Lechyd Zdravi

Die schlechtesten Geschöpfe


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Worte, in lateinischen Buchstaben, durch das Bild liefen. Darunter waren deutsche Untertitel zu sehen. Martina entzifferte noch die Worte »... dass sie die Bewohner des Feuers sind.« Da fuhr Andy auf seinem Bürostuhl herum, und schrie wütend: »Raus hier!«

      Erschrocken zog Martina die Tür zu und flüchtete.

      »Nanu? Das ging aber schnell!« Gila hatte es sich wieder auf der Couch bequem gemacht.

      Martina beachtete sie nicht, ging zum Barschrank, und goss sich mit zitternden Händen einen Whisky ein.

      »Tina? Was ist denn?« Erstaunt sah Gila zu, wie ihre Freundin das Glas auf einen Zug leerte. Dann kam Martina wieder zurück, und ließ sich in ihren Sessel fallen.

      »Du ... du glaubst das nicht! Der guckt sich da oben Koranvideos oder dergleichen auf YouTube an!«

      »Oh ... nun ja, damit muss man sich heutzutage befassen bei so vielen Muslimen, wie wir im Land haben.«

      »Aber ... Er hat mitgesprochen!«

      »Ja ...? Na ja, ist ja auch nur eine Religion wie jede andere.«

      »Meinst du?«

      »Ja, na klar! Vielleicht etwas strenger als das Christentum, aber so rücksichtslos, wie sich heute alle verhalten, fände ich etwas mehr Moral gar nicht schlecht. Es glaubt doch kaum noch einer an Gott.«

      »Das schon. Durch die Aufklärung ... Früher war ein Blitz der Zorn Gottes, heute ist er nur noch eine elektrische Entladung. Alles ist erklärbar geworden. Die Menschen brauchen eben keinen Gott mehr. Aber dass Andy sich für so etwas interessiert ...«

      »Vielleicht durch die Medien? Oder hat er in der Schule früher Freunde gehabt, die ihn dafür interessiert haben könnten?«

      »Ja, schon. Der eine Typ, Metin, das war ein guter Freund von ihm. Ist jetzt Imam in einer Moschee oder so was. Der war letzte Woche hier ... oder war es vorletzte? Ist ja auch egal. Der war mir sehr unsympathisch. Trug eine bullige Hose und eine Art langes Nachthemd, ein Käppi auf dem Kopf, Vollbart - und das in seinem Alter! Das sah vielleicht aus! - und als Andy ihn mir vorstellen wollte, sagte er kein Wort zu mir, sah mich nur einmal kurz eiskalt an und ging dann mit Andy nach oben. Glaubst du ... dass die beiden da oben über den Islam geredet haben?«

      »Worüber sollte der denn sonst mit ihm plaudern? Über das Wetter? Mach dir nichts draus. Klingt nach einem ganz Traditionellen, die sind eben etwas konservativer gekleidet als wir.«

      »Aber deswegen muss er mich doch nicht so ansehen, als wolle er mir den Kopf abreißen!«

      »Nimm‘s nicht so tragisch. Dass du dich so kleidest, mögen die eben nicht. Du kannst es dir ja auch leisten, bei deiner Figur. Und so ein tolles Dekolletee muss man einfach zeigen!«

      »Danke, Süße.«

      »Weißt du, ich habe jemanden kennengelernt ... er ist aus Ägypten. Manche sind noch etwas altmodisch, aber er nicht, sagt er. Er hält nicht viel davon, so zu leben. Er ist modern eingestellt und sein Glaube bedeutet ihm nicht so viel. Du siehst, es gibt solche und solche.«

      Martinas Gesicht erhellte sich. »Echt? Das wurde aber auch mal Zeit! Wie alt ist er denn?«

      »Dreiunddreißig. Ja, okay, ich weiß ... ich bin sieben Jahre älter. Aber das ist ja nicht so viel. Und das Alter ist auch nur eine Zahl. Er meint, in seinem Land wären die Frauen so langweilig und geldgierig. Er findet mich toll. Ich habe die schönsten Augen der Welt.« Gila kicherte albern.

      »Hast du den im Urlaub aufgegabelt?«

      »Ja. Er ist Kellner in dem Hotel, wo ich war. Seit ich wieder hier bin, halten wir Kontakt über das Internet.«

      »Na, das klingt ja nett.«

      »Ich soll im Herbst wiederkommen, sagt er. Ich spare mir das jetzt zusammen. Hey! Willst du nicht mitfahren? Dann zeige ich ihn dir!«

      Martina winkte ab. »Solange Andy hier noch wohnt, ist das schlecht. Da reicht das Geld kaum. Er spart doch auf eine eigene Wohnung mit Jana und kann hier nicht viel beisteuern. Der frisst wie ein Scheunendrescher. Aber wenn er nächstes Jahr die Ausbildung beendet ... und ausgezogen ist ... dann komme ich gern mit.«

      »Bis dahin ist er aber schon hier!«

      »So?«

      »Ja, weißt du ... er hat vom Heiraten gesprochen. Im Herbst will er mich seinen Eltern vorstellen. Er meint es total ernst!« Gilas Gesicht glühte und sie sah aus wie ein Schulmädchen.

      »Was?! So weit seid ihr schon, und du hast mir noch nichts erzählt?«

      »Naja, ich wusste nicht, was du dazu sagen würdest. Ich wollte es eigentlich für mich behalten, bis ...«

      »Bis es zu spät ist?«

      »Bis es konkreter ist. Wer weiß, vielleicht bin ich ja doch bloß ein Urlaubsflirt für ihn.« »Klingt aber nicht so.« »Ich glaube auch nicht, dass er nur mit mir spielt.« »Hoffentlich klappt das alles.« Martina beugte sich vor, und tätschelte Gilas rundlichen Arm. Sie war eigentlich sehr hübsch, hatte aber wenig Selbstbewusstsein. Sie sah eben zu viel fern. Wenn eine Frau ein paar Kilos zu viel auf den Rippen hatte, galt sie sofort als fett, hässlich und unvermittelbar. Gila versuchte gar nicht erst, einen Mann zu finden. Aber nun hatte wohl jemand sie gefunden und den eisernen Ring um ihr Herz gesprengt. Martina war froh darüber. Gila kam nur deswegen so oft vorbei, weil sie einsam war. »Wie heißt er denn?« »Ali.« »Na, dann auf Ali!« Martina hob ihr Glas.

      Wie soll das noch enden?

      Berlin, 24.12.2017 Die Leere nach der Trauer

      

      Ein Jahr ist seit den Attentaten auf die Berliner Kirchen sowie dem Düsseldorfer Weihnachtsmarkt vergangen. Ein Jahr, in dem die Betroffenen mit ihren gesundheitlichen Schäden, dem Trauma und dem Verlust Angehöriger umgehen lernen mussten.

      Detlef B., der in Berlin einen Arm verlor und auf einem Auge blind ist, will von Weihnachten nichts mehr wissen. »Es ist kein Fest mehr«, sagt er. »Die Fanatiker haben uns für immer die Freude genommen.« Seine Tochter Franziska starb, als Andreas Ganziger seine Bombe zündete. Seine Frau erlitt einen schweren Schock, bekam nach dem Attentat Depressionen und beging vor drei Monaten Selbstmord.

      »Sie konnte nie verkraften, dass sie als Einzige in unserer Familie unverletzt blieb. Und Franziskas Tod natürlich auch nicht«, so Detlef B.

      Susanne P. aus Berlin feiert Weihnachten ganz groß. »Ich werde nicht zulassen, dass diese Schweine auch noch unsere Lebensfreude zerstören.« Sie gibt sich kämpferisch. Die ganze Wohnung ist dekoriert, über jeder Tür hängt ein Kruzifix. »Früher war ich nicht besonders religiös, aber jetzt bin ich eine sehr gläubige Christin. Ich will ein Zeichen setzen, gehe jeden Sonntag in die Kirche, engagiere mich ehrenamtlich - soweit das möglich ist.« Dabei sieht sie auf ihr verkürztes linkes Bein. Der Unterschenkel wurde abgerissen, die Milz musste entfernt und ihr Gesicht auf der linken Seite rekonstruiert werden.

      »Das Glasauge fällt kaum auf, zum Glück. Und draußen trage ich immer eine Prothese. Ich lege Wert darauf, dass man mir möglichst wenig ansieht.« Man sieht es ihr trotzdem an. In ihrem Gesicht gibt es Narben - auf ihrer Seele noch mehr.

      »Natürlich ist es schwer. Ich habe damals auch mein ungeborenes Kind verloren. Mein Mann war nicht mit dabei. Er fand es immer heuchlerisch, nur Weihnachten in die Kirche zu gehen. Da hatte er wohl recht. Er ... er verließ mich.« Selbst wenn er jetzt zurückkäme, würde sie ihn nicht wiederhaben wollen. »Ich brauche niemanden mehr«, sagt sie. Aber es klingt verbittert.

      »Meine Eltern waren herzensgute Menschen«, erklärt Rudolf D., »die haben nie jemandem etwas getan. Sie waren mit unseren Nachbarn auf dem Weihnachtsmarkt in Düsseldorf. Ich ging früher nach Hause. Und lebe noch. Sonst sind alle tot. Jeder, den ich kannte, ist tot. Meine ganze Familie. Meine Freundin lag zwei Monate im Koma. Und starb dann auch. Eine Bratwurst, das war alles. Sie wollten nur noch eine einzige Bratwurst essen, und dann auch nach Hause gehen. Ich bin nur früher gegangen, weil ich noch das Geschenk für Silvia abholen wollte,