Elisabeth Eder

Die Wächter


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des Trolls machten diesen Moment unvergesslich.

       „Erich“ Lya verschluckte das Zittern ihrer Stimme gekonnt. „Hiermit schlage ich dich zum ersten Ritter Phyans unter meiner Herrschaft.“

       Als sich der Krieger erhob und Lya ihm sein Schwert gab, löste sich etwas in ihr. Sie hatte getötet. Das schlechte Gewissen nagte in ihrer Brust, aber hätte sie nicht getötet, hätte sie einen Krieger – und Freund – verloren. Lya blickte kurz zu dem Verstorbenen. Sie erinnerte sich daran, wie sie als Leopard Tiere gefressen hatte, wie die Räuber unbarmherzig ihre Eltern getötet hatten, wie sie Tiere erlegt hatte, um zu jagen, wegen dem simplen Gefühl des Hungers.

       Und sie hatte den Troll ebenfalls getötet, weil sie musste, aber aus einem anderen Grund. Sie hatte Erich das Leben gerettet.

       Langsam verstand sie, was das Mondlicht – oder ein Geist? Diese unmöglichen Dinge schienen ihr immer wahrscheinlicher zu werden – ihr zugeflüstert hatte. Wenn es nötig war, musste man töten. Dazu fiel ihr eine der unzähligen Lehren von Java ein: „Tiere töten auch, wenn es nötig ist. Um ihre Jungen zu verteidigen, wenn sie angegriffen werden, um sich zu ernähren. Der Tod ist ein natürlicher Teil des Lebens. Aber vergiss nicht. Tiere töten, weil sie es müssen. Einige Menschen töten, weil sie Spaß daran haben. Das ist gegen jedes Gesetz.“

       Sie würde sich nie ganz damit anfreunden können. Sie tötete, weil sie es musste.

       Lya atmete aus und hob den Quersack auf. Als sie aufsah, war ihre Entschlossenheit größer als nie zuvor. Zum ersten Mal war sie bereit, die Verantwortung auf ihren Schultern zu tragen.

       „Gehen wir.“

       Und Lya übernahm die Führung der Gruppe.

       14 Soldaten

      Donnerhuf wieherte, als er einen langen Sprung über die Felsen machte. Sein Reiter klammerte sich an die Zügel und duckte sich tief im Sattel. Bäume zischten an ihnen vorbei, während sie den schmalen Pfad entlang ritten.

       Hinter Kai ertönte das Gebrüll der Soldaten und das Schnauben ihrer Schlachtrösser.

       Panisch warf er einen Blick nach hinten. Sie hatten aufgeholt und einige zückten gefährlich aussehende Armbrüste.

       „Schneller!“, rief er Donnerhuf zu, in der Hoffnung, das Pferd würde ihn verstehen.

       Donnerhuf vollführte einen wilden Haken und kam auf eine breite Straße. Kai schluckte, als er sah, wie die Bäume sich links und rechts vor ihnen auftürmten … und plötzlich waren sie vor den Toren eines gewaltigen Holzbaues. Bewaffnete Soldaten standen davor und brüllten: „ Hey – du da! Bist du geflohen?!“

       Kai warf einen kurzen Blick hinein. Männer trainierten mit Schwertern, Lanzen, Bögen. Einer der Soldatentrainer knüppelte gerade einige Jungen nieder. Donnerhuf scheute, stellte sich auf die Hinterbeine und schlug wiehernd mit den Vorderhufen in Richtung der aufgewühlten Erde und der Kämpfenden, die auf dem Rücken einiger Pferde gegeneinander antraten. Blut beschmutzte den Boden, aus unzähligen Wunden floss diese Flüssigkeit und ließ Verwundete, die am Boden lagen und nicht mehr aufkamen, qualvoll schreien.

       „Wir reden mit dir, Soldat!“, brüllten die Männer.

       Kai zuckte zusammen. Deshalb also verfolgten sie ihn. Er hatte die Soldatenrüstung und ritt ein Schlachtross. Vermutlich dachten sie, er wäre ihrem Ausbildungslager entkommen und auf der Flucht. Kai schluckte, als ihm die Gerüchte einfielen, die ihm zu Ohren gekommen waren, über die unmenschlichen Sitten dort, über die ständige Angst, über die Krankheiten und die schrecklichen Ausbildner.

       Wenn sogar Donnerhuf davor Angst hatte …

       Hinter ihm hörte er Hufgetrampel. Ehe er jedoch einen weiteren Entschluss fassen konnte, stieß Donnerhuf ein schrilles Wiehern aus und wandte sich nach links. Kai hatte gerade Zeit, einen Blick zurückzuwerfen und zu sehen, dass die Armbrustmänner zielten, als Donnerhuf in wildem Galopp in den Wald türmte.

       „HALT!“

       „STEHEN BLEIBEN!“

       „ZIELEN!“

       Dunkle Äste verschwammen in Kais Sichtfeld. Der unebene Boden raste unter ihm vorbei. Donnerhuf suchte sich einen Weg zwischen den Bäumen. Kais Schultermuskeln spannten sich an. Ängstlich versuchte er irgendwo die Soldaten auszumachen, aber er hörte nur das Rascheln, als sie durch das Gebüsch ritten und die verschiedenen Rufe auf allen Seiten. Verdammt, da mussten überall solche Posten verteilt sein!

       „SCHIESSEN!“

       Scharfe Geräusche ertönten. Kai duckte sich tiefer im Sattel, fühlte Donnerhufs Muskeln, seinen vertrauten Ritt. Fast schien es ihm, als würde er mit seinem Pferd verschmelzen. Ein dumpfes Geräusch zu seiner Linken. Kai sah aus den Augenwinkeln, wie ein Pfeil in einem der Bäume steckte. Schrill wiehernd sprang Donnerhuf über einige Felsen und befand sich auf einer Lichtung, die voller Gras war. Panik wallte in Kai auf. Er nahm die Zügel fest in die Hand und trieb Donnerhuf so rasch es ging voran. Wieder ertönten die scharfen Geräusche, etwas zischte knapp an ihm vorbei.

       „ARGGHHH!“

       Bohrender Schmerz in seinem Oberschenkel. Er fühlte, dass etwas Kaltes in die Haut gestoßen wurde. Das lederne Wams fing ein wenig von dem Stoß ab, aber Kais Finger lockerten sich um die Zügel und er verlor beinahe den Halt, als Donnerhuf ihn erneut herumriss, indem er eine scharfe Kurve nach rechts machte. Kai fühlte Blut über sein Bein rinnen, seine Muskeln verkrampften sich, Schweiß bahnte sich Wege über sein Gesicht. Augenblicklich entlastete er das pochende Bein und warf sich nach vor. Er klammerte sich mit beiden Armen an Donnerhufs Hals, hörte das Triumphgebrüll hinter ihm, das wilde Wiehern der Pferde und schloss die Augen. Seine Stirnfransen fielen hart im Lauftakt von Donnerhuf völlig durchnässt in sein Gesicht. Die Schmerzen wurden beinahe unerträglich. Kais Herz trommelte schmerzhaft gegen seine Brust.

       „ANLEGEN!“

       Donnerhuf durchdrang irgendein Gebüsch, Kai fühlte Äste an seinen Beinen streifen und hörte das Rascheln. Wiehernd machte er einen Sprung. Der Junge wagte es, die Augen zu öffnen und starrte auf den breiten Pfad, den Donnerhuf eingeschlagen hatte.

       ‚Nein …‘, dachte er und richtete sich vorsichtig auf. „ZIELEN – SCHIESSEN!“ Kai packte die Zügel und riss Donnerhuf herum, sodass er wieder in den wilden Wald sprang. Die Pfeile verfehlten ihn und gaben Kai dadurch neuen Mut. „HÜA! LOS!“ Donnerhuf schnaubte und wurde tatsächlich schneller. Er sprang über umgestürzte Bäume und landete mit einem lauten Platschen im Wasser. Kai fühlte die angenehme Kühle an seinem Bein und sog tief die Luft ein. Donnerhuf galoppierte unerschrocken weiter, als sie aus dem Fluss herausgekommen waren. Tiefer in den dunkelgrünen Wald. „ZIELEN!“ Die Rufe klangen sehr leise. In Kais Herz entflammte das Feuer der Entschlossenheit und er trieb Donnerhuf rascher voran. Der düstere Wald schien ihm auf seltsame Weise vertraut. Grinsend warf er sich die Haare aus der Stirn und blickte zurück. Weit und breit war niemand zu sehen.

      Gen Abend hielten sie an einem Fluss. Donnerhuf trank gierig und Kai sank müde aus dem Sattel. Er hinkte zum Wasser, kniete sich umständlich nieder und wusch sich das Gesicht. Dann starrte er auf sein Spiegelbild. Die Haut zog sich straffer über seine Wangen und die Augen lagen in dunklen Höhlen. Das Dunkelgrün seiner Augen sah aus wie das einer wilden Schlingpflanze, seine zerzausten Haare erinnerten an die trockenen Steppen, in denen er vor einer Ewigkeit gewesen war.

       Schließlich holte der Dieb tief Luft und wagte einen Blick zu dem Pfeil, der noch immer in seinem Oberschenkel steckte.

       Getrocknetes Blut klebte auf seiner Hose und hatte das dünne Holz durchsetzt. Entschlossen, aber mit zitternden Fingern packte er das Ende des Pfeiles, schloss die Augen und zog ein Stück.

       „Arrgh!“

       Keuchend riss er die Augen auf. Sofort stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Es fühlte sich an, als würde er sich das Fleisch von der Haut schälen. Zitternd machte er weiter, drehte vorsichtig den Schaft und ignorierte den Schmerz. Er biss sich fest auf die Lippen und unter Schmerzenslauten und Schweiß schaffte er es.

       Er warf den Pfeil weg, ehe er