Werner Siegert

Die Recherche


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du, was machst du so, mit nem Haufen Zeitungen unterm Arm?“

      „Journalistin! Aber frei – ohne feste Anstellung. Als ich mich dazu entschloss, nach dem Studium, Praktikum hier, Praktikum da und ein paar Reisen, war es zu spät für ein Volontariat. Jetzt muss ich kämpfen ums tägliche Brot.“

      „Und worüber schreibst du da gerade?“

      „Der Chefredakteur hat mir eine Story aufgebrummt. Ich weiß auch nicht, wie der darauf kommt. Ich soll über die Lesbenszene hier in der Stadt berichten.“

      „Ach du liebes Bisschen! Da begibst du dich aber auf ein gefährliches Pflaster! Ausgerechnet du!“

      „Wieso?“

      „Na du, wie du aussiehst, du kommst doch den Vätern voll ins Gehege! Da kannst du mal lernen, was Eifersucht ist. Die kratzen dir die Augen aus! Setz’ dich bloß mal in „Rosas Hütte“! Wenn du dich da nach den Tunten umguckst, kriegste ganz schnell Ärger. Besser du machst selbst auf Tussi. Dann wirst du vielleicht sogar umworben!“

      „Sie kennen sich ja ganz schön aus, wie ich raushöre!“

      „Hab’ ich mal reingeschnuppert. Ich dachte, Frauen gehen mit Frauen besser um, anständiger, respektvoller. Außerdem hatte ich so Illusionen bezüglich schöne Mädchen und so. Man denkt doch an hübsche junge Dinger. Was da rumgesessen hat, da wusste man, weshalb die keinen abgekriegt hatten. Und so überschminkt – der reine Wahn! Das waren ja nur noch Karikaturen, also so richtig das, was man sich unter Tunten und Tussis vorstellt. Da bin ich schnell wieder raus und habe geguckt, dass mir niemand folgt. Vielleicht war ich einfach im falschen Laden!“

      „Aber immer noch interessiert? Vielleicht machen wir uns ja beide an die Recherche für meinen Artikel? Haben Sie Lust dazu?“

      „Eher nicht! Die Lesbenszene pendelt doch zwischen Politik, Feminismus und Schmuddel! Wenn du Kontakt suchst, mit ner hübschen, kultivierten Frau – das ist was anderes. Die findest du nicht in der Szene, sondern im Hilton, Sheraton, bei Möwenpick. Da siehst du sie rumsitzen, allein, Zeitung lesend, rauchend, ihre Einkäufe auf dem Stuhl daneben angehäuft. Daran, dass sie nicht dauernd zur Tür schauen, erkennst du, dass sie nicht auf ihren Macker warten. Die sind allein. Beruf? Teilzeit oder frei – wie du!“

      Schade, dachte sich Bettina. Zu zweit hätte sie sich sicherer gefühlt. Zu zweit hat man mehr Mut, mehr Ideen. Und diese Piggy hatte offenbar schon richtig reingeschnuppert.

      „Hätte gern noch weiter mit Ihnen geplaudert. Aber ich habe noch einen Termin. Vielleicht treffen wir uns ja mal wieder. Falls Ihnen eine Idee für meinen Artikel kommen sollte, hier ist meine Karte!“

      Dieser überraschende Aufbruch kam vor allem für sie selbst, für Bettina überraschend! Sie kannte sich plötzlich selbst nicht mehr! Das mit dem Termin war natürlich gelogen. Nein, sie hatte keinen Termin. Aber sie fühlte sich ganz und gar verunsichert. Wenn sie bei einer Tasse Kaffee gehofft hatte, ihren Frust abzubauen, war das gründlich misslungen. Im Gegenteil – in ihr brodelte es. Diese Frau! Was hatte sie gesagt von wegen allein rumsitzen, Zeitung lesen, nicht zur Tür schauen. Ja, allein rumsitzen – und eigentlich genau auf einen solchen Kontakt warten, auf eine kultivierte Piggy, jemanden zum Plaudern, zum Shoppengehen, jemanden fürs Wochenende, raus an die Seen oder ins Theater. Miss Piggy war ja eigentlich genau richtig! Gerade das jagte ihr Angst ein. Erst der Chef mit seiner Lesbengeschichte – und sich jetzt selbst ertappen.

      Bettina wusste nicht, wohin sie sich wenden sollte. Irgendwie weg. Weg von sich selbst. Hinein in die Hypo-Kunstgalerie! Was anderes sehen, denken!

      Doch selbst das gelang ihr nicht. Heute morgen noch wäre sie völlig unbefangen durch die Räume mit den Gemälden und Skulpturen aus dem bayerischen Barock geschlendert – und jetzt?

      Mandy

      Nein, für Bettina war der Tag gelaufen. Sie stürmte heraus aus dem Musentempel. Wohin? In den Hofgarten! Und weiter in den Englischen Garten! Nur Laufen, Laufen, Laufen. Das Adrenalin musste raus! Noch eine Runde um den Kleinhesseloher See. Am Chinesischen Turm eine Bratwurst? Nein, der Appetit war ihr vergangen. Sie fand einfach keine Ruhe. Mehr noch, ja viel mehr als der Auftrag für die Lesben-Recherche hatte sie getroffen, dass sie ihrer selbst nicht mehr sicher war. Die Lesben-Recherche, das hatte sie in Google schon oberflächlich mitbekommen, konnte sie zu einem wesentlichen Anteil vom PC aus erledigen. 1,4 Millionen Eintragungen fand sie allein unter „Lesben München“. Eine schier unübersehbare Vielfalt bot sich ihr da. Wie Piggy – dieser Name hatte sich an der Namenlosen bereits festgesetzt – ganz richtig vermerkt hatte, hatten Politik und Ideologie das Feld stark beackert. Da gab es die Rosa Liste und jede Menge Emanzentum. Ein, zwei Stunden im Internet, da konnte sie sich einen guten Überblick verschaffen. Dennoch blieb es ihr wohl nicht erspart, auch persönlich in die Szene einzutauchen, um ihre Story mit „human touch“ zu bereichern.

      Dafür eine Kontaktanzeige aufgeben? Dafür gab es jede Menge Angebote. Mit Fotos – wenn man sich in eine der Kontaktbörsen einwählen würde. Das Alter muss man eingeben, das Alter der gewünschten Partnerin. Natürlich den Beruf und Bildung. Etwas Geld würde sie schon investieren müssen, um schließlich an die eine oder andere Lesbe, von der einen Sorte und von der anderen, heranzukommen. Man würde sich treffen, sich beschnuppern. Man konnte sich sogar als „Neu in der Szene“ outen. Sozusagen als lesbische Jungfrau. Aber das und die Bestellung einiger Publikationen erledigte sie wie selbstverständlich mit journalistischer Routine. Mit Sicherheit würde sie dabei ein paar gebrochene Herzen zurücklassen. Oder?

      Dieses Oder ließ sie nicht schlafen. Das waren einfach ein paar Signale zuviel an diesem Tag: Dass der Chef ausgerechnet sie für diesen Artikel ausgewählt hatte, und dass dann noch diese mollige Miss Piggy trotz vieler leerer Tische unbedingt an ihrem Tisch Platz nehmen musste. Wenn sie wenigstens doof gewesen wäre. Aber sie schien ein ziemlich aufgeweckter Typ zu sein. Gepflegt noch dazu. Kontaktfreudig. Ob sie sich melden würde?

      Bettina setzte sich wieder an ihren PC. Sie bestellte das Probeexemplar einer Lesben-Zeitung und gab bei drei Kontaktbörsen ihre Wünsche ein.

      Doch wenn sie glaubte, dadurch nunmehr Ruhe zu finden, weil damit ein paar Weichen gestellt waren, hatte sie sich getäuscht. Lesbisch – was ist das überhaupt? Sind das die Gene? Kann man da gar nicht anders? Oder sehnt man sich nur nach wissender Zärtlichkeit? Möchte man alles Maskuline verbannen? Sich nur von Frau zu Frau austauschen – in jeder Beziehung? Trifft man da eher die im Geschlechterkampf Gescheiterten? Solche, die alle Illusionen über eine liebevolle Partnerschaft von Mann und Frau begraben haben? Aus welchen Gründen? Brutalität? Gewalt? Erniedrigung? Unterwerfung? In einer Kontaktanzeige war ihr die Headline aufgefallen „Ich bin fett – na und?“ Keine Chance mehr, von einem adretten Mann umflirtet zu werden, höchstens von perversen Typen.

      Schon am nächsten Tag fand Bettina eine Reaktion auf eine ihrer Kontaktanzeigen. So schnell? Hatte diese Mandy auch eine schlaflose Nacht mit dem Internet verbracht? Die Stimme am Telefon war angenehm, ein bisschen rauchig heiser. Als Treffpunkt vereinbarten sie den Biergarten am Chinesischen Turm. Kennzeichen: eine große lila Umhängetasche. Kupfergetöntes, gesträhntes Haar. Heller Sommermantel.

      War sie je so aufgeregt, wenn sie sich mit einem Mann verabredet hatte? Nein. Aber das geschah ja auch nicht per Kontaktanzeige. Man hatte sich vorher irgendwo gesehen, gesprochen. Jetzt jedoch war Bettina kurz davor, Angst vor der eigenen Courage zu haben. Herzklopfen bis unter die Kinnspitze. So etwas hatte sie noch nie gemacht. Von Ferne schon erspähte sie die lila Tasche. Musterte die graue Maus dazu. Glatt gekämmte, strähnige Haare, die Kupfertönung ziemlich rausgewachsen, Jeansjacke, hellrosa Bluse. Genau so stellte sie sich eine Hartz-IV-Empfängerin vor. Arbeitslos, mutlos, vor sich ein Mineralwasser auf dem verwitterten Tisch. Unsicher, ängstlich schaute sich Mandy nach allen Seiten um. Und war sehr überrascht, als sich Bettina zu erkennen gab. Bettina im Biergarten-Gewand, Dirndl-Andeutung, nicht zu vornehm, kleines Make-up. Aber immer noch ein paar Klassen über Mandy.

      Wie begrüßt man sich in einer solchen Situation? Wie eine solche Frau, die zusammengekauert wie ein Bündel Hilflosigkeit um 11 Uhr einsam in einem Biergarten verabredet