auch eigentlich nicht, was die da tun. Nur allein sein, allein sein, das wollte ich nicht mehr. Jemanden wie dich neben mir haben, deine Hände, deine Gedanken, wie du mit mir sprichst, das ist schon mehr, als ich erwartet hatte.“
Dann wandte sie sich Bettina zu und umarmte sie. Fest, ganz fest, so dass sich ihre Brüste herausquetschten. So, dass sie beide nach hinten fielen. Und Bettina unter den vollen Brüsten nach Atem ringen musste. Dass sie den salzigen Schweiß auf den Lippen spürte – und genau in dieser Sekunde war es ihr, als ob sich ein Schalter umlegte. Genau in dieser Sekunde! Nein, genau das wollte sie nicht. Genau dagegen stemmte sich in ihr in dieser Sekunde alles. Keine weichen Brüste küssen! Nein, diese Brustwarzen, plötzlich ekelte sie sich davor. Der ausgeleerte, runterhängende BH, diese Entzauberung. Sie versuchte, sich und Mandy wieder aufzurichten. Jetzt nur keinen Fehler machen, keine seelischen Verletzungen, nicht bei Mandy, nicht bei ihr. Nicht Mandy von sich weisen; aber wieder Distanz herstellen. Distanz zwischen den pendelnden weichen, schweißglänzenden Brüsten, den viel zu nahen Lippen, den strähnigen Haaren.
Mandy begriff zunächst gar nichts. Auch ihr war die Situation total entglitten, war ihr peinlich. Umarmen ja, aber mehr doch nicht. Nicht dieses nach hinten Umkippen, diese ungewollte Attacke, wie wohl sie sich immer mal wieder Gedanken gemacht hatte, wie sich von Frau zu Frau die Körper anschmiegen, Brüste auf Brüste, Schenkel auf Schenkel. Aber nun der Kontrollverlust. Der dunkle Schweißfleck auf Bettinas Bluse, ihre hängenden Brüste, der auf den Bauch gerutschte BH. Mit vielen entschuldigen Wörtern, Satzfetzen stand sie auf. Sah wohl die starren, ängstlichen Augen der anderen. Der Fremden. Der Freundin? Und rannte ins Bad unter die Dusche.
Bettina wäre am liebsten sofort geflohen. Nur raus aus der Wohnung. Raus aus der intimen Nähe. Die immer noch intimer wurde, denn Mandy hatte die Tür hinter sich nicht zugezogen. Nackt unter der Dusche. Fragte überdies noch, ob auch Betty schnell eine erfrischende Dusche genießen wolle. Beide nackt? Und man kannte sich erst anderthalb Stunden? Der Schalter war umgeschlagen. Was eben noch im Reich der Phantasien so überaus reizvoll, so süß, so zärtlich, sanft an ihr vorübergezogen war, dieses verführerisch andere, neue Szenario von Erotik, hing nun in Fetzen herab wie der ausgeleerte Push-up-BH. Wie nun sich aus der Affäre ziehen? Ohne Mandy zu verletzen? Ohne sie noch tiefer hinabzustoßen in ihre Verzweiflung?
Mandy aber wusste nichts von diesem Schalter. Ahnte nichts von der umgeschlagenen Sehnsucht. Nichts von Bettinas Zerrissenheit. Unverhüllt trat sie, sich abtrocknend, in den Raum. Geradezu unschuldig – hatten sie sich nicht auf ein Lesben-Inserat hin kennengelernt? Wie sollte sie Scham empfinden, sich gegenüber dieser Bettina nackt zu zeigen? Nein, nun hatte sich für sie das Tor zum Neuen geöffnet. Nun trat sie in ihrer Nacktheit an Bettina heran und wollte ihre schweißgefleckte Bluse öffnen. Nestelte an den Knöpfen. Bettina erlebte sich starr und hilflos. Hob ihre Hände, faltete sie hinter ihrem Kopf. Was tun? Als ob eine andere Bettina neben ihr stehen würde, ließ sie es geschehen. Ließ sie die Knöpfe öffnen. Ließ sie Mandys Hände die Bluse aus dem Rocksaum ziehen. Stand sie nun auch da im rosa BH, ausgeliefert der vermeintlich ersehnten Zärtlichkeit. Nein, Mandy geizte mit den Sekunden. Wollte nicht erst die Häkchen auf dem Rücken lösen, sondern zog gierig die rosa B-Körbchen herab. Bettina hatte nicht viel zu bieten. Ihre Brüste kamen ihr immer als zu dürftig vor. Aber in dieser Körperhaltung sprangen sie förmlich nach vorn.
Erst als sie spürte, wie Mandy ihren Busen gegen ihren zu pressen versuchte, löste sich in ihr die Starre. Nein, nein und nochmals nein – das wollte sie nicht. Und hätte sie es sich noch so oft in Träumen vorgestellt.
„Lass uns nichts überstürzen, Mandy! Nicht so schnell! Nicht gleich alles! Lass mir Zeit!“ flehte sie und entzog sich der engen Umklammerung. Drängte die nunmehr Verängstigte zurück.
„Habe ich was falsch gemacht?“
„Nein, Mandy, aber vielleicht später mal, später. Jetzt nicht. Lass uns reden. Lass uns wieder in den Park gehen oder ins Café.“
Total verunsichert standen sich jetzt die beiden Frauen gegenüber, die Nackte, die schnell nach ihrem Handtuch griff, und Bettina, die ihren BH wieder zu richten versuchte. Ihr Atem ging schnell. Röte stand ihnen im Gesicht. Schweißtropfen.
Am liebsten wäre Bettina gleich aus der Wohnung geflüchtet. Ehrlich wäre es gewesen. Denn der Schalter hatte sich umgelegt. Nein, so wollte sie ihre Recherche nicht weiterführen. Wenigstens das hatte sie bisher erbracht: dass sie keine wirklich lesbischen Neigungen ausleben könne. Phantasien hin, Phantasien her – die Wirklichkeit hatte sie jäh eines anderen belehrt.
Beide tranken noch einen Cappuccino auf der Leopoldstraße. Mandy konnte ihre Tasse nur unter Zittern zum Munde führen, so sehr war sie noch von ihrem untauglichen Ausflug auf unbekanntes sexuelles Terrain mitgenommen. Bettina genehmigte sich noch einen Cognac. Es würde lange dauern, bis sie das alles verkraftet und verarbeitet hätte. Ohne Mandy noch mehr ins Aus zu stoßen. Am liebsten hätte sie die letzten Stunden total ausradiert.
Edwina
Nach dem überaus enttäuschenden und unbefriedigenden Abenteuer mit Mandy war Bettina entschlossen, sich nunmehr fast völlig auf die Internet-Recherche zurückzuziehen. Allenfalls wollte sie ein Szene-Lokal aufsuchen, um dort Atmosphäre zu schnuppern. Das bestellte Lesben-Magazin war noch nicht eingetroffen. Dafür ein Exemplar „GAY“, einer Zeitschrift für Schwule und Schwuchteln, deren Lektüre Bettina nicht sonderlich zu animieren vermochte. Interessant allenfalls der Anzeigenteil, wobei interessant hier als Synonym für amüsant stehen könnte. Nein, in diese Welt auch nur für eine Recherche einzutauchen, widerstrebte ihr aufs Äußerste. Da bekam ihre Seele Pickel.
Insgeheim hatte sie gehofft, dass ihre beiden anderen Kontakt-Suchanzeigen unbeantwortet bleiben würden. Deshalb war sie nicht sonderlich angetan, als sie in ihrer Mailbox eine Nachricht von Edwina Rachmann vorfand, die sie sicherlich sofort gelöscht hätte, wenn sie nicht eindeutigen Bezug auf ihre Suchanzeige erkennen ließ. Erst dachte sie an Miss Piggy, dass die in Wirklichkeit so hieße, aber die hatte ja mit den Suchanzeigen gar nichts zu tun.
Edwina R. stellte sich als Inhaberin einer Boutique „GLAMOUR TOO – Outlet und Second Hand“ in Schwabing vor. Sie sei allerdings nur an Gesprächen und am Erleben „mit Niveau und Stil“ interessiert. Offenbar eine andere Klasse als Mandy, die Arbeits- und Orientierungslose.
So startete Bettina diesmal nicht im Trachtenlook, sondern in ihrem Business-Outfit: Hosen-Kostüm mit Nadelstreifen. Hellblaue Bluse. Gelbes Halstuch. Zunächst begab sie sich in eine Beobachterposition. Versuchte, hinter einer Straßenecke die Lokalität in Augenschein zu nehmen. Die Boutique strahlte wenig Glamour aus und war viel kleiner, als sie sich das vorgestellt hatte. Zwei kleine Schaufenster. Vor einem ein rollbarer Ständer mit im Wind schaukelnden Sonderangeboten. Vor dem anderen ein kleiner Wühltisch. Bettina wollte eigentlich abwarten, bis mindestens zwei Kundinnen den Laden betreten hatten, um dann wie eine weitere Kundin hineinzugehen und Zeit zu gewinnen, sich umzusehen. Das aber dauerte ihr dann doch zu lange. Nachdem eine junge Frau sich ein Kleid von der Stange gegrabscht hatte und damit im Laden verschwunden war, suchte auch Bettina sich eine Hemdbluse in ihrer Größe – nicht um sie zu kaufen, sondern um etwas in der Hand zu haben. Eine Art Vorwand, überhaupt das GLAMOUR TOO zu betreten. Vom Inneren war sie überwältigt. Nicht nur, dass alles äußerst geschmackvoll und mit viel Stil dekoriert war: Das Ladenlokal führte weit nach hinten, etwa in eine Tiefe von zwei großen Zimmern. Punktscheinwerfer lenkten die Blicke auf kostbare Kombinationen. „Unbezahlbar“ war Bettinas erster Eindruck, ehe sie die Preisschilder las. Wie konnte es sein, dass Frau Rachmann solche edlen Gewänder zu so günstigen Preisen verkaufen konnte?
Edwina, wenn sie es denn war, nahm der jungen Kundin das Kleid ab, hielt es ihr vor den schlanken Körper, ließ einen Tageslichtstrahler aufflammen und schüttelte den Kopf. „Glauben Sie wirklich, dass Ihnen dieses Kleidchen stehen wird? Wollen Sie nicht mal noch etwas anderes probieren? Sie sind so jung, so attraktiv – da könnte zum Beispiel mit diesem Kleid hier Ihre Figur hervorragend zum Ausdruck kommen, farblich abgestimmt auf Ihren Hauttyp und Ihre Haarfarbe!“
Edwina? Eine überaus schlanke Erscheinung, mit sehr dunklen Haaren, hinten zu einem großen Dutt