne das Jessica es bemerkt hatte, stand Sabine in der offenen Tür.

      Es war wirklich an der Zeit, etwas zu ändern, sich etwas einfallen zu lassen. So konnte es definitiv nicht weitergehen. War sie schon so verpeilt, dass sie es nicht bemerkte, wenn jemand in den Raum kam? Also wirklich ...!

      „Das würde mir jetzt noch fehlen .... Nein, ich wollte ...“, sie kam gar nicht