Elisabeth Eder

Die Wächter


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sich einige Meter weiter. Daneben waren große Tiere mit zwei Höckern angebunden, die friedlich ein paar trockene Sträucher kauten. Ihr Fell war sandgelb und kurz. Kai musterte einen Moment diese ungewöhnlichen Tiere, dann wandte er sich ab, denn direkt hinter dem Zelt des Häuptlings war eine kleine Oase.

       Braune Stiele ragten staubig in die Luft, während lange, grüne Blätter davon abstanden. Sie bildeten ein kleines Dach und spendeten Schatten. Kai hatte gehört, dass diese Bäume Palmen hießen. Sie standen um einen kleinen, blauen Teich. Zwischen den Palmen wuchsen große Sträucher, an denen orangene Früchte hingen.

       Kai kniete sich an das sandige Ufer in den Schatten einer Palme, tauchte die Schüssel ein und trank gierig von der herrlichen Flüssigkeit. Sein Blick wanderte derweil durch die Gegend. Um ihn herum war nur die trockene, rotbraune Erdlandschaft. Hie und da lag ein Felsen, hie und da stand ein einsamer Baum, es gab kleine Ansammlungen von Sträuchern, die kaum Blätter trugen. Allerdings konnte er entfernt verschwommen die grauen Berge sehen, die hoch in den Himmel ragten. Sein Blick wanderte weiter und er blickte in die Richtung, in die er reisen musste. Dort war also Norden. Dort begannen die Wälder. Irgendwann …

       Er wusch sich sein Gesicht und seine Hände, betrachtete die Zelte. Inzwischen waren ein paar Frauen herausgetreten. Sie trugen helle Kleider und Halsketten, Armbänder und Fußbänder mit Holzperlen. Das schien hier Mode zu sein, außerdem hatten einige Tücher um ihre Köpfe gewickelt.

       „Hey, da ist ja unser Verletzter!“

       Kai sah auf. Jain und Theo kamen auf ihn zu. Sie trugen – wie immer – ihre hellen Hemden und ließen sich neben ihm nieder.

       „Du leuchtest nicht mehr wie Feuer, das ist schon mal was“, grinste Theo.

       „Und seine Haut ist braun geworden, jetzt glitzert sie sogar“, fuhr Jain fort. „Wie eine kleine Fee.“

       „Ha-Ha“, brummte Kai und lehnte sich gegen die Palme hinter ihm. „Was habt ihr so früh gemacht?“

       Theo lächelte diebisch. „Gejagt.“

       Kai hob eine Augenbraue und fragte: „Geht ihr eigentlich den ganzen Tag nur Jagen?“

       „Die Nahrung ist knapp“, sagte Jain.

       „Die Mäuler hungrig“, erklärte Theo ernst.

       Kai lachte. „Natürlich, ihr müsst für das gesamte Dorf jagen, die anderen Männer schaffen es ja nicht!“

       „Klar“, sagte Theo sofort. „Wir sind die Helden der Nomaden!“

       Kai rollte mit den Augen und lachte. Die anderen beiden stimmten mit ein.

       „Dir geht’s wieder besser?“, fragte Jain schließlich, als Kai eine Weile geschwiegen hatte.

       Er zuckte mit den Schultern. „Geht so.“

       „Komm, wir müssen dir etwas zeigen“ Theo sprang auf. „Es treibt Vater immer in den Wahnsinn, aber wenn wir uns beeilen, sind wir rechtzeitig dort.“

       „Wo?“ Neugierig stand Kai auf.

       „Sattle dein Pferd! Zaumzeug und Sattel liegen neben unserem Zelt! Wir holen derweil unsere, gut?“

       Jain winkte ihm noch kurz zu.

       Kopfschüttelnd holte Kai den Sattel und das Zaumzeug und lief zu dem kleinen Pferch, wobei er das Zeltlager durchqueren musste. Ihm wurden hie und da interessierte Blicke zugeworfen, völlig anders als in der Stadt, wo man ihn als Straßenkind, Dieb, Streuner und Halbelf immer schief beäugt hatte. Die Pferde der Nomaden waren gescheckt und kleiner als die, die Kai sonst immer in Jamka gesehen hatte. So konnte er den schwarzen, riesigen Hengst leicht zwischen den anderen ausmachen. Das Pferd graste gerade friedlich neben einer weiß-braunen Stute.

       „Donnerhuf!“, rief er leise.

       Der Rappe blickte auf und schnaubte, dann trabte er gemächlich auf ihn zu. Kai streichelte Schnauze und Stirn seines Pferdes, ehe er den Pferch öffnete und Donnerhuf hinausließ. Der Hengst blieb ruhig neben ihm stehen, als Kai ihm das Geschirr anlegte und sich hinaufschwang.

       Dann trabte er wieder zu der kleinen Oase.

       Jain und Theo warteten auf weiß-schwarz gefleckten Pferden und grinsten spitzbübisch.

       „Wer schneller bei den großen Felsen ist!“, riefen sie und preschten los.

       Kai fluchte und drückte Donnerhuf die Knie in die Flanken. Sofort verfiel das Pferd in einen wilden Galopp. Die beiden rasten auf die Zwillinge zu, die einen beachtlichen Vorsprung gewonnen hatten. Wind peitschte ihm die Haare aus dem Gesicht, er bewegte sich mit Donnerhufs Galopp mit. Die öde Landschaft raste an ihm vorbei und er stieß einen Freudenschrei aus. Endlich fühlte er sich frei!

       Die Pferde wirbelten große Staubwolken auf. Kai hustete, als er Jain und Theo näher kam. Vor ihm ragten riesige, rote Felsen auf, die wie Striche aus dem Boden wucherten. Büsche und Gräser wuchsen vereinzelt darauf.

       Kai überholte Jain und Theo und lachte ihnen im Vorbeireiten zu. Immer näher kamen die Felsen und Donnerhuf beschleunigte sein Tempo, als er die Vorfreude seines Reiters spürte. Schließlich bremste Kai sein übermütiges Pferd ab. Theo war schneller als sein Bruder und jubelte noch darüber, als sie die Pferde hinter einigen Felsen festbanden. Schließlich verfielen sie in eine spielerische Rangelei.

       „Gut …“ Keuchend befreite sich Theo aus dem Schwitzkasten seines Bruders. „Gut … aufhören …“

       „Du gibst also auf!“, lachte Jain und grinste breit.

       „Niemals!“, sagte Theo sofort.

       Jain schüttelte den Kopf und wandte sich Kai zu: „Er hat viele Visionen, der Kleine … Na ja, ist auch egal. Siehst du die breite Fläche da oben? Wir klettern immer hinauf und oben –!“

       „Verrats nicht!“ Theo stieß seinen Bruder in die Seite. „Er wird es dann schon sehen.“

       „Dann stoßt ihr mich runter, oder was?“, fragte Kai belustigt.

       „Vollkommen richtig“, sagte Jain ernst und Theo drängte ihn nun zur Seite und sagte: „Was er damit sagen will: Kletter!“

       „Ihr seid sehr motivierend“, murmelte Kai und rollte mit den Augen, aber seine Mundwinkel zuckten verräterisch. „Nach euch.“

       Jain erklomm die ersten Ritzen, danach stieg Theo hinauf. Kai folgte ihnen. Er spürte, wie seine Arm- und Beinmuskeln anfingen zu protestieren, denn sie waren eine zu lange Ruhepause gewöhnt gewesen. Oder lag es daran, weil er noch nicht fit genug war?

       Er suchte sich Ritzen und hervorstehende Felsen. Die Sonne brannte in seinem Nacken, Schweiß tropfte von seiner Stirn und einige Male wurde ihm schwindelig. Dennoch kletterte er am Ende mühsam über die Kante und richtete sich taumelnd und keuchend auf.

       Der Anblick, der sich ihm bot, war gewaltig.

       Er blickte über die Weiten der Steppe, über Grasansammlungen, Herden von Antilopen, Rudeln von Hyänen und einigen Löwen, über rotbraune Felskonstellationen, bis zu den Ausläufern der Steppen, wo die saftigen, grünen Wiesen begannen.

       „Das hat sich gelohnt“, flüsterte er.

       „Hey, Soldatenjunge, komm mal!“, rief Jain und winkte ihn hinüber. Er stand bei einer kleinen Höhle, die in den Fels gehauen war. Kai ging zu ihm und bewunderte immer noch den fantastischen Ausblick, der sich ihm bot.

       In der Höhle lagen einige Schlafmatten, Bögen, Köcher mit Pfeilen, Schwertern und Helme. Außerdem sprudelte eine Wasserquelle aus einem Felsen und versickerte im Erdboden, aber ein dünnes Rinnsal blieb. Jain hockte daneben und wusch sich das Gesicht, Theo hatte sich einen Helm geschnappt und hielt ihn unters Wasser: „Nimm auch einen. Wir warten auf eine Herde und dann geht es los!“

       „Ihr wollt den Tieren Wasser auf den Kopf schütten?“, fragte Kai und seufzte. „Wie alt seid ihr? Drei?“

       „Sechzehn, um genau zu sein. Du kannst dir nicht vorstellen, wie langweilig das Leben hier ist“, erklärte Theo und grinste. „Außerdem muss jemand für Abwechslung sorgen und diese Aufgabe bleibt an uns Helden hängen.“ „Klar“ Kai hob