Lechyd Zdravi

Die schlechtesten Geschöpfe


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Wir sind nicht getauft worden und eine Bibel gibt es hier auch nicht. Besser Christ sein als gar keine Religion zu haben. Aber am allerbesten ist es, Gottes überlieferten Worten zu folgen und den Koran zu lesen. Selbst die Bibel ist nämlich verfälscht worden.«

      »Ja? Ach ...«, murmelte Steffi.

      »Ja. Das Kommen unseres Propheten wurde nämlich in der Bibel und der Thora vorausgesagt, aber aus beidem einfach entfernt.«

      »Aha.« Steffi zwirbelte die Haarsträhne.

      Andy musterte sie scharf, sah, dass ihre Aufmerksamkeit mal wieder abschweifte, und nickte.

      »Schon gut. Für heute reicht das. Häng einfach keine Bilder mehr auf, okay? Und ich, ich muss jetzt beten. Es wird Zeit.«

      »Du ... du bist schon richtig konvertiert und so?«, fragte Steffi und sah ihren Bruder mit einer Mischung aus Neugier und Unverständnis an.

      »Ja. Ich bin mit Metin in der Moschee gewesen ... und es war unvergleichlich. Es fehlt nur noch ein kleiner chirurgischer Eingriff. Aber da kümmere ich mich noch drum.« Andy ging zur Tür.

      »Chirurgischer Eingriff? Gehört das zum Konvertieren mit dazu?«, fragte Steffi entsetzt.

      »Ja. Aber nur bei Männern«, erwiderte Andy, zwinkerte seiner kleinen Schwester zu, und schloss die Tür.

      Wenig später öffnete er sie wieder und warf ihr einen Müllbeutel zu.

      »Ach, übrigens, Skulpturen sind auch verboten«, erklärte er und wies auf Steffis Pferdeporzellanfigur, die in ihrem Regal stand. Es war ein Abschiedsgeschenk von Anja gewesen, weil Steffi Luke, Anjas Pferd, nun nicht mehr sehen konnte. Andy warf die hübsche, kleine Figur heftig auf den Boden. Sie zerbarst in tausend Scherben. Steffi fuhr zusammen und starrte ihrem Bruder, der leise summend die Tür schloss und sich entfernte, verständnislos hinterher.

      Sie schluckte schwer und klaubte die Reste ihrer Bilder und die Porzellanscherben zusammen. Sie warf sie in den Müll, während ihr Bruder nebenan betete.

      Andrea F.: Die Stille

      Am schlimmsten ist die Stille.

      Ich wache morgens auf, und spüre schon, dass ich allein bin. Das Bett fühlt sich leer an. Ich beziehe beide Decken und Kissen, als ob er noch da wäre. Aber ich merke es trotzdem. Es ist das schrecklichste Gefühl auf Erden. Diese Gewissheit, dass er nicht mehr da ist und auch nie mehr wiederkommen wird.

      Jörg starb damals, weil ihm ein Metallteil aus einem der Stände an den Kopf flog. Es war wie ein Geschoss, haben sie mir gesagt, Jörg hat nichts gespürt. Er war sofort tot. Aber sie rieten mir dringend davon ab, seine Leiche anzusehen. »Behalten Sie ihn in Erinnerung, so wie Sie ihn kannten.« Er muss also völlig entstellt gewesen sein.

      Beim Bestattungsinstitut wurde ich gar nicht erst gefragt, ob ich einen offenen Sarg bei der Trauerfeier wünschte.

      Seitdem habe ich immer dieses Bild vor Augen: Jörgs Körper ohne Kopf. Er trug damals die beige Jacke mit Lammfellfutter, eine schwarze Jeans und Wildlederstiefel. Als es knallte, hatte Bernd, sein Chef, der uns gerade über den Weg gelaufen war, eine launige Bemerkung gemacht. »Na, das Weihnachtsgeld verbraten, was?«, so in der Art. Jörg hatte genickt, gegrinst und in die Bratwurst gebissen. Kleine Dampfwölkchen kamen aus seinem Mund. Etwas Senf hing in seinem Mundwinkel, seine Augen waren halb geschlossen. Er hatte zum Friseur gemusst und es nicht mehr geschafft, deswegen blinzelte er, weil eine Haarsträhne aus der Stirn ihm ins Auge geweht wurde. Das weiß ich noch. Es ist das letzte Mal, dass ich sein Gesicht sah. Dann spürte ich eine ungeheure Wucht, wie eine riesige Faust, die mich wegschleuderte. Und dann die Hitze. Aber es fühlte sich nicht an wie Hitze, es war im ersten Augenblick beinahe wie Kälte. Etwas, das die Haut sich zusammenziehen lässt. Warum ich noch lebe, weiß ich nicht. Es ist mir auch egal. Es wäre mir lieber gewesen, ich wäre auch gestorben. Aber mein linker Arm, mein linkes Bein und die linke Hälfte meines Gesichts und meines Körpers erlitten „nur“ starke Verbrennungen.

      Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich mit diesem Restleben anfangen soll. Ich gehe zum Neurologen und zur Therapie, schleppe mich in Selbsthilfegruppen, schlucke Antidepressiva und Schmerzmittel, lasse mich operieren. Ich habe schon vergessen, wie oft ich unterm Messer war. Alles ist wie in einem Nebel. Abends, wenn es am schlimmsten ist, ertappe ich mich dabei, dass ich auf Jörg warte. Und dann wird es mir wieder bewusst: Er ist tot, er wird nicht mehr zur Tür hereinkommen. Und seine T-Shirts, Socken und Unterhosen, die ich an dem Tag noch schnell aufgehängt hatte, damit wir abends zu seinen Eltern fahren und Weihnachten zusammen feiern konnten, wird er nie wieder tragen. Aber ich bringe es nicht über mich, sie abzunehmen und wegzulegen ... oder den Rest seiner Kleidung wegzugeben. Das wäre, als würde ich ihn noch einmal umbringen. Es waren doch seine Sachen ...

      Andrea F.

      Der schwarze Hund

      »Andy ...?« Steffi lugte vorsichtig zur Tür herein. Andy kniete auf einem kleinen Teppich und verneigte sich, so sah es für Steffis verwirrte Augen jedenfalls aus, vor seinem CD-Regal. Da sah sie, dass das Regal fort war. Die Wand war nun recht kahl.

      Andy setzte sich auf und sah seine kleine Schwester ärgerlich an.

      »Was ist denn?«

      »Ich wollte dich was fragen.« Zögerlich kam Steffi rein. Früher hätte sie zu jeder Tages- und Nachtzeit hereinkommen können. Aber jetzt sah Andy so wütend aus, dass sie sich beinahe vor ihm fürchtete.

      »Wenn ich störe ...«

      »Jetzt ist es sowieso egal. Wenn während des Gebets eine Frau vorbeikommt, ist das ganze Gebet für die Katz. Ich muss noch einmal von vorn anfangen.«

      »Echt? Entschuldige! Das wusste ich nicht!« Steffi schloss die Tür. Ihre Mutter sollte möglichst nichts mitbekommen. Die war auf Andys Konversion nicht gut zu sprechen und seit Tagen schlecht gelaunt.

      »Was wolltest du mich denn fragen, Kleines?« Andy setzte sich auf sein Bett und winkte Steffi heran. Die setzte sich neben ihn.

      »Ich wollte wissen, ob du irgendwem von mir erzählt hast.«

      »Wieso?«

      »Weil heute drei von den Kopftuch - Mädchen zu mir gekommen sind, die mich sonst immer nur ignoriert haben. Die waren auf einmal total nett! Haben mir türkischen Honig angeboten und sagten, dass ich sie mal besuchen soll.«

      »Ich habe Metin von dir erzählt, und dass du jetzt im Koran liest. Das fand er toll. Und da du noch so jung bist, und noch Jungfrau, können wir für dich einen guten Mann finden, wenn du erwachsen bist.«

      »Äh, Moment! Ich habe doch noch gar nicht vor, zu konvertieren!«

      »Aber du liest im Koran, oder? Wie kann man im Koran lesen und nicht konvertieren wollen?«, fragte Andy streng. Steffi zwirbelte eine Haarsträhne.

      »Das ist voll komisch geschrieben. Du weißt doch, dass ich nicht gerne lese!«

      »Ach ja«, seufzte Andy, »deine Aufmerksamkeitsspanne ist ja die eines Goldfisches. Trotzdem solltest du inzwischen die ersten Seiten gelesen haben. Hast du nach den Ahadith gegoogelt?«

      »Ja, etwas ...«

      »Na also!«

      »Naja ... ich habe auch Leute gefunden, die den Islam nicht so toll finden.«

      Andys Miene wurde finster. Steffi erschrak.

      »Das sind Götzendiener, Heiden, Ungläubige. Wenn du im Koran richtig lesen würdest, wüsstest du, was das für Menschen sind! Und was mit ihnen passiert! Es steht geschrieben, dass sie versuchen werden, die Gläubigen vom Islam abzubringen! Und den Koran als Lüge bezeichnen! Du liest mir nie wieder so etwas, hörst du? Solche Seiten sind gottlos!«

      »Du willst mir das jetzt echt verbieten?«

      »Ja.«

      »Das ist doch wohl ein Witz?«

      »Nein. Hör