Lechyd Zdravi

Die schlechtesten Geschöpfe


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erklären. Ich habe es nur zu deinem Besten gemacht.«

      »Hä? So ein Quatsch!«, rief Steffi. »Was soll das denn!«

      »Die Engel kommen nicht in ein Haus, in dem Bilder von lebenden Wesen hängen«, erklärte Andy und riss das Robbenposter sorgfältig in kleine Stücke. »So steht es geschrieben.«

      »Ach, so ein Scheiß!«, rief Steffi. Andys mitleidiges Gesicht verfinsterte sich und er schlug seiner kleinen Schwester über den Mund. Nicht sehr fest, aber spürbar. Steffi stieß einen entsetzten Schrei aus und wich zurück.

      »Ich kann es nicht dulden, dass du so über meinen Glauben redest«, erklärte Andy ruhig. »Der Koran ist Gottes größtes Geschenk an die Menschheit, und Mohammed war der letzte Prophet, den er entsandte. Ich könnte es nicht ertragen, dass du zur Hölle fährst. Du kannst dich noch retten.«

      »Hölle ... hä ... was ...?«

      »Ich war auch erst so verwirrt.« Andy lachte. »Hör zu, Kleines. Ich weiß ja, dass du dich nur schwer auf etwas konzentrieren kannst. Also erzähle ich dir das Wichtigste. Der Islam ist eine sehr schöne Religion. Wusstest du, dass Tierquälerei darin verboten ist?« Er deutete auf die Überreste des Greenpeace Posters.

      Steffi schaute ihren Bruder verdutzt an. »Echt? Das ist ja cool!«

      »Ja. Es steht in den Hadithen geschrieben, dass Tierquäler von Allah verflucht sind. Und es zählt auch als gute Tat, wenn man Tieren etwas Gutes tut. Ein Mann, der Durst hatte und aus einem Brunnen trank, bemerkte einen durstigen Hund und gab ihm etwas Wasser. Daraufhin vergab Allah ihm alle Sünden. Die Gläubigen fragten den Propheten, ob sie auch für gute Taten an Tieren belohnt werden würden, und er antwortete: für gute Werke an allen Lebewesen. Eine Frau, die eine Katze einsperrte und verhungern ließ, kam dafür in die Hölle. Und einer Prostituierten, die einem Hund Wasser gab, wurden ebenfalls ihre Sünden vergeben. Du siehst also, dass diese Religion gut ist. Der Katholizismus, der Tieren keine Seele zugesteht und zum Thema Tierquälerei gar nichts sagt, könnte sich da mal eine Scheibe von abschneiden, oder? Du weißt, wie schlimm es beispielsweise in Spanien ist. Deswegen machen wir doch nie Urlaub da. Weil du das nicht willst.« Andy legte Steffi behutsam den Arm um die Schultern. Sie wehrte sich nicht.

      »Schon ... das ist toll ... aber ... also, ich habe keine Lust, mit Kopftuch rumzulaufen. Ich finde, ich muss mich nicht vor den Männern verstecken.«

      Andys Gesicht verhärtete sich unmerklich, aber seine Stimme blieb liebevoll.

      »Das Kopftuch schützt dich und bewahrt dir deine Würde. Der Prophet sagte, von einer Frau solle man nur Gesicht und Hände sehen. Und im Koran steht, dass eine Frau sich bedecken soll, damit sie als Muslima erkannt und nicht belästigt wird. Im Haus musst du ja kein Kopftuch tragen.«

      »Ich will auch draußen keins tragen. Wieso soll ich auch? Die Männer könnten ja weggucken, wenn meine Haare die so antörnen. Außerdem, was ist denn so toll an meinen Haaren, dass die sofort lossabbern? Nee, kein Kopftuch. Im Sommer komme ich ja um vor Hitze, und ich finde, man sieht damit total blöd aus.«

      Andy presste kurz die Lippen zusammen.

      »Nun, fangen wir erst einmal klein an, okay? Keine Bilder mehr, kein Schweinefleisch und keine tiefen Ausschnitte, keine kurzen Röcke.«

      »Äh, ich mag kein Fleisch, schon vergessen? Ich esse keine Tiere. Aber konvertieren will ich nicht, davon habe ich nichts gesagt.« Ihr Blick fiel auf ein weiteres Häufchen Papier, und sie brach wieder in Tränen aus.

      »Du hast ja auch unsere Bilder aus Dänemark zerrissen!«

      »Keine Fotos mehr mit Lebewesen darauf!«

      »Da ist doch nur Strand drauf!«

      »Da sind ein paar Möwen, siehst du?«

      »Aber ...«

      »Nein, Steffi. Wenn du irgendetwas aufhängst, auf dem Lebewesen abgebildet sind, werde ich es kaputtmachen. Fertig, Punkt. Verstanden?«

      »Du hast gar kein Recht ...«

      »Ich bin dein großer Bruder. Ich trage Verantwortung für dich.«

      »Und Mama?«

      »Ha!« Andy schnaubte verächtlich, »die hat von Verantwortung ja noch nie etwas gehört!«

      »Es ist mir egal, ob du mein großer Bruder bist, ich kann machen, was ich will!«, rief Steffi.

      »Ja, genau das ist es, was in diesem Land falsch läuft!«, brüllte Andy. Steffi zuckte zusammen. »Jeder denkt, er könne machen, was er will! Es ist aber nicht so! Gott hat uns sehr genau gesagt, was wir machen dürfen, und was nicht! Und ich werde nicht zusehen, wie du Gottes Willen mit Füßen trittst, hörst du? Glaubst du denn, ich würde dich eines Tages in der Hölle schmoren sehen wollen?«

      »Hölle ...? Das ist doch alles Quatsch! Himmel! Hölle! So etwas gibt es nicht!«, schrie Steffi zurück. Andy zog sie heftig in seine Arme und hielt sie fest, obwohl sie sich wehrte.

      »Nein, Steffi, nicht doch, nein ... schhh ... beruhige dich. Du bist verwirrt ... niemand hat sich um deine geistigen Bedürfnisse gekümmert ... es ist nur natürlich, dass das alles für dich neu ist ... klar, dass du Angst hast ... das ist zu viel auf einmal ...«

      Steffis Widerstand erlahmte. In den Überresten ihrer Bilder kniend, weinte sie in den Armen ihres völlig veränderten Bruders. Sie verstand überhaupt nichts mehr.

      »Der Islam ist doch voll rückständig! Bei mir in der Klasse sind acht Mädchen mit Kopftuch, und die dürfen gar nichts! Beim Sportunterricht sitzen die auf der Bank und können nicht mitmachen, weil ihnen sonst das Jungfernhäutchen reißt! So will ich nicht leben«, jammerte sie.

      Andreas streichelte beruhigend ihren Kopf.

      »Der Islam ist nicht rückständig. Du hast aber als Frau einen Platz. Du wirst geehrt und beschützt. Und du wirst von deinem Mann versorgt.«

      »Ich will für mich selbst sorgen können!«

      »Aber das ist doch Unsinn. Schau mal, wenn du irgendwann heiratest und Kinder hast, musst du dich um sie kümmern. Sollen sie mit einem Schlüssel herumlaufen, so wie wir? Ist es nicht schöner, wenn man nach Hause kommt, und es ist jemand da?«

      »Wieso sollte sich nicht mein Mann um die Kinder kümmern? Der kann das doch auch?«

      »Wenn du arbeiten willst, das ist im Islam nicht verboten. Frauen, die arbeiten, müssen ihren Verdienst nicht einmal der Familie zur Verfügung stellen. Sie können ihn behalten. Während der Mann verpflichtet ist, für seine Frau und die Kinder zu sorgen.«

      »Ja? Das wusste ich nicht!«

      »Weil du immer bloß das Negative hörst. Im Fernsehen siehst du nur, dass Moslems schlimme Dinge tun. Dabei ist das nicht wahr.« Steffi hob den Kopf und sah ihren Bruder an. In seinen Augen lag ein schwärmerischer, ferner Ausdruck.

      »Ich habe in Metins Familie gesehen, wie eine Familie sein soll. Der Vater geht arbeiten, seine Mutter kümmert sich um den Haushalt und die Kinder. Die Familie hält ganz fest zusammen. Abends sitzen sie alle um einen Tisch herum und essen, unterhalten sich. Sie haben mich dort behandelt wie einen der ihren. So viel Herzlichkeit, so einen Zusammenhalt ... so etwas habe ich noch nie erlebt. Ich habe in seiner Familie zum ersten Mal gespürt, was Geborgenheit ist.«

      »Ist ... ist es denn so schlimm hier bei uns«, warf Steffi zaghaft ein.

      Andy kam blinzelnd zurück in die Realität von Steffis nun recht kahlem Zimmer.

      »Schlimm? Nein, schlimm ... so würde ich das nicht sagen. Aber das hier ist kein Heim. Wann war das letzte Mal, dass wir alle als Familie etwas gemacht haben? Wir essen ja nicht mal zusammen.«

      »Ist das denn ein Grund, seine Religion zu wechseln?«, fragte Steffi irritiert und strich sich eine wirre Strähne aus dem Gesicht.

      »Wechseln?«, höhnte Andy, »wir sind doch nie religiös gewesen! Wann hätte uns unsere Mutter je von Ethik oder Moral etwas erzählt? Die Zehn Gebote habe ich zum ersten Mal im Religionsunterricht gehört, und da war es schon fast zu spät. Daniel Peters ist ein guter Mann und ein prima Lehrer. Ohne ihn wüsste ich überhaupt nichts über Religion. Er hat sich